Erster Kuss
Er wusste, dass es ein Fehler war und doch hatte er nicht mehr das Gefühl irgendetwas dagegen tun zu können. Sie hatten den Plan gemeinsam beschlossen und es als richtig erachtet und dennoch fühlte es sich einfach falsch an. Sheeva ballte die Fäuste und verfluchte, dass er sich so machtlos fühlte, obwohl es an ihm war alle Macht in den Händen zu halten. Er war der König und sein Wort war Gesetz! Dennoch konnte er dieses Mal die Entscheidung nicht allein tragen und hatte sich letztlich überstimmen lassen. Er war gegen den Plan gewesen und er fühlte tiefe Scham in sich, dass er jetzt nicht zu seiner Meinung stehen konnte.
Seufzend trat er auf den Balkon und blickte auf die Stadt hinab, die von fahlem Mondlicht beschienen wurde und die er, und Generationen seiner Vorfahren, erbaut hatten. Sie hatten sich vor langer Zeit auf eine Reise begeben und hatten naiv, wie sie waren, nach Lebensformen weit entfernt von ihrer Heimatwelt gesucht. Einfach, weil sie die Möglichkeit dazu hatten und neugierig waren. Dabei wussten sie bereits, dass sie nicht das einzige Leben im All waren. Schon lange bereisten sie das Weltall und hatten in ihrem Gebiet Ruhm und Ehre erlangt und sogar für Frieden unter den Völkern der Paradeianer und der A'Bor'Ra gesorgt. Aber Sieben Sternensysteme waren anscheinend nicht genug.
Sheeva lachte bitter. Seine Hände schlossen sich verkrampft um das Glas mit Wein und zerbrachen es schließlich. Sie wollten damals sehen, was die endlose Weite noch zu bieten hatte und fanden schließlich diesen Planeten.
Er war klein, einfach und mit Kreaturen, die verletzlicher nicht sein konnten. Die sich kaum selbst zu helfen wussten und dennoch eine unglaubliche Faszination auf sein Volk ausübten. Sie sahen sofort das Potential in ihnen und das sie nur einen kleinen Schubs in die richtige Richtung benötigten. Es war der Moment, in dem sie sich ihnen offenbarten und auch, wenn zunächst die Angst ihnen gegenüber vorherrschte, erlangten die Menschen schnell Vertrauen.
Und sie lernten – so unglaublich schnell, dass es sein Volk beinahe mit Stolz, wie für ein Kind, erfüllte. Sie starben nicht länger an Krankheiten, die man bekämpfen konnten, verhungerten nicht mehr, lebten nicht nur von Instinkten geleitet, sondern errichteten angeleitet ihre ersten Städte. Bauten Maschinen, die ihnen das Leben erleichterten und erfreuten sich an schönen Dingen, wie Musik, Malerei, Bildhauerei. Und Architektur. So wundervolle Gebäude, dass man noch in tausenden von Jahren Loblieder über Atlantis singen würde.
„Und sie haben uns betrogen!“, hörte Sheeva eine weibliche Stimme in seinem Kopf. Er erschrak nicht, denn er wusste schon seit Minuten, dass Atlantia da war und auch, dass sie seine Gedanken las. Auch wenn er es nicht guthieß, dass sie ihre Kräfte an ihm benutzte, nickte er und antwortetet auf die gleiche lautlose Art, wie es in seinem Volk normal war. Sprechen, denken, dass war ein und dasselbe.
„Ich weiß“, gab er zu und drehte sich langsam zu ihr um und zog sich die Splitter des Weinglases aus der Hand. Die Wunde blutete, jedoch begann sie sich bereits wieder sich zu schließen. Sheeva konzentrierte sich auf den Schmerz und ließ in abklingen, bis die Wunde nur noch ein dünner, weißer Strich war. Dann seufzte er wieder, blickte zu der Karaffe mit Wein und ließ sie und zwei Gläser zu sich heranschweben. „Dennoch glaube ich, dass das was wir vorhaben falsch ist. Zu … drastisch“, erklärte er und goss sich beiden ein.
„Zu drastisch?!“, rief Atlantia laut aus und fuhr dann telepathisch fort. „Sie haben unsere Toten geschändet! Sie haben ihnen die Seelen genommen!“ Atlantias Hände zitterten, während sie einen großen Schluck nahm und dann brach es laut aus ihr heraus: „Wir gaben ihnen all das“ sie zeigte auf die hell erleuchtete Stadt dort draußen „und sie … sie bauen Maschinen, die uns nach unserem Tod die Seelen rauben! Keine der Energien ist in der Seelenwelt angekommen … sie … sie … sind dort drin und sie bedienen sich daran, als wäre es ...“ sie hielt den Wein hoch „als wäre es ein Getränk, das sie unbesiegbar macht.“
„Sie wollten sein, wie wir“, schloss Sheeva. Es war eine reine Feststellung und hieß keinesfalls gut was geschehen war. Es würde Konsequenzen geben und die sah so aus, dass sie diesen Planeten verließen und nie wieder kamen. Aber alles andere, war nicht in Ordnung. Was sie noch tun würden, war nicht in Ordnung!
