Frohgemut lief Sunny zur Hintertür.
Das Geräusch ihrer vier Pfoten auf dem Laminat verbreitete Munterkeit, und sie genoss den immer gleichem morgendlichen Ablauf.
Während ihre Gefährtin Räuberle erst noch einen Abstecher in die Küche machte und ein paar Happen Futter sowie einen kräftigen Schluck Wasser als eine Art Vorfrühstück zu sich nahm, um dann im Anschluss, immer noch verschlafen, Sunny zu folgen, trappelte diese ungeduldig, wie jeden Morgen, und stupste mit der Schnauze gegen die Tür.
Frauchen sollte sie endlich aufmachen!
Frauchen, die wie Räuberle ebenfalls jeden Morgen reichlich verschlafen war, ließ sich auch heute wieder Zeit. Mpf. Na, man konnte ja schon froh sein, wenn sie nicht erst auf dieser seltsamen zischenden Maschine so ein widerlich riechendes Gebräu herstellte und trank, bevor sie einen in den Garten ließ.
Ach, es war schon anstrengend, wenn man der einzige im Hause war, der den Morgen mit der gebührenden Wertschätzung und Munterkeit begann.
Na, nun dauerte es aber wirklich zu lange. Sunny kläffte kurz, aber ausdrucksstark.
Immerhin hatte sie im Garten bedeutsame Geschäfte zu erledigen. Als erstes musste man einmal schnuppern, wer sich über die Nachtstunden so im Garten herumgetrieben hatte.
Seit sie und Räuberle im Frühjahr noch als Welpen hierher gebracht worden waren, war es immerhin ihrer beider Aufgabe, das Haus und seine Bewohner zu beschützen, nicht wahr? Sie beide waren keine Geschwister, Räuberle stammte aus einem anderen Wurf und war etwa vier Wochen älter. Aber sie waren beste Freundinnen geworden und hätte für Frauchen und Herrchen und deren beider Menschenwelpen ihr Leben gegeben. Na, und da musste man doch dafür sorgen, dass kein Gelichter sich in ihren Garten schlich, dass dort nichts zu suchen hatte!
Also - man musste schnüffeln und alles im Blick behalten.
Der Igel, der unter dem Laubhaufen hinten in der Gartenecke schlief, war keine Gefahr.
Manchmal schlichen Katzen aus der Nachbarschaft hier herum. Na ja, die waren zwar meist samtpfotige Strolche und man konnte ihnen nicht trauen, aber gefährlich waren die auch nicht.
Der Spatzenvater im Heckenrosengebüsch, der im letzten Sommer seine flügge gewordenen Jungen mit wüstem Geschimpfe, wie es bei Spatzens eben üblich war, in ihr Erwachsenenleben entlassen hatte, lebte nun mit Madame Spatz geruhsam in ihrem Nest. Sie schliefen viel, tschilpten wenig und man musste ihnen daher nicht wirklich Beachtung schenken.
Vielleicht waren noch Spuren von ein paar Spitzmäusen und ähnlichem Gezücht zu erschnüffeln, nun ja, aber wenn sonst nichts ungewöhnliches im Garten vorgefallen war, konnte man als Abschluss der Kontrollrunde erst einmal das Beinchen heben und die Büsche begießen.
„Düngen“, wie Herrchen immer sagte, und das klang wichtig, nicht wahr?
Schritte erklangen auf dem Laminat, weiche Schritte von zierlichen Damenpantoffeln. Frauchen kam also endlich. Na, das wurde aber auch Zeit!
Frauchen strich Sunny einmal über den Kopf und ruffelte ihr die Ohren.
„Na, ist ja schon gut, meine Kleine“, sagte sie, und dann öffnete sie für ihren ungeduldigen jungen Hund die Tür.
Fröhlich wollte Sunny nach draußen stürmen.
Doch dann blieb sie wie angewurzelt stehen.
Der Garten war weg!
Nun, zumindest sah das, was sich da vor ihr erstreckte, völlig anders aus, als man es gewohnt war.
Alles, was sich gestern noch hier befunden hatte - Büsche, Laub, vom Wind herunter gewehte Zweige, die herbstbraun vertrockneten Asternköpfe hinten im nun kahlen Blumenbeet, der Haselnuss - und der Weidenbaum, beide blattlos und wintermüde, waren fort, und statt dessen sah man nur eine Decke in Weiß.
