Er war bereits seit einer Stunde wach. Es war noch früh, der Himmel hatte gerade erst angefangen zu dämmern. Heute würden sie kommen, er wusste es. Er hatte seinen besten Anzug angezogen und saß nun bereit auf seinem Bett. Aufregung machte sich in ihm breit. Wie lange hatte er auf diesen Tag schon gewartet. Vielleicht sollte er ein wenig aufräumen. Er war sich nicht sicher, warum der Rollstuhl neben dem Bett stand. Aber das war heute egal.
Als das erste Tageslicht durch die Fenster drang, klopfte es. Sein Herz machte einen Sprung. Konnten sie das schon sein? So früh? Er drehte sich zur Tür, als diese geöffnet wurde. Und erschrak. „Ah, wer sind Sie? Was machen Sie hier?" Es war eine kleine Frau ganz in weiß gekleidet. Wie war sie hier herein gekommen? „Guten Morgen Herr Schmidt." Sie lächelte freundlich. „Sie haben also Ihren Anzug wieder gefunden. Hier sind Ihre Tabletten." Sie stellte einen kleinen, blauen Becher auf seinen Nachttisch. Er wich ein Stück zurück. Woher kannte sie seinen Namen? Die Frau ging zu der kleinen Sitzgruppe am anderen Ende des Zimmers und holte seinen Becher und etwas Wasser. Dann reichte sie ihm Tabletten und Becher. Er hatte keine andere Wahl, als sie zu nehmen. Die Frau ließ den blauen Becher in ihrer Tasche verschwinden. „Ich bekomme heute Besuch!", sagte er stolz. „Wichtigen Besuch!" Sie lächelte ihn weiter an. „Na dann wollen wir sie doch mal hübsch machen." Sie deutete auf das Badezimmer. Etwas widerwillig folgte er ihr. Vor dem Spiegel hielt er inne. Wer war dieser alte Mann, der ihm entgegenblickte? Weißes Haar, Falten, die Wangen hingen etwas herab. Darauf war ein ebenfalls weißer Bartansatz. Das konnte nicht sein. Er betastete seine Wange und der Mann im Spiegel tat es ihm gleich. Die Erkenntnis ließ seine gute Laune schlagartig vergehen. Er war alt. In dieser Stimmung ließ er das tägliche Waschen über sich ergehen ohne Anstalten zu machen.
Der Tag verging. Es wurde gegessen, gespielt und wieder gegessen. Er hatte vergessen, dass er wartete. Erst am Abend fiel es ihm wieder ein. Er saß mit den anderen im Gemeinschaftsraum, als seine Augen groß wurden und ein Kribbeln seinen Körper durchfuhr. Morgen war der Tag! Er hatte solange gewartet und morgen war es endlich soweit. Morgen würden sie kommen. Er würde bestimmt nicht schlafen können vor Aufregung, aber das war ok. Denn sie würden morgen endlich kommen. Mit diesem Gedanken schlief er schließlich ein und auch die Lichter auf der Demenzstation gingen aus für die kommende Nacht.