Ihr lieben Leut, so kommt und hört
Ein Lied ich unlängst euch gesungen
Vom Bösen, das die Seel‘ betört
Und die Geschicht‘ hat so geklungen
Von einem Schatz will ich erzählen
Dem legendärsten auf der Welt
Doch wird dereinst er selbst erwählen
Wer ihn in seinen Händen hält
Ihr meint, ich wieder hole mich?
So bleibt, ihr lieben, guten Leut!
Die Mär war nicht vollumfänglich
Den zweiten Teil erfahrt ihr heut
Zwei Brüder einst dies Liedlein hörten
Vom Weibe satt, vom Weine trunken
Worauf sie furchtbar sich empörten
Dies sei erlogen und erstunken
Augenblicks sie wollten’s wagen
Besung'nen Schatze zu säsieren
Ohne Zaudern oder Zagen
Um ihn dann zu präsentieren
Doch am Ende und am Schluss
Wie so oft schon weh besungen
Kam, was immer kommen muss,
Wenn Mahnung‘ ungehört verklungen
Von Wesensart verschieden sehr
Verblendet durch die dunklen Triebe
Der Eine tat’s für Ruhm und Ehr
Der Andere für Huld und Liebe
Des jüng’ren Bruders Wuchs und Krücke
Verbarg geschickt den schlauen Geiste
Der mit List und manchmal Tücke
Unter seinem Schädel kreiste
Des Älter‘n Einfalt dahingegen
Verbarg seine mächtig' Gestalt
Kaum ahnt ihr, welche Kraft gelegen
In seinen Muskeln, Urgewalt!
Gemeinsam trotzten sie den Winden
Wie Schnee und Eise auf dem Gipfel
Bis es gelang, den Weg zu finden
Durch das Reich der Schattenwipfel
Dort, im längst vergess‘nen Reich
Gewalt’ger Bau aus schwarzem Stein
Beide Brüder wurden bleich
Ob des Putzwerks aus Gebein‘
Dunkle Geister, gar Dämonen
Nachtmahre mit Fratzen graus
Bös' und hungrig seit Äonen
Stürzten auf sie mit Gebraus
Schwert hieb Leiber gleich entzwei
Pfeile bohrten sich in Fleisch
Barbarisch wilde Raserei
Garniert mit grauenvoll‘ Gekreisch
Schleppend, nur mit halber Kraft
Erreichten sie das Labyrinth
Noch der Weg war nicht geschafft
Doch jeder schon auf Arglist sinnt
Die Stimm‘ im Geiste raunte leise
Unablässig, doch verborgen
Lockt in vielverheißend‘ Weise
Den läst'gen Bruder zu entsorgen
Dunkler wurden ihre Herzen
Eins war'n nunmehr Freund und Feind
Und im Dämmerlicht der Kerzen
Brüder nun im Hass vereint
Zwei Männer, die sich einst geschworen
Zu schützen wechselseitig‘ Leben
Von dunklen Mächten auserkoren
Die Waffen beiderseits zu heben
Rohe Kraft durchbohrt' den Arm
Tückisch‘ List zertrümmert' Bein
Doch keiner fühlt' des Herzens Harm
Kein Bruder spürt' des Leibes Pein
Sturz um Sturz und Schlag um Schlag
Blut’ge Jagd durch irre Gänge
Unwissend ob Nacht, ob Tag
Gefangen tief in schwarzer Enge
Kraftlos und nicht recht bei Sinnen
Langen am Altar sie an
Blut tropft in die Bodenrinnen
Fließt zur Plinthe hin sodann
Es kriecht hinauf die Opferstätte
Umsäumt das einst verdammte Buch
Der Ält’re sinkt tot wie zu Bette
Getroffen von verbot‘nem Fluch
Der Jüng’re zitternd nur es wagt
Des Buches Siegel anzurühren
Doch seine Stimme dann versagt
Die alte Zunge auszuführen
Schrill ertönt' der Seelen Hall
Die in Ewigkeit geknechtet
Gefangen all im Blutkristall
Schicksal ewig sie entrechtet
Leibzerreißend‘ Marterung
Schreiend stumme Agonie
Alt ward, was bis dahin jung
Opfer uralt‘ Blutmagie
Nieder sank die leere Hülle
Keine Seele stieg hinauf
Unermessliche Blutfülle
Sog das Buch begierig auf
Niemals mehr war‘n sie geseh'n
Doch ihr' Pein ward wohl vernommen
Um die Liebste war’s gescheh'n
Wie der Ruhm war schnell verkommen
Darum hört und lasst euch raten
Achtet eurer Alten Lehr‘
Wägt ein' jede eurer Taten
Schützt das Herz vor solch Begehr‘
Von einem Schatz hab ich erzählt
Dem legendärsten auf der Welt
Und wieder hat er selbst erwählt
Wer ihn in seinen Händen hält
Und sicher ist auch diese Weise
Nicht die letzte in dem Reigen
Nicht das Ende dieser Reise
Die Zeit, ihr Leut', die wird es zeigen
© Noia, 16.03.2021
----------------------------------------------------------------
Die "gestohlenen" Zeilen sind kursiv markiert und stammen aus meinem Gedicht "Sangra Sacraria" aus dem Sammelband "Dunkle Flüche und Geschichten": https://belletristica.com/de/books/3824-dunkle-fluche-und-geschichten/chapter/30392-sangra-sacraria
Der Liederzyklus des Barden wird im "Florilegium eines Barden" weitergeführt: https://belletristica.com/de/books/33174-florilegium-eines-barden