Typisch für jene Tage im April waren starke Bewölkung, gelegentlicher Regen und mittlere Temperaturen um 9 Grad Celsius. Eine merkwürdige Komposition aus Hoffnung, Lethargie und Endsieg-Stimmung würzte die Luft.
Das amerikanische VIII. Armeekorps rückte von Westen kommend in das Erzgebirge vor, die Sowjets näherten sich aus Nordosten. Zwischen den alliierten Frontlinien vermischten sich die geschwächten Divisionen der deutschen 7. Armee mit dem örtlichen Volkssturm, Reichsarbeitsdienst sowie Hitlerjugend und über den Gebirgskamm zurück gehenden Verbänden der Heeresgruppe Mitte. Neben Militär-Kolonnen bewegten sich endlose Flüchtlingstrecks aus Schlesien wie auch Fremdarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge aus dem Konzentrationslager Flossenbürg mit ihrer SS-Bewachung über die wenigen befestigten Straßen. Deserteure, Plünderer und Gestalten eher zwielichtiger Natur hielten sich in den Wäldern vor fliegenden Standgerichten versteckt.
Derweil ging das öffentliche Leben weiter. Die Postämter waren geöffnet, auch wenn sie nur noch Briefsendungen annahmen, deren Empfänger in noch nicht besetzten Regionen wohnten. Trotz Fliegergefahr fuhren Züge. Kinder gingen zur Schule, höhere Klassenstufen bauten Panzersperren. Auf den Höfen und in den Betrieben wurde gearbeitet, wie Maschinen und Ressourcen es zuließen. So rumpelte das letzte Produktionslos österreichischer Steyr-Lastkraftwagen ohne Fahrerkabine und Aufbau durch die Straßen, um in örtlichen Werkstätten komplettiert zu werden. Alles mühte sich um Normalität. Die Gedanken jedoch drehten sich um die Frage, wer sie zuerst erreichen würde.
Erstaunlicherweise kam niemand! Die Sowjets blieben im Raum Annaberg stehen, ohne Ambitionen, weiter nach Westen vorzurücken. Indes zogen sich die Amerikaner gar auf das jenseitige Ufer der Zwickauer Mulde zurück und begnügten sich mit vereinzelten Patrouillen in den sächsischen Teil des Erzgebirges. Dazwischen blieb ein Gebiet von etwa 1.700 Quadratkilometern mit 500.000 Zivilisten in beinahe 80 Ortschaften und über 100.000 Soldaten unbesetzt. Bis weit nach Kriegsende sollte es so bleiben. Damit war der Grundstein für die Legende um die Freie Republik Schwarzenberg gelegt.