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Leider sah die Welt mehr als zwei Monate später nur unwesentlich besser aus. Bunter auf jeden Fall, denn allmählich hielt der Herbst Einzug. Und das recht deutlich. Innerhalb von wenigen Wochen waren die Temperaturen im Durchschnitt um zehn Grad gefallen. Nachts hatte es mitunter bereits Minusgrade. Glücklicherweise hatte Nate nie ein Problem mit Kälte gehabt, sonst wäre ihm das an den Tagen, an denen er um sechs zum Dienst antreten musste, reichlich auf die Nerven gegangen. Die Nachmittage warteten zum Glück noch meistens mit herrlichem Sonnenschein und angenehmen Temperaturen auf.
Was eine Beziehung anging, herrschte jedoch weiterhin Flaute. Mindestens einmal die Woche hatte Nate diverse Klubs der Stadt abgegraben, war am Ende sogar in einer, erst Anfang des Jahres eröffneten, kleinen, aber gemütlichen Bar gelandet. Normalerweise mied Nate solche Orte, da er nie Alkohol trank und in einer Bar entsprechend stets merkwürdig angeblickt wurde. In den Klubs war das anders. Dahin kamen genug Leute, um zu tanzen oder anderweitig ihren Spaß zu haben.
Der Abend in der Bar war trotzdem recht gut verlaufen und der Mann, der ihn nach Hause begleitet hatte, ein netter Kerl gewesen. Zwei Wochen lang hatten sie sich mehrmals getroffen, aber irgendwie hatte es nicht gefunkt.
„Immerhin anständiger Sex“, murmelte Nate vor sich hin, während er sich aus seiner Dienstkleidung schälte und stattdessen Shirt und Jogginghose überstreifte.
Vor ein paar Wochen hatte er angefangen, wieder Joggen zu gehen. Vornehmlich, weil er das Gefühl hatte, den halben Tag nur herumzusitzen. Dabei hatte er den Job beim Sicherheitsdienst extra ausgesucht, damit er nicht hinter einem Schreibtisch hocken musste. Und im Personenschutz war er, weil er gehofft hatte, so tatsächlich unter Menschen sein zu können. Die meiste Zeit stand er im Augenblick aber nur dumm in der Gegend rum und schaute finster. Zumindest wurde Letzteres von ihm erwartet. Böse zu schauen, wenn man sich in dem Moment eher zu Tode langweilte, war nicht gerade einfach.
„Zeit für was Neues“, sagte Nate zu sich, während er die Turnschuhe überstreifte. Die Sicherheitsbranche hatte genug Felder. Irgendwo würde er schon etwas finden.
Kaum, dass Nate draußen unterwegs war, verflogen die trüben Gedanken. Jedenfalls, was den Job anging. Dafür wurde ihm, in dem Moment, als er im Park angelangt war, mal wieder bewusst, dass er die Abende weitestgehend allein verbrachte. Zumindest selten mit dem gleichen Mann. Womöglich lag diese Grübelei aber auch daran, dass er am morgigen Sonntag wieder bei seiner Mutter zum Essen antanzen durfte – und sich seine Brüder ebenso angekündigt hatten. Garantiert würde er wie üblich der Einzige ohne Begleitung sein. Marissa würde wieder irgendeinen spitzen Kommentar ablassen.
„Blöde Kuh“, murmelte er vor sich hin, während er langsam den Weg entlangjoggte.
Orangene, rote und gelbe Blätter säumten nicht nur den Weg, sondern hatten ihn förmlich unter sich begraben. Es mutete beinahe so an, als würden alle Bäume ihr Laub gleichzeitig verlieren wollen. Von dem Kies des Weges war kaum etwas zu sehen. Glücklicherweise hatte es heute nicht geregnet. Deshalb musste Nate sich keine Gedanken darüber machen, dass er womöglich auf den nassen Blättern ausrutschen könnte. Auch wenn ihm sein Job gerade nicht sonderlich viel Spaß machte, konnte er sich einen Ausfall wegen gebrochener Knochen nicht leisten.
Die negativen Gedanken schob er hingegen schnell wieder beiseite. Das Wetter war zu gut, die Sonne zu warm dafür, dass bereits Oktober war. Kurz, auch wenn sich sein Wunsch nach einer dauerhaften Beziehung bisher nicht erfüllt hatte, fühlte Nate sich blendend.
