Sie konnte die Hitze spüren.
Die Flammen leuchteten hell in der Dunkelheit.
Gelb, orange, rot. In der Mitte auch etwas blau.
Wenn jemand einen der beschichteten Pappteller reinwarf sogar manchmal ein bisschen grün.
Sie liebte das Feuer.
Liebte es, wie die Flammen sich langsam durch das aufgeschichtete Holz fraßen. Wie die Funken stoben, wenn sie darin stocherte. Das Knacken, wenn die Hitze ein schon totes Insekt zum Platzen brachte.
Das alles verband sie mit Geborgenheit.
Mit dem guten Gefühl einer Kindheit mit langen Lagerfeuerabenden auf Campingplätzen.
Ihr großer Bruder Matthias spielte auf seiner Gitarre und sie sangen alte Pfadfinderlieder, die er ihr und den Eltern beibrachte.
Die laue Sommerabendluft schwer von blumigen Gerüchen, die sich mit dem für sie angenehmen Lagerfeuergeruch vermischten.
Grillen, die im Gras zirpten. Frösche, die ihre Liebeslieder im nahe gelegenen Teich quakten.
Und manchmal, wenn sie Glück hatten und alles ganz still war, schuhute sogar ein Uhu aus dem Wald neben ihrem Lagerplatz.
Sie hatte die Flammen immer geliebt.
Schon als ganz kleines Mädchen war sie wie Rumpelstilzchen im Märchen darum herum getanzt und hatte gesungen.
Mit langen Stöckchen, die sie im Wald fand, konnte sie sich stundenlang beschäftigen.
Sie spießte Mini-Marshmallows darauf und briet sie.
Stocherte wild in der Glut, dass die Funken nur so flogen.
Ihr Vater musste sie dabei nicht selten zurückziehen, damit ihre Haar nicht Feuer fingen. Dann kicherte sie wie wild und zappelte, bis er sie wieder auf den Boden stellte.
Tränen liefen ihr Gesicht hinab.
Sie trockneten sofort in der schwellenden Hitze, die sie umgab.
Dieses Feuer war anders.
Es war gierig. Bösartig. Wollte sie fressen.
Seine lodernden Flammen schlugen nach ihr.
Der Lärm war ohrenbetäubend.
Eine laute Sirene, die ihr die Sinne raubte.
Stimmengewirr.
Verschwommen konnte sie Bewegungen wahrnehmen.
Ein großes, rotes Auto, das viele Menschen in blauen Anzügen ausspukte.
"Luisa! Um Gottes Willen, wo ist das Mädchen?" Ihr Vater stand dort. Zusammen mit Mama und Matthias.
"Was ist denn passiert?" Mamas Stimme war hoch und schrill.
"Luisa!!"
"Matthias! Bleib hier! Bist du verrückt geworden?!"
Mit festem Griff hielt Papa ihren Bruder zurück, der sich todesmutig in die Flammen stürzen wollte.
"Aber Dad! Du weißt doch, wie sie ist. Sie kann da nicht alleine raus finden."
Luisa konnte hören, wie ihr Bruder in Schluchzen ausbrach.
Alles in ihr schrie danach zu ihm zu laufen.
Aber das Feuer war gemein. Es ließ sie einfach nicht durch.
Grinste sie fies an und nahm ihr die Luft zum Atmen weg.
Sie musste Husten.
Plötzlich hörte sie etwas komisches.
Es hörte sich an, als würde jemand Schnorcheln.
Ganz nah bei ihr.
Da tauchte aus den Flammen ein silbernes Monster auf.
Es hatte nur ein großes, schwarzes Auge. Aber es konnte sprechen.
Sie erstarrte wie ein Kaninchen vor der Schlange.
"Luisa?"
Mit einem Paar kräftiger Arme hob das Monster sie hoch und schützte sie vor der Hitze des züngelnden Feuers.
Ein anderes silbernes Monster sprühte weißen Schaum und die Flammen zogen sich beleidigt zurück.
Luisa bleckte ihnen die Zunge raus.
"Bläääh. Blödes Feuer."
Sie fand es war nur gerecht, dass es verjagt wurde.
Schließlich war es böse zu ihr gewesen.
"Luisa! Oh Gott sei Dank, dir geht es gut."
Luisa zappelte so lange in den Armen des silbernen Monsters, bis diesem nichts anderes übrig blieb, als sie los zu lassen.
Dann rannte sie noch immer atemlos und leicht hustend zu ihrer Familie, umarmte ihren Bruder unbeholfen und sagte:
"Nicht weinen, Matthias. Luisa wieder da. Alles gut."
Das hatte er wohl nicht verstanden, denn jetzt fing er erst recht an zu Weinen und umarmte sie seinerseits.
Aber nur kurz.
Er wusste ja, dass sie das nicht besonders mag.
Er hatte sich auch schnell beruhigt und sagte lächelnd mit rauer Stimme:
"Ja, Luisa. Jetzt ist alles gut."
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Ich hab mich hier mal an etwas mir völlig Unbekanntem versucht.
Luisa hat nämlich Down Syndrom. Sie ist bereits 15 Jahre alt und nur zwei einhalb Jahre jünger als Matthias. Sie hat das große Glück in einer Familie aufgewachsen zu sein, die sie nach Kräften unterstützt hat und ihr nie das Gefühl gegeben hat, das Anderssein etwas Schlechtes ist oder man deswegen weniger wert ist.
Ich bin mir sicher, dass ich an der einen oder anderen Stelle im Text noch genauer darauf hätte eingehen können, bzw. sich eine echte Person mit Trisomie 21 anders verhalten hätte. Auch was die Beschreibung ihrer Kindheit angeht, hätte ich mich ihrer Art zu Denken noch besser anpassen können. Aber die vorgegebene Zeit sind nunmal 60 Minuten. Das heißt, die Möglichkeit das Ganze zu recherchieren und fein auszuarbeiten hatte ich dieses Mal nicht.
Wie hat euch mein Ansatz gefallen? Ich bin offen für konstruktive und sachliche Kritik (Bitte durch Ich-Botschaften. Ich fange gerade erst an mit dieser ernsthaften Feedback-Sache und muss mich erst noch daran gewöhnen. ;)