60 min - Ein Lichtblick
„Bist du verrückt!?“, rief Leopold Maximilian von Dunkelfels empört. „Das Licht! Viel zu hell!“
„Hey, Leo, wir haben Winter. Und der Himmel ist bedeckt, alles halb zu wild!“, beruhigte Bastian. „Die paar Lux werden dich nicht umbringen.“ Trotzdem ließ er seufzend den Rollladen wieder runter. „Dass du auch immer so empfindlich bist!“
Der Adlige zupfte sich unbehaglich an seinem steifen Stehkragen, bevor er einen imaginären Fussel von seinem Ärmel wischte. Eine Angewohnheit, die er sich in all den vielen Jahren nicht abgewöhnen konnte. „Ich muss aufpassen. Schließlich ernähre ich mich seit Monaten nur noch von Konserven!“
„Ja ja, Corona, nicht wahr?“ Trotz des ernsten Themas konnte sich sein Freund ein Grinsen nicht verkneifen. „Darunter leiden wirklich alle, sogar DU!“
„Sehr witzig!“ Leopold runzelte die Stirn. „Ich wollte wissen, wie es dir ginge, wenn du seit Monaten keine warme Mahlzeit mehr zu dir genommen hättest.“
„Keine frische warme Mahlzeit, meinst du wohl, Kumpel.“ Bastian fuhr sich durch sein strohblondes kurzes Haar. „Schließlich erwärmen wir deine Konserven. Schön vorsichtig im Wasserbad, unter ständigem Rühren und Anwenden eines Thermometers. Damit ja kein Vitaminchen entflüchtet und der gnädige Herr keinen Mangel erleidet.“
„Oh Mann!“ Sein Gegenüber schüttelte ungehalten den Kopf. „Du hast echt Nerven!“
„Du müsstest dich ein wenig anpassen!“ Der Blonde musterte seinen Kameraden mit einem schiefen Grinsen. „Soooo auf jeden Fall kannst du nicht hinausspazieren. Ob Ausgangssperre, Lockdown oder was auch immer gerade wieder als Sau durch das Dorf getrieben wird. Du fällst auf mit diesem altmodischen Klump.“
„Das ist kein altmodischer Klump, sondern Stil. Mode!“
„Die längst nicht mehr in ist seit sagen wir…. 300 Jahren? Oder wie lange trägst du diesen Staubfänger schon?“
Leopolds Augen funkelten. „Besser als deine Kleidung, die du da trägst. Keine Qualität. Du kennst nicht einmal den Schneider, der sie entworfen hat.“
„Da gibt es wohl keinen. Hergestellt leider durch die armen Leute aus Bangladesch. Leider!“ Bastians Blick war schuldbewusst, bevor er wieder zur Sache kam. „Aber zurück zur Sache … so kannst du nicht hinaus in die freie Wildbahn.“
„Es ist doch dieser komische Lockdown, oder nicht! Davon abgesehen, dass ich auch aus bekannten Gründen nicht hinausgehen kann!“
„Wir sollten trotzdem üben!“ Die Laune des Blonden war ungetrübt. „Schließlich ist bald Weihnachten. Und du weißt, was wir ausgemacht haben.“
„Ja natürlich! Und ich halte meine Versprechen!“ Leopolds Nasenflügel flatterten leicht. Fast wie bei einem Tier, das Witterung aufnimmt. „Obwohl du weißt, wie ich diesen Humbug hasse…“
Sein Freund kicherte. „Logisch! Das liegt ja wohl in der Natur der Sache. Aber an Weihnachten wird gelockert, zumindest ein bisschen, und meine Eltern freuen sich schon sehr darauf, dich kennenzulernen. Es ist für sie ein Lichtblick, dass ich endlich jemanden gefunden habe, auch wenn mein Partner quasi nicht direkt ins Licht blicken kann mit seiner Licht- und Sonnenallergie!“
„Wenn du es so bezeichnen magst, bitte!“ Der Adlige zuckte mit den Schultern. „Ein normales schwules Pärchen also, oder?“
„Genau! Du wirst sie mögen!“
„Und das soll funktionieren?! Sollen wir dann die ganze Zeit händchenhaltend auf den Stühlen sitzen und uns verliebt anstarren?“
„Wenn du willst, ja. Würde vielleicht von deinen Eigenheiten etwas ablenken.“
Leopold schnaubte verächtlich. „Ganz bestimmt nicht. Ich mag das alles nicht. Keinen Weihnachtskitsch, keinen Gloria Singsang, kein Weihnachtsmann und kein Christkind. Und auch nicht, wie ein verrückter eitler Geck dich anzustarren und allen meine Gefühle zu dir zu offenbaren. Es reicht, wenn sie es wissen.“
