Vor meinem Spiegel steh ich -
unentschlossen, ratlos gar.
Bin verwirrt und frage mich:
Wen nur stelle ich bloß dar?
Bin ich wie Paps, der alte Hippie?
Jesuslatschen, bunte Blumen,
ein bisschen liederlich, doch flippy.
Das Haar wirr, doch voll Volumen.
Oder Ma, die Bürolady?
Pumps und enges Etuikleid,
Lippenstift und Augen shady.
Elegant in Dienst- wie Freizeit.
Mehr wie Sis, die Gruftibraut?
Schwarz vom Scheitel bis zur Sohle.
Outfits, die sich keiner traut
und statt Makeup einfach Kohle.
Oder Bro, der krasse Punk?
Iro, Fluppe, Karohosen,
hochgeschossen, gertenschlank.
Trinkt sein Bier allein aus Dosen.
Bin ich wie Oma, die gute Seel'?
Klassisch schick und zeitlos schön,
am Dekolleté prunkt das Juwel.
Trotz grauem Haar schön anzuseh'n.
Oder Opa, der ewige Rocker?
Lederhose, -jacke, -schuh.
Den haut so schnelle nichts vom Hocker,
der ist der Langmut und die Ruh.
Herrje! Herrje, was mach ich nur?
Wem gleich ich, wem nur soll ich folgen?
Die Kleiderwahl wird zur Tortur,
hilflos blick ich zu den Wolken.
Da zuckt ein Blitz, ein gleißend greller.
Dunkel wird mein Spiegelbild.
Ein Lachen - lauter, immer heller -
nun aus meinem Munde quillt.
Vaters Blumenhemd ganz locker
in Mutters engen Rock gesteckt,
reißt noch niemanden vom Hocker.
Doch meine Freude ist geweckt.
Opas Stiefel, schwarz, aus Leder,
Nietengürtel vom Punkbro.
Heut seh ich nicht aus wie jeder!
Vielleicht bleib ich für immer so.
Omas Dutt ist leicht kopiert.
Sistas Kohle auf den Mund,
die Kette um den Hals drapiert,
schon ist sie um, die eine Stund.
Voller Stolz und selbstbewusst
nehm die Treppe ich hinab.
Bauch schön rein und raus die Brust.
Jetzt aber los, die Zeit wird knapp!
Unten warten alle schon,
ungeduldig nur auf mich.
Als sie mich sehen, klingt kein Ton.
Verdattert sehen an sie sich.
Hohn, Gelächter, Fragen, Schimpf -
alles prasselt auf mich nieder.
Bin ich ein Kleinkind, gar ein Pimpf?
Mein Anblick ist ihn' all zuwider.
Ob ich verrückt sei, fragt man mich,
oder schwanger - Herr bewahre!
Ob des nachts ich weg mich schlich
oder gleich zur Demo fahre.
Soso, ich seh' man unterstellt
mir Pläne und auch Widerstand!
Kein Narr auf dieser weiten Welt
je Freude an Revolten fand.
Darum ich eile schnell hinauf,
werf von mir all die fremden Sachen
und füg mich in der Dinge Lauf.
Dann fang ich lauthals an zu lachen.
Wie dämlich albern sah ich aus!
Ein andrer sein, geht selten gut.
Ich bleibe gern die graue Maus,
die mit dem pinken Federhut.
© Noia, 06.05.2021
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Die "gestohlenen" Zeilen sind kursiv markiert. Titel und Autor des Originalgedichtes werden am Ende der Challenge (wahrscheinlich Ende des Monats) offengelegt. Den Link dazu findet ihr dann auch hier.