Es begann zur Geisterstunde. Gänsehaut überzog meinen ganzen Körper, mein Pulsschlag beschleunigte sich und das Gefühl beobachtet zu werden verstärkte sich immer mehr. Ich sah nervös vom Balkon und überblickte den Wald, der das Altersheim umgab, in welchem ich gerade Nachtschicht hatte. Der Wind heulte auf und ein leichtes Knurren drang an meine Ohren. Schnell drückte ich die Zigarette aus und ging wieder hinein. Oje. Ich sollte wirklich mehr schlafen. Ich ging über den endlosen Flur und kontrollierte, ob die Bewohner friedlich schliefen. Plötzlich hörte ich Tippelschritte eine Etage über mir, die gar nicht möglich sein sollten. Alle Bewohner dieser Station waren bettlägerig und konnten nicht aus dem Bett heraus. Ich schluckte und sah zur Uhr. Es war zehn Minuten nach Mitternacht. Geisterstunde. Plötzlich fing das Licht an zu flackern, das Radio, welches ich noch gar nicht an geschalten hatte, rauschte und eine Etage über mir hörte ich eine Tür knallen. Ich atmete tief durch. „Die Angst besteht nur in deinem Kopf. Die Angst besteht nur in deinem Kopf. Die Angst besteht nur in deinem Kopf …“ Immer wieder sagte ich mir diesen Satz, während ich zu der anderen Station ging. Es gab keine Geister. Es gab sie nicht. Keine Geister. Mit meinen Armen umschlang ich meinen Oberkörper, als ich angekommen war. Warum war es hier so kalt? Kleine Rauchwolken bildeten sich vor meinem Gesicht, als ich ausatmete. Das Gefühl beobachtet zu werden verstärkte sich wieder und ich blickte verunsichert den Flur entlang. Es war nichts zu sehen. Ein Hilferuf erklang aus dem letzten Zimmer und ich rannte sofort los. Der ältere Herr, der erst seit ein paar Tagen hier war, sah mich mit, in Panik geweiteten, Augen an, als ich sein Zimmer betrat. „Was ist denn los? Sie haben um Hilfe gerufen?!“ Er winkte mich zu ihm. Direkt neben seinem Bett stehend, sah ich, dass er zitterte. Beruhigend lächelte ich ihn an. „Schlecht geschlafen?“ Doch anstatt mir zu antworten, schnappte er sich meinem Arm und zog mich nah an sich heran. „Er ist da.“ Mein Mund wurde trocken und ich musste mehrmals schlucken, eh ich sprechen konnte. „Wer ist da?“ Und dann spürte ich, wie etwas in meinem Nacken atmete. Panisch drehte ich mich um, doch konnte nichts Ungewöhnliches entdecken. „Es war nur der Wind“, sagte ich mehr zu mir als zu dem Patienten. Ein diabolisches Lachen erklang. Die Tür knallte zu und ich zuckte zusammen. Nun stand ich im Dunkeln und mein Herz drohte mir aus der Brust zu springen. Langsam ging ich zum Zimmerausgang, öffnete die Tür und ging auf den Flur, welchen ich nach irgendwelchen ungewöhnlichen Dingen kontrollierte. Nichts. Wie um mich Lügen zu strafen, fing erneut das Licht an zu flackern, alle Türen gingen gleichzeitig auf und zu, immer wieder und wieder, das Radio schmetterte eine Rockhymne, ein Stuhl rutschte von der linken zur rechten Seite und der Sekundenzeiger der Uhr zuckte stets auf der fünften Sekunde. Ich schrie auf und drückte meinen Rücken an die Wand hinter mir. Mein Atem ging stoßweise und ich hatte das Gefühl mich übergeben zu müssen, als just in dem Moment alles wieder normal war. Das Licht flackerte nicht mehr, der Stuhl blieb ruhig, genauso wie die Türen und das Radio war wieder verstummt. Lediglich die Uhr verharrte in ihrer eingefrorenen Zeit.
