Triggerwarnung: Trauerverarbeitung
Sie betrat zum ersten Mal seit der Beerdigung wieder das Haus ihrer Großmutter.
Seit Tagen hatte sie mit sich gerungen. Aber irgendjemand musste das Haus ausräumen. Es waren nicht die physischen Dinge, an denen sie hing und was ihr wehtat, es waren ihre Emotionen. Sie konnte jedem Zimmer, nein jeder Ecke des Hauses, eine Erinnerung zuweisen.
Sie war als Kind oft hier gewesen. Auf der Eckbank hatte sie gesessen, während ihre Großmutter einen leckeren Kuchen oder Kekse gebacken hatte. Im Wohnzimmer hatte sie oft im großen Sessel, der einst ihrem Großvater gehört hatte, sitzen dürfen, während ihre Großmutter ihr vorgelesen hatte.
Sie lächelte bei der Erinnerung. Ihren Großvater hatte sie nie kennengelernt.
Doch ihre Mutter hatte gemeint, dass sie sich geehrt fühlen sollte dort sitzen zu dürfen, als sie es erzählt hatte. Die Geschwister ihrer Mutter und ihre Mutter selbst hatten sich dort nie setzen dürfen.
Ihr Weg führte sie ins Obergeschoss des kleinen Hauses. Dort gab es ein kleines Bad und ein Schlafzimmer. Dort hatte sie neben ihrer Großmutter geschlafen, wenn sie als Kind und auch noch als Jugendliche übernachtet hatte.
Das Bett stand da wie immer. Sorgsam aufgeschüttelt und glatt gezogen. Im Badezimmer gab es auch keine Staubreste.
Ihre Oma war unvorhergesehen gestorben. Keine Vorerkrankungen. Sie musste sich eine Träne verdrücken.
Jetzt stand sie vor der Treppe in den Dachboden. Der einzige Ort, an dem sie noch nie gewesen war. Sie stieg die knarzigen Stiegen hinauf und staunte über das was sie erwartete.
Dort standen jeweils zwei Kisten an der linken und rechten Wand. Sie öffnete die erste an der linken Wand. Dort fand sie Bilder, die viele Menschen darstellten, die sie nicht kannte. Die Kiste daneben enthielt neuere Bilder. Sie fand auch Kinderbilder von sich.
Sie ging neugierig auf die Kisten an der rechten Wand zu. Dort öffnete sie die erste und fand Briefe. Briefe, die ihre Großmutter an ihren Großvater geschrieben hatte. Und in Kiste daneben fand sie die Tagebücher ihrer Großmutter. Sie saß neben der Kiste nieder und begann zu lesen.
Sie hatte einen Band erwischt, der das Leben ihrer Großmutter als junge Frau begleitete. Sie las über das Kennenlernen ihrer Großeltern und den Bau des Hauses.
Das nächste Buch war erst vor wenigen Tagen beendet worden.
Sie schwebte mit den Fingern über den letzten geschriebenen Worten der Frau, die sie kürzlich zu Grabe getragen hatte.
Eine Träne verlies ihr rechtes Auge und verschmierte die Tinte, mit der in das Tagebuch geschrieben wurde.
Sie klappte das Buch zu und hielt es an ihre Brust. Sie hatte die Verbindung zu ihrer toten Großmutter in deren alten Tagebüchern gefunden.