Fortsetzung von "Schneegestöber":
Gideon kletterte immer höher hinauf, bis er den mit Eis überzogenen Gipfel des Berges erreicht hatte.
Es konnte nicht mehr lange dauern.
Es durfte nicht mehr lange dauern, bis er sie wieder sah.
Dieser verfluchte Zauberer. Wenn Gideon nur wüsste, wie er aus diesem Gemälde herauskommen könnte.
Er starrte in die öde weiße Wildnis, die sich meilenweit vor ihm erstreckte.
Seit fast einem Jahr war er schon hier. Obwohl das wirklich schwer zu sagen war, denn es gab in diesem Bild keinen Jahreszeitenwechsel.
Gideon hatte keine Ahnung, warum plötzlich Leute aus Storybrooke hier strandeten. Seit etwa zwei Tagen tauchten sie hier auf. Und immer mitten in einem Schneesturm. Als ob dieser sie direkt hierher gebracht hätte.
Er hatte andere Sorgen.
Die Piratenkapitänin Franka, bei der er vorletztes Jahr als Schiffsmagier angeheuert hatte, war in Streit geraten mit Zorbard, dem mächtigsten Zauberer des Landes im Norden von Atlantis.
Die Tochter der Kapitänin, Luise, wurde während dieses Streits von Zorbard entführt.
"Luise." Gideon schloss die Augen und ballte die Fäuste zusammen.
Die junge Frau und er waren schon bald nach seiner Ankunft auf dem Schiff aufeinander aufmerksam geworden.
Sie hatten keine Gelegenheit gehabt sich über ihre Gefühle zu unterhalten. Bis es zu spät war.
Ungestüm und unbedacht hatte Gideon sich ohne Plan alleine aufgemacht um sie zu retten.
Es war zum Zauberduell zwischen ihm und Zorbard gekommen.
An viel davon konnte sich Gideon nicht mehr erinnern.
Als er zu sich kam, fand er sich in dieser weißen Wüste wieder.
In hilfloser Wut auf sich selbst und seine ausweglose Situation ließ sich der junge Magus auf die Knie fallen. Der Schnee unter seinen Beinen schmolz. Seine Knie schmerzten wegen der Kälte.
Auf einmal löste sich all die Wut, all der Schmerz mit einem Urschrei aus seiner Brust.
Um ihn herum knackte es. Wenige Meter neben ihm rollte eine Lawine ins Tal.
Es interessierte ihn nicht.
Er war gefangen. Vielleicht für alle Ewigkeit.
Eingesperrt in diesem Gemälde, dazu verdammt von diesem Berggipfel aus in das Arbeitszimmer Zorbards zu schauen und - wenn er Glück hatte - ab und an Luise zu sehen, die dem Zauberer sein Essen brachte.
*
Killian hätte alles gegeben um mit seiner Tochter den Platz tauschen zu können. Nicht nur um sie in Sicherheit zu wissen, sondern auch weil er kein Auge zu bekam.
Jedes Mal, wenn er versuchte zu schlafen, suchten ihn Bilder heim von Schneestürmen und weißen Schneewüsten.
Das allein wäre ja nichts Schlimmes. Wenn nur nicht überall die erfrorenen Leichen seiner Freunde herumliegen würden.
Am schlimmsten waren die Bilder von Alice und Robin, die von Eiszapfen durchbohrt an die Wände eines gigantischen Eisberges gepinnt waren.
Es war drei Uhr früh. Der Vollmond schien hell durchs Küchenfenster herein und erhellte das Zimmer so sehr, dass Killian nicht einmal das Licht anmachen musste.
Dem Ex-Piraten lief ein kalter Schauer den Rücken hinunter. Er war nicht allein in der Küche.
Es dauerte einen Moment, bevor er den anderen erkannte.
"Prinz Erik?"
Dieser schreckte vom Stuhl hoch. Der Stuhl fiel krachend hinter ihm zu Boden und Killian zog reflexartig den Kopf zwischen die Schultern.
Der plötzliche Lärm trug nicht gerade zur Besserung seines vor Müdigkeit dröhnenden Schädels bei.
"Ich kann nicht schlafen. Ich kann einfach nicht schlafen." Die Finger des Monarchen krallten sich an der Tischplatte fest. Im fahlen Mondlicht wirkten sie wie kleine weiße Eiszapfen.
"Ich werde wahnsinnig! Überall sehe ich Leichen und... und Arielle, sie..."
Erik verfiel in haltloses Schluchzen. Sein ganzer Körper wurde durchgeschüttelt. Krank vor Sorge und vom Schlafmangel völlig geschwächt sank er immer tiefer, bis er auf dem Boden zu Sitzen kam.
"Aye." Killian setzte sich neben ihm hin. "Ich weiß. Die Eiszapfen sind das Schlimmste."
"Es ist wie in dieser alten Geschichte." Murmelte der Prinz, nachdem er sich einigermaßen gefangen hatte.
"Geschichte?"
"Ja, es ist eine Art Legende, über die ich einmal gestolpert bin, als ich nahe Atlantis mit dem Schiff unterwegs war. Ich hielt es damals für Seemannsgarn. Aber was, wenn es wahr ist?"
"Spann mich nicht auf die Folter Erik, worum geht es in der Geschichte?"
"Es ist die Geschichte von Zorbard, dem Meisterzauberer, der seine Gegner in Gemälde aus Eis und Schnee einzusperren pflegt. Ihre Körper bleiben in der Realität, aber ihr Geist wird gefangen und kommt nie wieder frei."
Gänsehaut zog sich von Killians Haarspitzen bis zu seinen Zehenspitzen.
Was sollte dieser Zorbard davon haben halb Storybrooke in ein Eisgemälde einzuschließen? Und wenn es tatsächlich er gewesen war, wie hatte er es geschafft die Coffee-To-Go-Becher so zu manipulieren, dass derjenige, der daraus trinkt in seinem Gemälde landet?
Während ein Teil von ihm sich diese und weitere Fragen stellte, übernahm der praktisch veranlagte Pirat in ihm wieder das sagen.
"Dann los."
"Was? Los? Wohin?"
"Nach Atlantis natürlich."