Harbek sah sich hektisch nach einer Deckung um, es missfiel ihm einem Kampf offen und ungeschützt entgegen zu treten. Seine Stärke lag viel eher im Angriff aus dem Verborgenen, dem Heilen der wahren Kämpfer oder dem Festhalten des Gegner, sodass seine Gefährten die Drecksarbeit machen konnten. Seit dem Bündnis hatte er für seinen Geschmack zu oft offensiv in den Kampf eingegriffen. Erst vorhin, als er den Ork von Alice gezerrt und seinen Schädel eingeschlagen hatte. Noch immer machte sich bei der Erinnerung ein säuerlicher Geschmack in seinem Mund breit.
Er nutze den Moment, in dem Vasil nach dem Nachttisch griff und nach Alice warf, um sie prüfend einzuschätzen. Die rothaarige Menschenfrau saß auf dem Boden, die Hände schützend vor ihr Gesicht gehalten und warf sich zur Seite, als das Holz an der Wand zersplitterte. Sie hatte ihre Dolche bereits in den Händen, doch die dröhnende Stimme der Kommandantin ließ sie innehalten.
Harbek schaute zu der Orkfrau auf und versuchte ihre Kraft einzuschätzen, allerdings ohne großen Erfolg. Das Angreifen, Einschätzen und das meiste der Ehre gehörten in Alice Gebiet, nicht in seines. Doch die schien noch immer zu verdutzt, um sich, wie sie es sonst tat, furchtlos auf den Feind zu stürzen.
„Leg die Waffen nieder!“, schrie Keedas Stimme gegen das Brüllen der Kommandantin an, „Leg sie nieder und lass uns erneut über den Vertrag sprechen!“ Die Drow hatte einen Pfeil angelegt und zielte sorgfältig auf die massige Stirn der Orkfrau. Ihre Augen huschten kurz zu Alice hinüber, die sich endlich aufrappelte.
„Ihr wollt mir Gnade erteilen? Ihr wollt über Frieden sprechen nachdem ihr meine Männer getötet habt und das Gleiche mit mir tun wolltet, im Schlaf. Erstickt an euren heuchlerischen Worten, das ist meine Antwort auf euer Angebot.“ Die Kommandantin spuckte angeekelt aus und sah jeden von ihnen hasserfüllt an. Ihre Größe und Stärke gaben ihr einen natürlichen Vorteil, doch selbst sie musste erkennen, dass ihre Lage aussichtslos war.
„Dann habt ihr euer Schicksal gewählt“, entgegnete Keeda düster und sah erwartungsvoll zu Alice hinüber die für einen Moment in stiller Trauer die Augen schloss. Als sie sie öffnete schaute sie Vasil flehentlich an, „Seid ihr euch sicher?“
Die Kommandantin bleckte die spitzen Zähne und knurrte boshaft, „Euer Tod wird qualvoll sein!“ Sie sprang mit einem Satz von den seidenen Decken auf und warf sich mit erhobener Axt auf Alice.
Harbek konnte und wollte nichts anderes tun, als den Kampf als stiller Beobachter zu verfolgen. Von der Heilung des Orks, für den der Tod gnädiger gewesen wäre als das Leben, waren seine Arme schwer geworden. Das Atmen viel ihm schwer, die Luft erschien ihm zu zähflüssig und seine Lider waren zu träge, um die Bewegungen der Kämpfer zu verfolgen. Müde konzentrierte er sich ein letztes Mal und spürte wie ihn die Kälte durch die Adern lief. Seine Finger wurden taub und seine Lippen begannen zu zittern, während er sich müde an der Wand hinab sinken ließ. Den blauen Lichtschein, der sich spiralförmig aus der Spitze seines Zepters und als blaugoldener Nebel über den Boden ergoss, war nur ein grelles Aufblitzen hinter seinen geschlossenen Lidern.
***
„Harbek. Harbek steh auf!“, schrie Keeda dem schlafenden Zwergen zu, der zusammengesunken an der Wand lehnte. Sie stoppte für einen Moment den Pfeilhagel den sie auf Vasil abfeuerte und sah zu ihren nebelumspühlten Füßen hinab, von denen aus neue Kraft durch ihren Körper floss. Diesen Zauber hatte Harbek schon einmal gesprochen, doch damals hatte er danach tapfer an ihrer Seite und nicht dem Tode nahe in der Ecke gekauert.
Sie hob gerade rechtzeitig den Kopf, um zu sehen wie die Kommandantin einen der Sessel hoch über den Kopf hob. Alice versucht den Moment ihrer Schutzlosigkeit zu nutzen, doch Vasil ließ das dunkle Holz und die hellen Kissen krachend auf sie nieder regnen. Sie schrie auf und warf sich nach hinten, dennoch wurde ihre Schulter erwischt. Keeda sah das mordlüsterne Glitzern in ihren Augen zu spät, denn da stürzte sich Alice bereits mit von sich weg gestreckten Dolchen auf die Kommandantin. Fluchend schoss Keeda wieder einen Pfeil auf die Orkfrau ab, doch wie schon zuvor blieben sie im grauen Fleisch stecken ohne das Vasil auch nur gezuckt hätte.