Die restliche Schicht blieb ruhig, im Gegensatz zu der aufgewühlten Stimmung in mir. Immer wenn es irgendwo knackte, drehte ich mich panisch um und als meine Kollegen zur Frühschicht kamen, war ich ein nervliches Wrack. Sie sahen mich mitleidig an, als ich ihnen die Geschichte erzählt hatte und meinten nur, dass ich vielleicht ein bisschen mehr Schlaf bräuchte. Ja … wahrscheinlich hatten sie recht. Vielleicht war ich nur übermüdet. So fuhr ich mit meinem Auto und einem mulmigen Gefühl nach Hause. Ich gähnte, steckte den Schlüssel ins Schloss und plötzlich öffnete sich die Tür. Mein Herz schlug wie wild und vorsichtig trat ich ein. „Hallo?“ Ich knipste das Licht an und sah mich um, doch konnte nichts Seltsames entdecken. „Hallo? Ist da jemand?“ Keine Antwort. Kopfschüttelnd ging ich durch die Räume. Die Angst besteht nur in deinem Kopf. Die Angst besteht nur in deinem Kopf. Mein Körper begann zu zittern, als die Raumtemperatur merklich sank. Die Angst besteht nur in deinem Kopf.
Ich fiel in einen unruhigen Schlaf. Wirre Träume verfolgten mich und immer wieder wachte ich schweißgebadet auf. Mein Herz flatterte und es dauerte Minuten, eh ich wieder einschlafen konnte. Stets fühlte ich mich beobachtet und spürte eine Präsenz von etwas, was ich nicht zuordnen konnte. Am nächsten Morgen erwachte ich mit Schmerzen im gesamten Körper. Ich fühlte mich suf rine unbeschreiblichen Art und Weise misshandelt ... missbraucht. Alle Knochen knackten bei dem Versuch mich zu erheben und so sank ich stöhnend zurück in die Kissen.
„Wow. Du siehst schlecht aus.“ Ich verzog mein Gesicht und versuchte zu lächeln, was mir aber nicht so gut gelang. Meine Kollegen musterten mich skeptisch. „Nicht gut geschlafen?“ Ich winkte ab. „Ach. Alles gut. Laute Nachbarn und so.“ In Wahrheit fühlte ich mich wie gerädert. Nach dem Aufstehen hatte ich es irgendwie ins Bad geschafft. Ich duschte mich heiß ab, weil meine ganze Wohnung eiskalt war. So war der Spiegel beschlagen, als ich davor stand, um Zähne zu putzen. Unwirsch wischte ich sie sauber und schrie auf. Panisch hatte ich mich umgedreht, doch hinter mir war nichts. Ich hätte schwören können, einen blassen Mann mit leuchtenden Augen hinter mir stehen zu sehen. „Alles gut?“ Aus meinen Gedanken gerissen, sah ich meine Kollegin an und nickte. Zehn Minuten später waren alle verschwunden und ich war mit meinen fünfzig Bewohnern wieder allein. Ich ging meine erste Runde ab und sah nach, ob alles ruhig war. Ab und zu gab ich jemanden einen Schluck zu trinken, lagerte einen Anderen und arbeitete meine To-Do-Liste ab. Mitternacht war ich soweit fertig und konnte endlich Pause machen. Erschöpft setzte ich mich auf einen Stuhl und schloss kurz die Augen. Plötzlich ging das Radio an und rauschte. Von diesem Geräusch so erschreckt, sprang ich auf und sah mich um. Es wurde schlagartig kälter und das Gefühl wieder beobachtet zu werden wurde immer stärker. Ich schüttelte den Gedanken ab und ging zu dem Radio, um es aus zu schalten. Als ich bemerkte, dass das Stromkabel gar nicht in der Steckdose war und es dennoch rauschte, wurde mir ganz anders. Es musste dafür eine logische Erklärung geben. Witterung. Blitzeinschlag. Stromschwankungen. Jajajaja. Daran