Lachend lief Samuel den Wellen hinterher, die sich ins Meer zurück zogen. Nur um gleich darauf vor ihnen davon zu laufen, wenn sie sich wieder gen Strand schoben.
Die Zwölfjährige Midori sah gelangweilt von ihrem Buch auf.
'Kindskopf.' Dachte sie sich nur und vergrub die Nase wieder in ihrem Roman.
Sie war in Gedanken auf einer Burg, auf der ein Drache einem Elfenkönig dabei half eine Horde Orks zu vertreiben.
Hin und her ging es und die gewaltige Armee der dunklen Gestalten brandete immer wieder gegen das schwere Holztor und die steinernen Mauern der Brüstung.
Wütend flog Alchamad, der riesige, rotleuchtende Urdrache über sie hinweg. Spukte Feuer. Schlug unbändig mit den Flügeln, die einen Wirbelsturm erzeugten, das ganze Kompanien der Orks durch die Luft segelten.
Der Elfenkönig beschwor die Kräfte der Natur. Gewaltige Blitze zuckten grell am Himmel entlang.
"Aaaaahhh! Ist das kalt! Igitt. Du Scheusal!"
Midori war zurück am Strand.
Ihr großer Bruder, der dreizehnjährige Wellenjäger, hatte seine von Meerwasser nassen Haare direkt neben ihr ausgeschüttelt wie ein Hund.
"Oh nein. Mein Buch!" Hastig wischte das Mädchen die Sprühtröpchen von den Seiten, die bereits einige davon aufgesaugt hatten.
Jetzt reichte es. Sauer stand sie auf.
Ihre gelblichen Haare färbten sich zu einem giftigen Grün.
"Sag mal, kannst du nicht besser aufpassen, Sam?"
Reichlich verdutzt wich der Angesprochene einer fliegenden Energiekugel aus.
"Was denn?" Instinktiv ging er in eine Verteidigungshaltung.
Seine kleine Schwester war offenbar in Kampflaune, da hieß es vorsichtig sein.
Blöd, hier am Strand konnte er seine Fähigkeiten nicht einsetzen, ohne dabei auch andere zu gefährden.
Außerdem war er selbst noch nass.
Am Ende würde er sich selbst verletzen.
Midori hatte in der Zwischenzeit zwei weitere Energiebälle geformt.
Der Junge mit den rostbraun gefärbten Haaren war wenig beeindruckt.
Hätte er seine Blitze schleudern können, wäre die nervige Göre schon erledigt.
Die immer mit ihren Büchern. Lesen kann sie doch auch zu Hause.
"Warum bist du überhaupt mit an den Strand gekommen, wenn du doch nur in anderen Welten verschwindest?"
Er zeigte ihr ne lange Nase und brachte Midori damit noch mehr in Rage.
Samuel lief in gespielter Angst vor ihr davon.
Das Mädchen rannte ihm nach und warf immer wieder ihre leuchtenden Kugeln auf ihn.
"Weil..."
Die Kugel flog knapp an Samuels linkem Ohr vorbei.
"Ich..."
Der Junge konnte die Hitze spüren, als die nächste an seinem linken Arm vorbei zischte.
"Das..."
Das war über seinem Kopf. Inklusive angesengter Haare. "Meeresrauschen..."
Dieses Mal schleuderte sie gleich zwei Kugeln.
"Hören wollte!"
Midori war stehen geblieben.
Aber nur, weil ihr Bruder getroffen hingestreckt im Sand lag.
Nach Luft schnappend stand sie über ihm.
Etwas verunsichert stupste sie Samuel mit dem Fuß in die Seite. Normalerweise machten ihm ihre relativ schwachen Angriffe wenig aus. Sollte sie ihn dieses Mal zu hart erwischt haben?
Da fühlte sie wie sich eine kalte Hand um ihr Fußgelenk legte.
"Aaaah!"
"Hab ich dich, du kleine Nervensäge."
Er zog sie zu sich runter auf den Boden und begann mit einer fiesen Kitzelattacke.
"Nein! Loslassen! Loslassen! Ich hasse dich! Aahh! Mama!"