Sie scheint keinen Schmerz zu spüren, stellte Keeda mit Schrecken fest und beobachtete mit schreckgeweiteten Augen wie das Monster Alice Handgelenke packte und sie mit einem Ruck nach hinten bog, während diese beide Klingen in ihrer Brust vergrub. Abermals schrie Alice auf und entwand sich mühevoll aus dem festen Griff der Kommandantin. Vasil brach den Pfeil ab, den Keeda zuvor in ihren Fuß und durch den Boden geschossen hatte und hob triumphierend die Axt.
Alice griff derweil hektisch nach ihren Dolchen, doch anstatt zurück zu weichen, warf sie sich der blanken Klinge entgegen.
Keedas Muskeln reagierten noch vor ihrem Verstand und mit einer Geschwindigkeit die allein den Elfen zu eigen war, warf sie sich vor Alice. Instinktiv packte sie das Handgelenk der Kommandantin und schaffte es den Schlag abzuwenden. Den Bogen ließ sie fallen als die Orkfrau wütend zischte und die Axt aus den breiten Holzdielen brach. Sie zog ihren Dolch, der ihr nun lächerlich klein wirkte.
„Reiß dich zusammen Alice!“, schrie sie nach hinten und sprang hinter die Kommandantin. Der Kampf aus der Nähe war ihr schon immer zu wieder gewesen. Der unmittelbare Kontakt, das Blut und das ständige Ausweichen waren ihr verhasst, doch wenn Alice der Vorstellung verfallen war, sich in eine scharfe Axt zu werfen, musste sie wohl oder übel diesen Job übernehmen.
Der Priester liegt bewusstlos im Dreck und die Assassine hat den Verstand verloren, dachte Keeda frustriert und hoffte das wenigstens der Zwerg wieder in den Kampf eintreten würde.
„Alice!“, schrie sie erneut und wehrte einen weiteren Schlag der Kommandantin an, die sich ihrem Sieg immer sicherer wurde.
„Erspare dir die Hoffnung, kleiner Wurm“, knurrte die Orkfrau wütend und grinste boshaft. Alice rappelte sich hinter der Kommandantin mühsam auf und zog zischend ihre Dolche.
„Keeda weg da!“, schrie sie und sprang mit einem Satz zwischen die Drow und die Orkfrau. Sie stieß Keeda zur Seite und duckte sich abwartend, wobei sie die Kommandantin abschätzig taxierte. Die Drow stolperte bei Alice Stoß und griff erleichtert nach ihrem Bogen, der noch immer auf dem Boden lag.
„Vasil Bloddscar, sieh dein Scheitern ein. Es muss nicht auf diese Art enden“, versuchte es Alice, doch die Kommandantin lachte spöttisch.
„Ich scheitere nicht, ich … ah!“ Vasil schrie erschrocken auf als Keeda mit einem Sprung auf ihrem Rücken landete und ihren Bogen um den breiten Hals der Kommandantin legte. Sie warf sich nach hinten, die Sehne schnitt tief in die gräuliche Haut und Vasil stürzte aus dem Gleichgewicht gebracht nach hinten. Keeda stöhnte auf, als sie das Gewicht der Orkfrau auf sie traf und ihr die Luft aus den Lungen trieb.
„Bring es zu Ende!“, ächzte sie unter der schweren Last und bäumte sich auf, als Vasil versuchte aufzustehen, „Alice!“
Alice ragte unschlüssig über ihr auf, die Klingen in der Hand, doch ihre Augen waren weit aufgerissen.
„Vasil Bloddscar“, krächzte sie mit belegter Stimmer, „Das hier ist deine letzte Chance.“ Vasil schrie gepeinigt auf und fluchte wüst, als sich die Sehne noch tiefer in ihre Haut grub. Plötzlich weiteten sich ihre Augen und ein wildes Lachen ließ ihren Körper beben.
„Kragmar“, knurrte sie aufgebracht, „Töte diese Würmer!“
Alice fuhr augenblicklich zum Eingang herum und sah sich dem Hordenaführer gegenüber stehen, der regungslos die Szenerie beobachte. Bei Vasils Stimme zuckte er zusammen und zog seinen Morgenstern aus dem breiten Gürtel.
„Kragmar, nicht!“ schrie Alice und stellte sich dem Ork in den Weg. Er schob sie achtlos zur Seite, doch als sie ihm warnend eine ihrer Klingen über die bemalte Brust zog schleuderte er sie wild knurrend zu Boden.
Die Holzdielen erbebten, als er mit schweren Schritten vor der noch immer am Boden zappelnde Kommandantin stehen blieb und in ihr manisch grinsendes Gesicht sah.
"Töte sie alle!"
Er erwiderte ihr Lächeln und würdigte die, noch immer unter der Kommandantin liegende, Keeda keines Blickes bis er seine Waffe über ihr erhob.
„Mit Blut und Ehre.“