würde es liegen. So sprach ich mir Mut zu und ging auf den Flur, um eine erneute Runde zu drehen. Tipp. Tipp. Tipp. Tipp. Tipp. Ich sah nach oben und lauschte den Schritten, die wieder gar nicht möglich sein sollten. Was?! Mein Atmen ging schnell und nackte Angst stieg mir in die Knochen. Dann erklang ein seltsames quietschen und im Augenwinkel sah ich, wie die Fahrstuhltür sich von Geisterhand öffnete. Die Angst besteht nur in deinem Kopf. Die Angst besteht nur in deinem Kopf. Die Angst be… Der Fahrstuhl rauschte ohne Vorwarnung im freien Fall nach unten. Die Fahrstuhltüren öffneten und schlossen sich viel schneller, als es überhaupt möglich war. Das Licht begann zu flackern, die Uhr blieb stehen und alle Notrufklingeln läuteten gleichzeitig. Es war so laut, dass ich mir die Ohren zu hielt und fassungslos auf die vielen roten Lichter sah. „Hör auf! Hör auf! HÖR AUF!“ Ich schrie die Aufforderung durch den Raum, unfähig zu sagen, wen ich damit meinte. Als es dann schlagartig ruhig wurde, es in meinen Ohren dröhnte und sich das Fenster am Ende des Ganges öffnete, hatte ich das Gefühl vor Aufregung ohnmächtig zu werden. Der Wind wehte mir entgegen und ich hatte das Gefühl in meinem Kopf ein gehässiges Lachen zu hören. Meine Beine fingen an zu zittern und ich rutschte zu Boden. Ich war wie versteinert, unfähig mich zu bewegen. Was geschah hier? In meinem Nacken spürte ich einen regelmäßigen Lufthauch, der sich wie warmer Atem anfühlte. Dann fuhr etwas Kaltes meinen Hals entlang und der Schrei, der mir in der Kehle steckte, verstummte. Schlagartig hatte ich den Gedanken, mich nicht rühren zu dürfen. Nicht zu atmen. Mich nicht zu bewegen. Ich fühlte mich wie ein verschreckter Hase – wie eine Beute, die kurz davor war gefressen zu werden. Nicht atmen. Nicht atmen. Nicht atmen. Doch als etwas Spitzes meinem Oberarm entlang fuhr und ich warmes Blut meinem Arm hinunter laufen spürte, schnappte ich entsetzt nach Luft. Ich hörte ein schmatzendes Geräusch und schlagartig war alles wie vorher. Bis ins Mark erschüttert, saß ich zusammengekauert auf dem Boden und zitterte. Wie in Trance arbeitete ich den restlichen Dienst ab, der ohne weitere Vorkommisse ablief. Meine Kollegen betrachteten mich besorgt. „Vielleicht solltest du den nächsten Dienst zu Hause bleiben. Du siehst wirklich nicht gut aus.“ Ich meinte, dass ich mich auch nicht besonders fühlte und so wurde ich Heim geschickt.
Erneut fand ich meine Wohnungstür geöffnet und auch die Wohnung war eiskalt. „Bitte. Bitte. Wer auch immer du bist. Geh weg! Bitte! Geh weg!“ Die Tür sprang ins Schloss und ich zuckte zusammen. Ich war nicht allein. Das spürte ich ganz genau. Irgendetwas war hier und es beobachtete mich. Obwohl mir Tränen in den Augen standen, weinte ich nicht, weil ich das Gefühl hatte, das mein Leben dann schneller zu Ende wäre, als mir lieb war. Etwas kaltes berührte meinen Kopf und ferngesteuert lief ich ins Schlafzimmer. Ich wollte schreien, kämpfte gegen meine eigene Willenslosigkeit an, doch es gelang mir nicht, gegen diese unsichtbare Kraft anzukämpfen. Nun lag ich im Bett, zitternd, aufgewühlt und ängstlich. Wenn ich wirklich eine Beute war, dann musste er meine Angst wittern. Ich hatte verloren.
