In der Mitte unseres kleinen Gartens steht ein vierzig Jahre alter Kirschbaum, dessen Blätter schon jetzt zu verfärben beginnen.
Er ist ein Säufer, der Stamm mächtig und die jährliche Ausbeute groß, was nicht immer schön ist. An die oberen Früchte ist kein Rankommen, sodass sie irgendwann herunterfallen und auf der Wiese gären.
Es ist also mit viel Arbeit verbunden.
Wenn er im Herbst alle bunten Blätter abwirft, und ich mich damit abmühe, sie zusammenzurechen, beginnt ein Krieg der Katzen um den Besitzanspruch über den Laubhaufen.
Die erste kommt, legt sich hinein, die zweite erwacht, schlendert dazu und denkt sich. "Nö Lily. Das ist meiner."
Wenn die Besitzerverhältnisse geklärt sind, verlieren sie das Interesse und die Arbeit mit dem Rechen kann von neuem angegangen werden.
Am Stamm hängt Bates Motel, das Insektenhotel, so von mir genannt, weil im September ein Spinnennetz die Lobby ziert und die Spinne ist der Concergie.
Vögel nisten nie im Baum.
Sie sind ja nicht vollkommen lebensmüde. Instinktiv wissen sie um die drei Katzen, die zum Haushalt gehören.
Und die Nachbarskatzen, die sich im Sommer hinzugesellen.
Aber manchmal ist doch was drin.
Wie Vorgestern.
Die Hälfte unseres Bungalows besteht im Prinzip aus einem Raum, das meint einem offenen Wohnzimmer-Esszimmer-Küchenbereich, durch einen breiten Bogen voneinander visuell getrennt, sodass ich, sitze ich am Esstisch, geradeaus auf die Terrasse gucke.
Aber sehe ich nach links, gucke ich durch ein bodentiefes Fenster genau auf den Kirschbaum. Der im übrigen von einem Wildblumenbeet umgeben ist, die Insekten-Wellness-Version von Bates Motel.
Da saß ich und las im Laptop bei Belle.
Unterdessen befand sich der Liebste in der nähe der "Stoiber-Hütte" (seit je her unsere Bezeichnung für bayrisch anmutende Gartenhütten) und bereitete den Beefer für die Hamburger-Pattys, selbstgemacht, vor.
Auf der Terrasse war schon gedeckt, alles stand fürs Abendessen bereit, ich wartete im Prinzip nur, bemerkte aber, wie Kater Bulut, der keineswegs unser Kater, sondern der von Nachbarn ist, auf unserem Zaun Höhe Terrasse balancierte und irgendetwas fixierte, das sich in Birtes (Nachbarin voraus) Garten befand.
Zunächst nicht ungewöhnlich.
Ungewöhnlich aber, dass Lily hinterher sprang, eine Katzenlänge hinter Bulut verharrte und in dieselbe Richtung stierte.
Ungewöhnlich deshalb, weil Lily Bulut nicht ausstehen kann, sie ihn also normalerweise schwer anzickt, was er mit der Geduld eines Mannes trägt, der in der Nähe einer göttlich schönen Frau verbleiben will, egal, wie bescheuert sie sich gebärdet.
Heißt; er scheint unglücklich verliebt.
Nun also gemeinsames Glotzen?
Egal.
Ich lese weiter.
Werfe einen Blick links aus dem Fenster und stutze angesichts der eigenartigen Katzenversammlung, denn die beiden haben ihren Posten auf dem Zaun an den Nagel gehängt und liegen jetzt, scheinbar entspannt vor dem Kirschbaum.
Bei genauerer Betrachtung finde ich eben dort auch Katze Günes, und bei noch genauerem Hinsehen Emma, Lilys Schwester, nur deswegen nicht gut getarnt im wild wuchernden Wildblumendurcheinander, weil sie überwiegend weiß ist.
Vier Katzen belagern einen Baum?
Nein, fünf, der Uraltkater Merlin unserer anderen Nachbarn liegt unter einer Gartenliege und guckt in dieselbe Richtung.
Es ist nicht die Anwesenheit so vieler Katzen, die verblüffend scheint.
Es ist ihr übersteigertes Interesse am Baum
Aber ich denke immer noch nichts, wenn überhaupt, dann; es wird wohl ein Vogel sein und der kann fliegen.
Ich lese weiter.
Der Gemahl holt die Pattys aus der Küche, der Beefer scheint bereit.
Im Augenwinkel sehe ich ihn dann bei der Hütte herum hantieren, aber ich sehe noch etwas anderes, das der Startschuss zu einer Art Massenpanik wird. Denn mit einem Mal ist die Ruhe dahin.
Aus dem Kirschbaum springt ein roter Schatten.
Ein Eichhörnchen.
In dieser Sekunde rasen alle los.
Vierundhalb Katzen (Merlin zählt mit seinem Hüftschaden nur halb) rasen wie ihres wenigen Verstandes völlig verlustig gegangene Irre hinter dem Eichhörnchen her, dass zuerst panisch gegen die Scheibe zur Küche springt und dann Richtung Garage, deren Tür zum Garten leider offen ist.
Ich rase auch.
Arme fuchtelnd in den Garten. "Tom!!! ein Eichhörnchen! Wir müssen ein Eichhörnchen retten!"
Ich flitze so schnell wie möglich dem Chaos hinterher, das sich zurück in den Garten verlagert hat. Vier Katzen in Aufruhr. Merlin hinterher humpelnd.
Ich Arme fuchtelnd und schreiend, mein Mann mit einem Holztablett und einer Fleischzange, und, das muss ich einräumen, wenig Intelligenten Gesichtsausdruck herum tappend und schon ist das Chaos vorbei.
Das Eichhörnchen düst über den Zaun, und ab in die Bluteiche nebenan, wo die Geschichte (siehe Zaunhocker) wohl ihren Anfang genommen hat.
Ein rotbuntes Blatt rieselt zu Boden.
Vier Katzen versuchen ihren Verstand wiederzufinden.
Merlin, dem das alles zu viel war, klappt unter Stöhnen seinen alten gebrechlichen Körper unter der Liege zusammen.
"Was war das denn jetzt?", blinzelt Tom, "Das war ja ein Eichhörnchen."
"Schrie ich doch. Aber jetzt ist es in Sicherheit."
Ist es. Ich hatte nie angenommen, ein so schnelles Tierchen einfangen zu können, um es vor diesen instinktgesteuerten kleinen Monstern zu retten. Aber so viel Aufruhr und Durcheinander in die Jagd zu bringen, dass jede einzelne Katze um mich herum flitzen müsse, so viel Geschrei, dass sie verwirrt sind.... das war das Ziel.
Confuse the cats.
Hat geklappt.