Sie schien alles zu bedecken - ja, jetzt wo Sunny genauer hinsah, fiel es ihr auf: Es war alles noch da, aber es war zugedeckt!
Sunny bellte.
Räuberle bequemte sich nun endlich, ihr Vorfrühstück zu beenden und sich an die Seite ihrer Gefährtin zu trollen. Sie wunderte sich, warum Sunny wie erstarrt und doch mit neugierig umher schweifendem Blick in der Tür stand und wollte an ihr vorbei stürmen.
Doch kaum hatte sie ein paar Schritte in den Garten gemacht, blieb sie stocksteif stehen und sah sich um.
Wuff.
Was war hier los?
Und außerdem wurde es so eigenartig kalt an den Pfoten!
Mit einem leisen Winseln zog sich Räuberle zurück, bis sie wieder auf dem sicheren Boden der schwarz- weißen Bodenkacheln des Hauses stand.
„Das ist der erste Schnee, den ihr beide erlebt, nicht wahr?“, sagte Frauchen.
Natürlich verstanden die Hunde kein Wort.
Aber sie spürten die Ruhe und Freude in Frauchens Stimme und spürten, dass es keinen Grund gab, vor dem, was auch immer mit dem Garten geschehen sein musste, Angst zu haben.
Also schleckte Sunny Räuberle ermutigend mit der Zunge über die Schnauze und setzte vorsichtig eine Pfote in das weiße Zeug.
Puh, das war wirklich kalt.
Aber sie wollte nicht zurück weichen.
Es galt ja doch dennoch, Frauchen zu schützen, und im Garten hatten sie und Räuberle die unumstrittene Herrschaft, und das konnte man schließlich nicht einfach so aufgeben, nur weil da über Nacht etwas geschehen war, was man nicht kannte!
Na also.
Sie schob sich vorwärts. Ihre Pfoten sackten ein und, ja, kalt war es weiterhin. Aber irgendwie fühlte es sich auch lustig an.
Die Welt roch anders, aber nicht schlecht. Irgendwie sauber und frisch.
Sunny begann, mit dem Schwanz zu wedeln. Ihre buschige Rute klopfte auf den Schnee, und das kalte weiße Pulver stiebte.
Räuberle gab etwas von sich, was für die Menschen sicher wie ein Kläffen klang, was ihre Freundin aber ganz richtig als Kichern interpretierte.
Dann nahm sie ihren Mut zusammen und begab sich ebenfalls nach draußen.
Sie sprang ein paar mutige Sprünge in den Schnee, stieß gegen einen Zweig des Haselgebüsches und so stiebte das weiße Zeig nur so und hüllte Räuberle in eine weiße Wolke ein.
Sunny lachte nun lauthals, und Räuberle stimmte nach einer Schrecksekunde ein.
Monsieur und Madame Spatz regten sich schrecklich auf: wenn hier jemand in so früher Morgenstunde den Garten mit Lärm in Alarmbereitschaft versetzen durfte, waren immerhin noch sie das!
Der Igel unterm Laub wurde von alledem nicht angefochten. Er schlief den Schlaf - ob nun des Gerechten oder nicht, sei mal dahingestellt, dazu hätte so manch ein zu früh verschiedenerer, weil vom Igel verspeister Regenwurm das seine zu sagen gehabt - jedenfalls schlief er und bekam von alledem nichts mit.
Die beiden Hunde jedoch hatten Spaß an der Sache gefunden und tobten durch den frischen neuen Schnee.
Als dann einige Zeit später die beiden Tiere, trocken gerubbelt vom dicken flauschigen Handtuch und Frauchens zierlichen, kleinen Händen, zufrieden auf der Decke lagen und sich ausruhten; als Herrchen in dem gemütlichen Sessel am Kamin saß und sein geliebtes Frauchen auf dem Schoss hatte, seine Hände mit ihren schmalen Fingern verwunden; als die Kinder des Hauses in ihrem Kinderzimmer fröhlich spielten; da lag eine Atmosphäre der tiefsten Zufriedenheit über dem Haus. Der Zufriedenheit und Liebe.
Und der Igel unter dem Laubhaufen schnaufte leise.
* * *
Die Idee zu den beiden Hunden hat mir mein Tochterkind geliehen.