„Es ist in Ordnung!“, schrie Atlantia. „Ich würde diesen Planeten aus dem Weltall tilgen!“ Sie atmete tief durch und näherte sich Sheeva, der ihre innere Verzweiflung fühlte und sie in den Arm nahm. Schon lange waren sie sich versprochen und doch hatte er sich ihr nie weiter genähert, weil er das Gefühl hatte, dass da eine Barriere zwischen ihnen war. Aber nun hatte sich etwas verändert. „Aber ich weiß, dass du diese Art von Gewalt verabscheust“ , fuhr sie still fort und legte den Kopf an seine Brust, seinen schnellen Herzschlag spürend. „Ich respektiere das, weil du mein zukünftiger Gemahl bist, aber … Du kannst sie nicht unbestraft lassen.“
„Das werde ich nicht.“
Das wollte er wirklich nicht, dennoch fühlte er sich mit seinem Plan unwohl. Denn dieser war nicht so drastisch, wie den Planeten in die Luft zu jagen, aber es würde das Volk von Atlantis vernichten und einige seines Volkes mussten vorher noch leiden. Aber es war das Beste was sie tun konnten und dennoch wollte er es nicht.
Sie würden sich selbst vergiften. Ihre Seelen würden infiziert werden, mit einer Krankheit, die sie das Verglühen nannten. Viele seines Volkes würden daran sterben. Die, die sich opfern wollten, obwohl es heilbar war. Ihre Seelen würden dann aus dem Körper brechen, von den Maschinen der Atlanter aufgesogen werden und das Volk von Atlantis vergiften, bis sie nach Generationen die Kontrolle über ihre gestohlenen Kräfte verloren.
Das war der Plan, aber …
„Ich kann das nicht!“, beschied Sheeva. „Es ist falsch! Für uns, für sie. Es ist nicht richtig und es wird nicht passieren!“
Atlantias Blick wurde kalt.
„Ich wusste, dass du so denkst, mein Gemahl“, sagte sie leise und hob traurig den Kopf. „Aber der Gedanke macht mich krank. Es tut mir so weh, wenn ich daran denke, wie all diese Seelen leiden müssen … ich ...“ Sie brach ab, als die Tränen über ihr Gesicht liefen. Sheeva blickte sie mit einem betroffenen Ausdruck an, legte seine Fingerspitzen unter ihr Kinn und hob es an.
Noch nie hatten sie sich so nahe berührt. Es gab keinen Grund. Sie hatten Gedanken geteilt, aber ihm war nie danach gewesen ihr körperlich nahe zu sein. Aber nun spürte er, dass sie das brauchte.
Langsam beugte er sich nach vorn, sah wie sie die Augen schloss und tat es ebenfalls, bis ihre Lippen sich berührten. Ihr erster Kuss. Die Berührung war leicht und sanft. Ihre Lippen schmeckten süß und … es brannte.
Entsetzt schob er sie von sich weg und starrte ihr aus großen Augen entgegen. Sie lächeltet nur.
„Was hast du getan?!“
Er schaffte es nicht, die Worte laut auszusprechen, weil sich seine Brust schmerzhaft zusammenzog. Er hustete, versuchte die Enge loszuwerden, um Luft zu holen, aber es ging nicht. Ihm schwindelte und er brach auf den Knien zusammen, würgte und hustete Blut. Und dann spürte er das Brennen. Es begann tief in ihm und entfesselte alle Kräfte, die in ihm schlummerten. Unkontrollierbar, zerreißend, keiner klaren Richtung mehr folgend. Dann brachen sie hervor, nahmen ihm das Leben, durch die Krankheit, mit der Atlantia in infiziert hatte.
„Du verdammte …!“, stieß er aus und stürzte sich in seinem Todeskampf auf sie. Sie brachen durch die Brüstung, stürzten hinab, bis der Boden ihrem Fall Einhalt gebot.
Beide Seelen verließen den Körper, stiegen auf und verbreiteten das Unausweichliche. Viele verglühten und Atlantis würde Geschichte sein, aber zwei Seelen suchten ihren Weg. Unruhig, lauernd in den Welten, bis ihre Zeit gekommen sein würde.