Immerhin hatte der Kommissar die Tür auf der Fahrerseite offengelassen. Immerhin das. Aber den Sitz umzuklappen, das war dann doch zu viel verlangt gewesen.
Mist. Dämlicher, blöder Mist. Er - Bolle - saß auf der Rückbank fest.
Auch die neue Tierärztin hatte ihm leider keinerlei Beachtung geschenkt, als sie aufgesprungen und mit ihren hohen Absätzen fast aus dem Auto gefallen war.
Der alte Berner Sennenrüde versuchte vergeblich, sich zwischen den engen Sitzen des uralten Fiats nach vorne durchzuschlängeln. Doch spätestens hinter dem Hals war Schluss. Da musste eine andere Lösung her. Eine, die seine Hüfte nicht zu sehr belastete.
Darüber springen?
In diesem Auto? Lächerlich. Wo zwischen Kopfstütze und Faltdach noch eine knappe kopfbreit Platz war? Da passte er doch eher zwischen den Sitzen durch.
Aber da gab es diesen Hebel, an der Seite des Fahrersitzes. Dort zog der Kriminalkommissar dran, bevor er den Sitz umklappte. Wenn die Menschen das konnte, dann sollte es für einen Hund vom Land ja wohl kein großes Problem darstellen. Bolle hat Lasche oft genug dabei beobachtet. Die Schwierigkeit bestand nicht darin, dass er den Hebel greifen musste, - was ohne opponierbaren Daumen sowieso unmöglich war-, sondern, dass er nach oben gedrückt wurde. Mit der Pfote daraufpatschen war daher nicht zielführend.
Vorsichtig schob Bolle seinen massiven Kopf zwischen die Autowand und den Fahrersitz. Ja, so müsste es gehen. Langsam drückte er den kleinen, schwarzen Hebel mit dem Nasenrücken nach oben. Er konnte spüren, wie sich in der Konstruktion eine Feder spannte. Ganz langsam erhöhte der Hund den Druck. Es klackte hörbar. Die blöde Verriegelung hatte sich gelöst. Ohne den Kopf zu senken, schob Bolle den Sitz vorsichtig mit der rechten Schulter nach vorne. Er klappte um. Der Hund war frei.
Der Kommissar hatte das Auto schräg vor dem Haupteingang zum Stehen gebracht. Mitten auf dem gepflasterten Vorplatz und genau so, dass der kleine Wagen die Zufahrt zu den Parkplätzen und Garagen hinter dem Haus blockierte. Während der Hund sich in der warmen Septemberluft ausgiebig streckte und dabei vorsichtig das eingeschlafene Bein im künstlichen Hüftgelenk drehte, blickte er sich neugierig um.
Viel schien sich hier oben auf dem Hökerberg in den letzten Jahren nicht verändert zu haben. Die Fassade des Herrenhauses wirkte frisch und sauber wie immer. Links, vom Dorf aus gesehen, lagen die Pferdekoppeln. Dort grasten einige müde Klepper unter der uralten Eiche. Die zugehörigen Ställe und die Reithalle befanden sich hinter dem Wohnhaus. Die immergrüne Hecke, die dessen linke Seite verbargen, erschienen Bolle seit seinem letzten Besuch vor ungefähr einer Dekade noch höher und dichter.
Der alte Hund humpelte langsam näher. Die große Haustür stand einladend offen und Bolle wollte sich ihr zuwenden, als er die Stimme des Kommissars hörte. Sein neues Herrchen. Bolle war jetzt schließlich der Polizeihund.
Lothar Lasche schien im Gespräch mit der Ärztin, genau hinter der Hecke. Warum also durchs Haus gehen, wenn das Ziel so nahe lag, dachte sich der Hund und schob seinen massigen Körper durch den immergrünen Kirschlorbeer.
Bolle hatte sich nicht getäuscht. Kommissar Lasche und Veronika Vink standen mitten auf dem englischen Rasen vor einer hässlichen Marmorfigur.
»Auch ich hatte mir meinen ersten Tag ein wenig anders vorgestellt«, fuhr die Tierärztin den Kriminalbeamten schnippisch an. »Aber Sie mussten mich ja eben regelrecht von der Party entführen. Und dann noch zu so etwas.«
Angeekelt deutete sie auf eine Gestalt, die vor den beiden am Boden lag.
