Trotz (vielleicht auch wegen) der aktuellen Situation werde ich auch in diesem Jahr in den Urlaub fahren. Mich zieht es nicht in die weite Welt; die Heimat hält so viele herrliche Flecken vor, dass es für mehrere Leben ausreicht.
Um ein weiteres Mal zieht es mich in den Norden. An die Küste. Auf Deutschlands größte Insel. Rügen! Fürwahr ein traumhafter Ort mit wechselvoller Geschichte, kleinen als auch großen Geheimnissen und traumhaften Sandstränden.
Von alldem faszinieren mich die Legenden. Und deren wahren Kern. Ist es daher verwunderlich, dass es mich an die Prorer Wiek zieht? Zu dem 'längsten Gebäude der Welt', dem 'Haus der zehntausend Fenster', 'Seebad der Zwanzigtausend' oder schlicht 'dem Koloss'? Natürlich nicht!
Prora sollte einst 20.000 Menschen gleichzeitig Urlaub am Meer ermöglichen. Alle 10.000 Zimmer hatten Meerblick. Ein Festsaal, Liegehallen, Wellenbäder, Kinos, Gastronomie - an alles wurde gedacht. Mag sein, dass Prora uniform daher kommt, vielleicht sogar Produkt eines gewissen Größenwahns ist. Doch seien wir ehrlich: Prora nahm lediglich das Phänomen des Massentourismus vorweg. Der heutige Beton gewordene Wahnsinn spielt dem gegenüber in einer ganz anderen Liga.
Nach dem Krieg war vom ursprünglichen Konzept nicht mehr viel zu sehen. Das unfertige, als Lazarett und Notunterkunft für Heimatvertriebene genutzte Gebäude wurde zur Baustoffgewinnung ausgeschlachtet und in den 1950er Jahren unter völlig anderer Zielsetzung neu aufgemauert. Damit entstand jenes Grau in Grau, in dem sich Prora bis in das neue Jahrtausend hinein präsentierte. Zu DDR-Zeiten beherbergte der Koloss verschiedene militärische Verbände und Ausbildungsstätten, war Standort für Bausoldaten und Ferienheim für Angehörige militärischer Kader.
Mit der Wende geriet der Koloss in unruhige Gewässer. Mehrere Nutzungskonzepte versagten. Das Denkmal geschützte Gebäude verkam. Schlussendlich wurden einzelne Blöcke an finanzkräftige Investoren verkauft, die den Koloss wieder seinem ursprünglichen Konzept zuführten: einem Urlaubsparadies. Ein Hotel entstand. Block um Block entstanden Eigentums- und Ferienwohnungen, so dass heuer bis zu 5.500 Menschen gleichzeitig ihre Urlaubstage im Koloss von Prora verbringen können.
Ich habe meinen Frieden mit dem Koloss gemacht. Seine heutige Nutzung finde ich in Ordnung, zumal ein Museum Proras Höhen und Tiefen in hervorragender Art und Weise beleuchtet. Ferien in Prora sind nicht wirklich günstig - und dennoch lohnt es sich, sein Domizil nur 60 Meter entfernt von einem der schönsten deutschen Sandstrände und in einem der interessantesten Gebäude des letzten Jahrhunderts zumindest temporär aufzuschlagen.
Wusstest ihr, dass:
- Das Gerücht, Prora würde über eine U-Bahn verfügen, einen wahren Kern besitzt? In einem der (mindestens) drei Kellergeschosse war eine Kleinbahn installiert, die das Gebäude komplett durchfahren konnte. Ziel war die einfache Versorgung der verschiedenen Blöcke mit allem, was benötigt wurde.
- Das Gerücht, in Prora existieren U-Boot-Bunker, einen wahren Kern besitzt? Dreimal wurden die Jasmunder Bodden als Kriegshafen vorgesehen (einmal für die Reichsflotte 1853, einmal für die Kriegsmarine 1937 und einmal für die Volksmarine 1950). Dabei wurde neben Glowe auch ein Durchstich bei Prora geplant, durch den Kriegsschiffe in die Bodden einlaufen konnten.
- Das Gerücht, dass große Seebäderschiffe direkt an den zum Teil errichteten Kais anlegen sollten, nur ein Gerücht ist? Schon damals war den Planern die extreme Versandung der Bucht bekannt, die ein Heranführen großer Schiffe (wie zum Beispiel der 'Robert Ley' oder 'Wilhelm Gustloff') verhinderten.
- Der Koloss kein Einzelkind war, sondern bis zu 9 weitere Geschwister entlang der Ostseeküste erhalten sollte? So waren allein in der Lübecker Bucht zwei große Seebäder und ein weiterer Koloss in der Nähe von Kolberg geplant.
- Der Grundstein von Prora bis heute nicht gefunden wurde? Gelegt wurde er am 2. Mai 1936.
- Der Beginn der Ära Merkel 1990 in Prora begann?
- Die Strände um Prora selbst bei bestem Strandwetter erstaunlich leer sind? Während im nahen Binz sich die Leute Bauch an Bauch im Sand suhlen, ist es ihnen in Prora zu anstrengend, das 4,5 Kilometer lange Gebäude zu umgehen (die Gebäude betreten können nur Anwohner und Gäste der Ferienwohnungen und des Hotels), um einen schönen Strandplatz zu ergattern. UNBEZAHLBAR!
- Ich trotz mehrerer Aufenthalte im Koloss es nicht ein Mal geschafft habe, ihn komplett zu umrunden?