Sofort beendete Samuel seine Folter.
"Pssst! Sie hört dich noch. Wenn sie wirklich auftaucht, erklärst du ihr aber, warum wir sie gestört haben."
"Zu spät."
Über den beiden baute sich ein Schatten auf.
"Ich bin zwar nicht Mama, aber ich will trotzdem wissen, warum ihr hier am Strand entlang lauft und ohne Rücksicht auf andere Energiekugeln durch die Gegend schiesst!"
Der 16-jährige schwarzhaarige Junge mit der Narbe am Kinn sah die zwei Raufbolde streng an.
"Ihr könnt sowas nicht einfach so in aller Öffentlichkeit machen!
Und erzähl mir nicht, dass ja nur Midori was gemacht hat, Sam.
Ich weiß genau, dass du dich nicht zurück gehalten hättest, wenn nicht überall Wasser wäre und du selbst nicht nass gewesen wärst."
Schmollend zog der Rostschopf eine lange Schnute.
Midori bleckte die Zunge heraus.
"Du bist nicht Mama, Mamoru."
"Ja, und das ist dein Glück, junge Dame."
Etwas unsanft zog der junge Mann das Mädchen auf die Beine und bedeutete Samuel mit einem Kopfnicken aufzustehen.
"Aber ich bin immer noch euer großer Bruder und darf mir dann wieder anhören, warum ich nichts unternommen habe, wenn irgendetwas davon bis zu ihr durchdringt."
Zu dritt gingen sie zurück zu ihrem Liegeplatz, der geschützt und weitab von anderen in einer kleinen Bucht versteckt lag.
Sie setzten sich gemeinsam auf die Decke.
Die Sonne war sehr stark.
Mamoru zog eine der Strandpflanzen zu sich und förderte ihr Wachstum, bis sie den Dreien genug Schatten spendete.
"Hört mal. Papa ist mit den Zwillingen noch etwa eineinhalb Wochen im Ausland. Bis dahin müssen wir es eben alleine hinkriegen.
Wir sind alle drei keine kleinen Kinder mehr.
Ihr wisst doch, nicht alle Menschen kommen darauf klar, wie anders wir sind. Deswegen ist Mama ja auch immer so streng, wenn sie einen von uns dabei erwischt. Sie macht sich Sorgen um uns. Und im Moment muss sie sich außerdem noch für die kommende Wahl vorbereiten."
Er seufzte. Der verantwortungsbewusste große Bruder sein zu müssen, nervte ihn schon manchmal.
Er freute sich wohl am meisten von ihnen auf die Rückkehr von Flash, ihrem Vater.
"Also. Bitte vertragt euch doch und ärgert euch nicht die ganze Zeit gegenseitig. Worum ging es denn eigentlich?"
Samuel musste tatsächlich ein paar Augenblicke überlegen, aber dann fiel es ihm wieder ein.
"Tut mir leid, dass ich dein Buch nass gemacht hab, Midori. Ich hab nicht aufgepasst."
Die Zwölfjährige, die sich längst wieder beruhigt hatte, was man deutlich an ihren leuchtendgelben Haaren sah, lächelte ihren Bruder an.
"Schon gut. Ist nicht so schlimm. Habs gleich abgewischt."
Sie sprang auf und zog Samuel auf die Beine.
"Gehen wir ins Wasser? Mamoru du musst aber auch mit kommen."
Schicksalsergeben seufzend stand der Schwarzhaarige auf und folgte seinen schreienden und quietschenden Geschwistern ins Meer.
'Nur noch eineinhalb Wochen', sagte er sich und stürzte sich in die Wellen, das Meeresrauschen in den Ohren.
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Anmerkung:
Die Befürchtung Samuels, ihre Mutter könnte Midori gehört haben, obwohl sie nicht mit am Strand war, ist durchaus berechtigt.
Wish (bzw. Cenishenta, die Mutter) hat unter anderem die Fähigkeit eine starke mentale Verbindung mit ihr nahestehenden Personen einzugehen. Mit ihren Kindern ist diese natürlich besonders stark.