Was in den folgenden Stunden ablief, nahm ich nur noch verschwommen war. Mein Bewusstseinszustand war irgendwo zwischen schläfrig und somnolent. Ich spürte eiskalte Berührungen und wie an mir gezogen und gezerrt wurde. Immer wieder ritzte etwas an meiner Haut und leckte das Blut ab, während ich wie gelähmt auf meinem Bett lag und alles über mich ergehen lassen musste, bis mich die gnädige Bewusstlosigkeit übermannte.
Ich erwachte am nächsten Morgen völlig erschöpft in meinem Bett. Mein Körper war mit feinen Narben übersät, die aussahen, als hätte ich mich vor Monaten geritzt. Das Bettlaken, die Kissen und die Bettdecke waren mit feinen Blutspritzern gesprenkelt und ich musste mich zusammenreißen mich nicht zu übergeben. Mehr tot als lebendig versuchte ich den Tag zu überstehen. Ich konnte nichts essen und trinken. Alles um mich herum wirkte farblos. Mir war kalt und ich fühlte mich innerlich leer. Es war so, als ob mir meine Lebensfreude ausgesaugt worden war.
Die Zeit verging, in der ich stumm auf meinem Bett saß und ins Leere starrte. Dann schlug meine Uhr Zwölf und ich wusste, dass er kommen würde. Etwas huschte an mir vorbei und ich wusste, dass es bald geschehen würde. Mit meinem letzten Rest Willensstärke flüsterte ich: „Ich töte dich!“ Doch ich hörte nur direkt neben mir eine kalte Stimme säuseln. „Schätzchen, ich bin doch schon tot.“ Ich schluchzte und erkannte, dass es vorbei war. Dies würden nun meine letzten Minuten meines Lebens sein. „Mach es bitte schnell.“ Doch er lachte bösartig, während er sich zum ersten Mal offenbarte. Emotionslos sah ich ihn an. Wie konnte jemand so Wunderhübsches so böse und gemein sein. Eine einzelne Träne lief über mein Gesicht, die er knurrend weg leckte. Mein Herz dröhnte in meinen Ohren, als der Unsterbliche seine Hand auf meinen Brustkorb legte. Immer langsamer wurde mein Herz. Die Panik, welche ich eh schon verspürte, verstärkte sich immer mehr, während er mein Herz so manipulierte, dass es immer langsamer schlug. Panik, Angst und Verzweiflung drohte mich zu übermannen. Das war es, was er wollte – meine Angst. Er hatte sein Beutetier gefangen und weidete sich in meinem Gefühlschaos. „Tut mir leid, my Dear, aber ich werde dich leiden lassen.“ Er verstärkte seinen Druck auf meine Brust und mein Herz setzte aus. Dann biss der Fremde in meinen Hals und fing an zu saugen, während er mein Herz wieder zum schlagen brachte. Adrenalin durchflutete mich immer wieder und ich betete, dass es bald ein Ende haben würde. Jedoch wurde ich nicht erhört. Seine scharfen Nägel zerkratzten mein Fleisch und der Geruch von Blut wurde immer überwältigender. Meine Sinne schwanden, je mehr Blut ich verlor. In einem letzten verzweifelten Versuch wollte ich ihn von mir drücken. Mit animalisch verzerrtem Gesicht drückte er mich jedoch noch tiefer in das Bett und versenkte mit einem letzten wilden Knurren seine Zähne in meinem Hals. Der Schmerz war unerträglich und ich sah als seine vorherigen Opfer in meinem Kopf. Sah wie er sie aussaugte und zerstörte. So würde es also enden. Der Ewige zog meinen Hals noch ein bisschen mehr zur Seite und zerriss das Fleisch an meinem Hals. Das knacken meiner Wirbelsäule war das letzte, was ich wahrnahm, bevor ich starb.