„Oh ja, mein vornehmer altmodischer Leo. Aber genau dafür liebe ich dich!“ Bevor der Andere es verhindern konnte, hatte sich Bastian schon vorgebeugt und küsste seinen Freund sanft und kurz auf die rechte Wange. „Und ich habe sogar schon ein Geschenk für dich. Ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk. Toll, oder?“
„Ein Geschenk?“ Der Adlige schien verwirrt. „Für mich?“
„Ja, warte hier. Ich habe es letzte Woche gekauft. Warte einen Moment!“ Der junge Mann verschwand kurz in das Schlafzimmer und kam nach wenigen Minuten mit einem kleinen Päckchen zurück. „Ich hatte es sicherheitshalber in meinem Nachttischschrank eingeschlossen, ich kenne ja deine Neugierde.“
„Du weißt aber auch, dass ich deine Privatsphäre immer geachtet habe.“ Misstrauisch starrte Leopold das Päckchen an; als wäre es ein Feind, den es zu bekämpfen galt. „Was ist das drin?!“
Bastian seufzte. „Mein lieber Leo, eine weitere Lektion in Sachen moderne Welt – dies ist ein Geschenk. Und es ist verpackt, das haben Geschenke so an sich. Sie sollen überraschen. Wenn ich dir sagen würde, was ich gekauft habe, dann hätte ich mir die Mühe gar nicht machen müssen!“
„Was heißt das jetzt?“
„Pack es einfach aus, du umständlicher Adelsknochen“, erklärte der Blonde lachend und kniff seinen Freund in den Arm. „Du wirst es gut brauchen können, wenn wir meine Eltern besuchen. Passend zum Lichtblick, sozusagen.“
„Ich verstehe die Menschen oft einfach nicht“, knurrte Leopold leise. Trotzdem schickte er sich an, der Aufforderung Folge zu leisten. Ungeduldig riss er an dem Papier. Offensichtlich war er neugieriger, als er es zugeben konnte.
Ungläubig blickte er auf den Inhalt. „Du schenkst mir ein Brillenetui?“
„Nein! Natürlich nicht! Oder nicht nur! Jetzt mach schon auf!“
„Du weißt schon, dass es so ziemlich das Unlogischste ist, einem Vampir, der naturgemäß Augen hat, die den deinen tausendfach überlegen sind, solch eine Lesehilfe…“
„Labere nicht! Schau sie dir doch einfach mal an!“
Zweifelnd öffnete Leopold das Etui. Eine schicke, moderne Sonnenbrille kam zum Vorschein.
„Ich weiß, du magst es nicht so modern. Aber ich habe meinen Eltern erzählt, du hättest überempfindliche Augen. Und diese Gläser sind die Dunkelsten, die ich finden konnte. Damit siehst du dann richtig schick aus!“
„Ich weiß nicht…“
„Komm, setze sie auf und betrachte dich im Spiegel.“
Zögernd folgte Leopold seinem Freund, der schon aufgesprungen war und zum Schlafzimmer rüber geeilt war. Aufgeregt hüpfte der Blonde vor dem großen Schrankspiegel umher.
„Nun lass mich nicht länger warten.“
„Ist ja gut, ist ja gut.“ Nun umspielte doch ein leichtes Lächeln die Lippen des Untoten. Es war berührend, wie sich Bastian über solche kleinen Dinge freuen konnte. Eien Sache, die Leopold Maximilian von Dunkelfels nach hundert Jahren Lebenserfahrung schwerfiel, ihm aber dank seines Partners doch immer öfters gelang.
Und gut, dass die Behauptung eines fehlenden Spiegelbildes bei Vampiren dem Reich der Sagen und Legenden zuzuordnen war.
Theatralisch nahm Leopold den einen Bügel der Brille in die Hand, um sie schließlich langsam und gemächlich vor seinen Augen zu positionieren.
Er musste Bastian recht geben. Wenn auch ungewohnt, so stand ihm diese Brille durchaus. Und die dunklen Gläser vor den Augen hatten etwas sehr Beruhigendes an sich.
„Und – ist das jetzt … cool genug für ich, Bastian?“
Ein breites Grinsen war die Antwort. „Das ist perfekt, Leo. Nun musst du nur noch die moderne Kleidung anprobieren, die ich dir gekauft habe!“
„Was! Du hast …“
„Schmoll nicht!“ Der Blonde trat von hinten an den muskulösen Körper seines Freundes und umschlang ihn von hinten. „Das dauert nicht lange. Und ich dachte anschließend an eine Premiere. Dein zweites Weihnachtsgeschenk, sozusagen!“
„Ein zweites Weihnachtsgeschenk?! Was denn noch?“, stöhnte der Vampir auf.
„Wir sprachen doch vorhin davon, dass du dringend mal wieder frisches Essen brauchst“, erklärte Bastian dem verdutzten Bluttrinker. „Und da du aktuell nachts nicht nach draußen gehen kannst…“