Ein klein wenig empfand Dean Genugtuung, als er bemerkte, dass Crowley sich in eine auch für ihn unangenehme Situation hinein manövriert hatte. Doch das nützte ihm, Sam und vor allem Cas im Moment nicht besonders viel. Wenn er doch nur reden könnte, ihr klarmachen könnte ...
Da erhob Crowley wieder die Stimme.
„Ich will dir ja nicht den Spaß an deiner Mahlzeit verderben, meine Schöne, aber ... “, sagte er und schaute ganz unbeteiligt drein.
Sie sah ihn auffordernd an. Und als er nichts sagte, zischte sie ihn an: „Was?!“
Er jedoch schwieg und zuckte nur mit den Schultern.
„Es gibt da eine wichtige Information, die ich dir nicht vorenthalten möchte, verehrte Göttin, aber dazu würde ich es doch sehr begrüßen, wenn du mich aus der Falle befreien könntest!“
Die Göttin zog die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen, und sie sah nicht so aus, als wäre sie gewillt, sich von irgend jemandem, und sei es auch der Fürst der Hölle, zu was auch immer zwingen zu lassen.
Sie machte eine zusammenpressende Handbewegung und drückte Crowley die Luft ab.
Seine Hülle war nun mal ein menschlicher Körper, der so profane Dinge tun musste wie Atmen. Wenn das nicht funktionierte, würde er, als Dämon, normalerweise diese Hülle verlassen und sich eine andere suchen oder sie gegebenenfalls reparieren.
Chastity jedoch hatte die Macht, ihm das Verlassen dieses Körpers zu verwehren; er steckte darin fest und konnte nicht entfliehen. Daher wurde ihm die Tatsache, dass die Hülle verzweifelt nach Atem rang, ziemlich gefährlich, und er hustete krächzend: „Schon gut, schon gut ...!“
Sie ließ ihn los und er schnappte erst einmal nach Luft.
Als er sich wieder gefangen hatte, sagte er angesichts des drohenden Blickes der Göttin:
„Nun, mit der von dir so geschätzten Keuschheit hat es so seinen Haken: Der liebe Castiel ist nicht mehr so unschuldig rein, wie du zu glauben scheinst.“
Er machte eine dramatische Pause und sagte dann:
„Es hat mit Dean Winchester geschlafen und hat Dean Winchester nach all den Millionen Jahren seiner Existenz seine Jungfräulichkeit geschenkt!“
Cas stöhnte. Dean fluchte innerlich und hoffte doch zugleich, dass das Cas retten würde. Und Sam, dem Chastity ebenfalls das Sprechen verwehrte, gab etwas gestammeltes von sich, was man mit viel Fantasie als „Wußt ichs doch!“ deuten könnte.
Chastity schwieg eine Augenblick.
Dann ertönte ihr volltönendes Lachen durch den Raum.
„Oh Crowley“, sagte sie, „Crowley, Crowley. Du machst dir völlig falsche Vorstellungen.“
Sie trat vor Cas und ließ ihren Blick über den gefesselten Engel schweifen.
„Dieser Schöne hier wird mein Opfer, so oder so. Denn du darfst das, was ich als keusch bezeichne, nicht mit dem verwechseln, was die Religion des arroganten und anstrengenden Christengottes darunter versteht.“
Ihr schönes, eiskaltes Gesicht war jetzt ganz nah an Castiels, und wenn sie geatmet hätte, wie Menschen das tun, hätte der Engel sicher ihren Atem auf seiner Haut gespürt. Doch da sie nur eine Manifestation des göttlichen in Menschengestalt war und daher, anders als Crowley in seiner Hülle, sich mit derart körperlichem Unfug nicht befassen musste, empfand er nichts dergleichen.
Er empfand nur Wut und Abscheu.
Und Angst. Die allerdings weniger um sich, als um Dean, und auch Sam, denn er traute weder der Göttin noch dem Dämon.
Chastity fuhr fort:
„Ja, er hat Dean seine Unschuld geopfert. Aber dennoch ist er in meinem Sinne keusch. Denn er hat einzig und allein ausschließlich mit dem Wesen geschlafen, dass seine große und einzige Liebe ist und das diese Liebe auch erwidert. Und daher ist er in meinem Sinne nach wie vor keusch.“
Crowley seufzte entnervt.
Bei Dean jedoch schlugen ihre Worte ein wie eine Bombe.
Er war Cas' große Liebe? Er?
Dass Cas die seine war, das war ihm klar. Schon seit langem. Schon lange, bevor sie miteinander geschlafen hatten.
Aber dass er wirklich und wahrhaftig Cas' große Liebe war?
Der ganze Eiertanz der letzten Wochen und Monate?
Die ganzen Zweifel?
Vor allem auch Selbstzweifel?
Und nun das?
Er hatte keinen Grund, an Chastitys Worten zu zweifeln, immerhin war sie eine Göttin. Und so wie Cas verlegen drein sah und knallrot geworden war, wären letzte Zweifel ohnehin verflogen.
Cas' große Liebe.
Dean war fassungslos.
Er hatte so sehr gehofft, dass da mehr wäre als nur Freundschaft zwischen ihnen. Dass der Sex in jenem Motel mehr gewesen wäre als nur Verzweiflung vor dem bevorstehenden Tod...
Und nun, wo er es erfuhr, wo er es also wusste, sollte es zu Ende sein? Sollte Cas sterben?
Nein!
Wild entschlossen blickte er um sich. Er musste irgendetwas tun!
So durfte es einfach nicht enden, Herrgott noch mal!
Er sah keine Möglichkeit. Seine Fesseln waren fest. Seine Kraft nicht stark genug, um sie zu lösen.
Crowley war in der Falle gefangen. Cas ohne Kräfte, und Sam ... ach Sam.
Also blieb nur noch eine Sache für Dean zu tun, wenngleich er nicht auch nur im geringsten hoffte, dass es etwas nützen würde.
Er schloss die Augen, und begann zu beten.
„Gott? Hallo? Hör mal. Wenn du da oben im Himmel irgendwo bist. Oder wo auch sonst, egal. Also pass mal auf. Ich weiß, dass du dich bisher um uns alle und was hier passiert einen Dreck geschert hast. Mag sein, dass dich das alles hier nicht interessierst. Und mag sein, dass du mich und Sam auch nicht für würdig hältst, uns auch nur mit einem Gedanken zu bedenken. Das ist schon okay. Ich bitte dich um nichts für mich selber, okay? Ich bitte dich nur ... es geht um Cas. Der ist doch immerhin dein Sohn, jedenfalls irgendwie ... na ja, er nennt dich immerhin seinen Vater. Also komm schon! Scheiß auf mich und Sam, damit kann ich leben, aber bitte ... hilf Cas, ja? Okay? Bitte!“
Dieses Gebet hatte er nicht gesprochen, das ging immer noch nicht, aber er hatte es gedacht. Hinter seiner Stirn lief nun in Dauerschleife „Bitte, hilf Castiel!“
Auch wenn Dean nicht wirklich glaubte dass es etwas bringen würde. Er hatte nur einfach keine anderen Optionen mehr.
Und dann ... ja, dann geschahen mehrere Dinge gleichzeitig.