Der Balkon, mit einem Dach und großen Fensterscheiben zu einer Art Wintergarten ausgebaut, war das einzige Stück Land, das Asmy in der Stadt bebauen konnte. Jede verfügbare Stelle war vollgestopft mit Blumenkübeln, in denen Kräuter, Tomaten, Möhren und Spinat wuchsen. Bohnen und Erbsen kletterten an einem Gitter die Wand entlang, Kästen mit Erdbeerpflanzen hingen an der Balustrade. Mitten dazwischen hatte er sich auf einem bequemen Sessel zusammengerollt und die Nase in einen Roman gesteckt.
Seine Lieblingsbücher waren Thriller, doch in seinem kleinen Paradies lag immer eine herzerwärmende Geschichte bereit. Schließlich konnte er seinen Pflanzen keine grausigen Szenen vorlesen. Stattdessen erzählte er von spannenden Abenteuern und Liebe, ganz ohne dunkle Motive.
Gerade war er bei einer romantischen Szene angelangt. Würde der Hauptcharakter seinem Schwarm gestehen, dass er sich in ihn verguckt hatte? Asmy war es beinahe, als lehnten sich die Kamille und die Lauchzwiebeln über den Rand ihrer Töpfe, kaum in der Lage, die nächsten Worte abzuwarten. Die Blätter der Mairübchen schienen vor Spannung beinahe zu zittern.
„Das Buch gefällt euch, nicht war?“, fragte Asmy die Radieschen, die neben ihm auf einem Tischchen die Sonne genossen.
Ein Flüstern erklang hinter ihm und erschrocken drehte er sich um. Einbrecher! Niemand außer ihm selbst sollte gerade in seiner Wohnung sein. Leise schob er die Füße auf den Boden und streckte die Hand nach einer kleinen Harke aus, da ertönte auch neben ihm eine kaum hörbare Stimme. Doch außer den Radieschen konnte dort nichts sein. Unter dem Tisch lagerte ein kleiner Kompostkasten und ein Mensch hätte dort ohnehin nicht drunter gepasst. Asmy spürte, wie sich eine kleine Falte zwischen seinen Augenbrauen bildete, als er sich auf die Stuhllehne stützte, um das Ohr näher an die kleinen Rettiche zu halten. Und tatsächlich, ein Wispern ging von ihnen aus. Helle Stimmchen
schienen sich miteinander zu unterhalten, doch einzelne Wörter konnte er in dem Kauderwelsch der Pflanzen nicht ausmachen. Wieder hörte er das Flüstern hinter sich, doch nur der Amarant stand neben der Balkontür. Er beugte sich vor, um an der Paprika zu lauschen, als ein Klingeln ihn aus seinen Gedanken riss. Wie durch ein Wunder saß er wieder im Sessel, das Buch aufgeklappt auf dem Bauch. Alles schien nur ein Traum gewesen zu sein.
Das Klingeln war von seinem Handy gekommen, das vor den Radieschen auf dem Tisch lag. Vorsichtig legte er noch einmal das Ohr an ihre Blätter, doch das Gemüse war verstummt.