„Wie viele hast du schon?“ fragte mein Kumpel. Er schaute sehr kritisch auf meine Parfümsammlung, die ich demonstrativ auf meinem Couchtisch aufgestellt habe, um sie gut im Blick zu haben.
„Ich glaube 19, aber ich habe noch zwei bestellt…“ sagte ich ganz stolz.
„Du bist verrückt…“ sagte er ganz nüchtern und sein Blick gefiel mir gar nicht. „Also, wenn du die 30er Grenze knackst, rufe ich die Klapse an“ schüttete er verzweifelt mit dem Kopf. „Du bist kaufsüchtig…“
„Ah, du hast sowieso keine Ahnung! „Aventus“ war für dich ein Fußballverein“ ich war richtig beleidigt. „Und auf deiner Arbeit hast du nur Öl und Schmiere…“
Kaufsüchtig… was für ein Quatsch! Oder …?
Das hat mich sehr verletzt und brachte auch zum Nachdenken. Früher war ich auch mit 5 Parfüms zufrieden, dann wurden es 7 und dann immer mehr… Ich entdeckte die neue, unheimlich spannende, Welt der arabischen Düfte. Die neuen Duftrichtungen, die ich bisher gar nicht kannte. Duftentwicklung, Duftverlauf waren mir bisher völlig fremd. Und auch Nischen, von denen ich keine Ahnung hatte.
„Wenn es mich friert, gehe ich in die Sonne“ ein super Spruch!
Ich gehe nicht in die Sonne – ich versuche meine eigene Sonne zum Strahlen zu bringen. Immer, wenn ich viel Stress, besonders Palliativfälle auf der Arbeit habe, stöberte ich gerne auf Parfumseiten nach neuen Parfüms. Das ist mir gar nicht aufgefallen. Früher waren das Schokolade und Kosmetik. Jetzt - Parfüms.
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Feierabend. Ich stehe beim Doug vor dem Armani-Stand, nur von einem Gedanken getrieben „muss was kaufen, egal was!“ Mein geliebter Georgio hatte etwas Schönes für mich „Sì Fiori“, ein ganz neuer Duft! Und dann bin ich doch beim Chanel gelandet. Gekauft habe ich „Chance“ Eau Fraîche, bezahlt habe ich mehr als geplant. Damen-Düfte von Chanel waren nie meins, das wusste ich, aber ich musste was kaufen!
Gerade in dieser Woche habe ich jede Menge Überstunden gemacht, hetzte von einem Kunden zum anderen. Ich war mental ausgelaugt, müde und frustriert, deshalb musste ich mir etwas Gutes tun und mich selbst belohnen.
Was ist eine Selbstbelohnung und warum muss sie sein?
Ich arbeite sehr hart und irgendwie habe ich das Gefühl, ich habe keine Zeit für mich selbst. Mein Selbstwertgefühl sinkt, weil ich an erster Stelle immer für andere gut sein muss und nie für mich selbst. Meine Freizeit ist sehr begrenzt, wann soll ich an mich selbst denken und mir etwas Gutes tun?
So muss ich mich selbst belohnen, weil mir etwas fehlt. Meine eigene Zuwendung fehlt mir, weil ich das von anderen nicht erwarten kann, weil sie genauso wie ich, keine Zeit für sich selbst haben… So kaufe ich mir das, was ich liebe, als Ersatz für meine eigene Zuwendung. Aber ich merke nicht, dass auch das mich nur kurz glücklich machen kann, wenn überhaupt.
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„Wie, du kennst Jo Malone nicht? Du enttäuschst mich, das kann doch nicht wahr sein!“ meine Freundin ist empört. „Das ist doch Nische…“
Ups… Nische? Jo Malone?
Jo Malone musste her! Ich kann doch nicht vor meiner Freundin dumm da stehen, neeee, das geht nicht… Mein Ruf ist in Gefahr ;-) Konsum und Eitelkeit lassen grüßen! Meine Freundin hat Nische und ich nicht???
Jo Malone war sehr schön, hat mir sehr gut gefallen: Natürliche Düfte, kleine Serien, ungewöhnlich, kreativ. Bald standen bei mir 7 (!) kleine JM-Kinder. Tja, wozu gehe ich arbeiten?
Ich bin es wert, mir etwas Schönes (Nische!) zu gönnen.
Nur… leider war ich von JM schnell gelangweilt. Es ist nicht meins… Konsum und Kaufsucht haben sich bei mir durchgesetzt. Ok, ich konnte es mir leisten, aber mein Selbstwertgefühl ist dadurch nicht besser geworden, im Gegenteil! Wenn ich so viel Wert bin, wie meine Parfumsammlung, dann ist es wirklich sehr traurig…
Mein Kumpel hat Recht, ich habe Kaufsucht… Jetzt arbeite ich daran und versuche etwas in mir selbst zu finden, was mir mein Selbstwertgefühl wieder geben kann.