Bolle trat näher heran. Die Ärztin hatte sich hingekniet und streckte den Arm aus. Vor ihr lag ein halbnackter Mann. Menschen würden ihn wohl als muskulös bezeichnen, dachte der Hund. Veronika Vink schien davon jedoch unbeeindruckt. Sie presste ihre Finger eine Zeitlang an dessen Hals, bevor sie sich rasch wieder aufrichtete.
»Meiner tierärztlichen Fachmeinung nach ist dieser Mann tot«, sagte sie, und strich sich das Kostüm glatt.
»Ach Herrjeh!«
Bolles Herrchen schien sehr betrübt über diese Tatsache. »Und was machen wir jetzt?«
Die Frau blickte ihn zweifelnd von der Seite an, verkniff sich jedoch weitere Bemerkungen.
Von hinten erklang ein warmer Altmännerbass: »Also auf dem Hof haben wir die großen Viecher abtransportieren lassen und das Kleinzeugs einfach verscharrt oder verbrannt. Hier auf dem Reiterhof könnte vielleicht auch der Abdecker kommen«, half Bolle.
Der Kommissar fuhr herum. »Was?«
»Ich mein ja nur«, verteidigte sich Bolle. »Aber ihr Menschen seid da wohl etwas komplizierter, oder?«
»Naja«, seufzte Lasche, »einfach vergraben ist hier wohl keine Lösung.«
Veronika Vinks Augen wurden noch ein wenig größer. Ihr Blick, den sie über den Kommissar gleiten ließ, wandelte sich von skeptisch zu zweifelnd. Vermutlich stellte sie nun dessen Verstand in Frage, dachte Bolle belustigt.
Sie schien zu einer Entscheidung gelangt zu sein. »Ich geh dann jetzt besser mal.« Damit wandte sie sich um und trat durch die geöffnete Verandatür ins Haus.
Der Hund humpelte zum Kommissar. »Was ist denn hier passiert?«
»Na schau doch selbst«, antwortete Lasche. »Der Gärtner ist tot. Wie bei Cluedo. So wie es aussieht, haben wir hier einen toten Gigolo - und verdammt viel Arbeit. Ney, ney, ney.«
»Was - ist - passiert?«, drang Kunos Stimme von der Veranda.
Neugierig standen der alte Basset und die Border Collidame Susi im Durchgang. Beide schienen ziemlich außer Atem. Sie wollten sich zu Bolle gesellen, doch ein scharfes Befehl des großen Hundes ließ sie innehalten.
»Halt! Das hier ist jetzt ein Tatort. Den dürft ihr natürlich nicht betreten.«
»Echt jetzt?«, Kuno sah verletzt drein. »Bolle, wir sind es. Kuno und Susi.«
»Darum ja.«
Der Kommissar wandte sich zu Bolle: »Sag deinen Freunden bitte, sie müssen drinnen bleiben.«
»Schon gemacht«, hechelte Bolle freudig.
Doch der Kommissar schien die Antwort gar nicht wahrzunehmen. Er blickte weiter auf den Toten und rieb sich mit dem Handrücken über die Stirn. »Ach, was mach ich jetzt bloß?«
Bolle folgte seinem Blick und besah sich den Gärtner genauer. Der Mann trug lediglich eine Arbeitshose und schweres Schuhwerk. Zwischen seinen nackten, gebräunten Schulterblättern ragte eine Heckenschere anklagend in die Höhe. Vermutlich die Todesursache.
»Ihr solltet mal nach Fußspuren Ausschau halten«, riet ihnen Kuno. »Und vielleicht kannst du etwas am Mordwerkzeug erschnüffeln.«
»Chef«, wandte sich Bolle an den Kommissar, »lass uns mal nach Fußspuren suchen. Und ich könnte mal die Nase an die Heckenschere halten.«
»Gut gut«, ächzte Lasche, »so machen wir das.«
»Und er sollte seine Zentrale informieren«, empfahl Susi. »Das hab ich so im Fernsehen gesehen. Ein Team der Spurenermittlung rufen.«
Bolle gab auch diese Information an den Kriminalkommissar weiter. Dieser wirkte sichtlich erleichtert. Er trat einige Schritte zurück und zückte sein Handy.
»Ich geh mal rein und kümmere mich um Frauchen«, kam es von Kuno, bevor er und Susi im Inneren des Hauses verschwanden.
Bolle brummte ihnen zur Antwort hinterher. Er versuchte, mit seinem landwirtschaftlich geschädigten Riechorgan die unterschiedlichen Gerüchte am Tatort zu differenzieren.