Mit erhobenem Kopf joggte er seine übliche Strecke entlang. Immer wieder schlich sich dabei ein Lächeln auf Nates Lippen, als die tief stehende Sonne irgendwo zwischen den Bäumen der Promenade hervorlugte und alles in ein orange schimmerndes, geradezu magisch anmutendes Licht tauchte. An einer der kleinen Holzbrücken, die an diversen Stellen über den Bach führten, der den Park einmal quer durchwanderte, hielt er an. Die Bäume hier hatten ihr Laub noch nicht komplett verloren. Trotzdem lagen überall rote und orangefarbene Blätter. Dazu die Sonne, die unter den Ästen eines Baumes gerade noch hindurch strahlte.
Ein Lächeln huschte über Nates Lippen. Kunst hatte er nie wirklich etwas abgewinnen können, aber das hier sah aus, als müsste es von einem Maler auf Papier gebannt werden. Wahlweise von einem talentierten Fotografen.
Wie es aussah, war er aber der Einzige, der diesen wunderbaren Anblick heute genießen würde. Denn außer ihm war niemand sonst hier. Fasziniert starrte Nate auf das Farbenspiel. Das Rascheln der Blätter im Wind war das einzige Geräusch. Zusammen mit der Stille breitete sich eine ganz andere Ruhe immer deutlicher in ihm aus. Er lächelte erneut in Richtung der tief stehenden Sonne. Eindeutig einer der besseren Tage. Und zur Abwechslung bereitete ihm die Tatsache, dass er heute wie so oft alleine ins Bett gehen würde, nicht einmal Unbehagen.
Ein merkwürdiges Kreischen durchdrang genau in diesem Augenblick die kühle Herbstluft und zerstörte damit schlagartig die friedliche Stimmung. Was war das denn? Verwundert sah Nate sich um und versuchte, die Quelle des Geräuschs auszumachen. Außer einem ganzen Haufen Blätter war jedoch nichts und niemand zu sehen.
„War wohl nur Einbildung“, murmelte er und setzte an, weiter zu laufen. Da hörte er es erneut. „Oder auch nicht.“
Irritiert, aber neugierig geworden, schritt Nate auf die Brücke zu und sah sich dort genauer um. Ein Igel vielleicht? Schrien die? Er konnte er sich erinnern, dass er im Garten seiner Großeltern mal einen Igel im Herbst gefunden hatte. Ein dicker, fetter Kerl, der durchaus einen höllischen Lärm veranstaltet hatte. Allerdings konnte Nate sich nicht erinnern, dort auch dieses jämmerliche Kreischen gehört zu haben, das schon wieder erschallte.
Langsam ging er auf die kleine Böschung zu, die zum Bach hinunter führte. Aber auch dort war nichts zu sehen. Wo kam das komische Geräusch nur her? Gerade wollte er wieder zur Brücke hinaufklettern, als er neben sich ein Rascheln und Wimmern hörte.
Vorsichtig schob er mit der Hand das Laub beiseite. Da durchfuhr ein Schmerz ihn. Erschrocken zog er die Hand zurück und betrachtete die feinen Linien, die sich nun auf deren Rücken abzeichneten.
„Was zum ...“, fluchte Nate unterdrückt und funkelte wütend in Richtung des kleinen Laubhaufens, der ihn offensichtlich angegriffen hatte.
Ein Fauchen ertönte. Diesmal hatte Nate die Schnauze voll und griff beherzt in die Blätter. Als er die Hand wieder herauszog, hielt er ein grau-weiß getigertes Etwas in den Fingern, das ihn aus grünen Augen anfunkelte, während es kreischte und schrie. Wie das Vieh es fertigbrachte, beide Geräusche gleichzeitig zu machen, war ihm ein Rätsel. Schnell nahm er die andere Hand zu Hilfe und packte das weiche Bündel fester am Nacken, damit es ihm nicht mehr entkommen konnte.
„Na? Wer bist du denn?“, fragte er sinnloserweise, jedoch mit einem belustigten Grinsen sein Fundstück.
Das miaute protestierend und zappelte herum, konnte Nates Griff aber nicht entkommen.
„Wird nachts etwas kalt hier draußen, Kleiner. Solltest du nicht langsam nach Hause?“
Ein weiteres Miauen, das diesmal deutlich klagender wirkte. Nate runzelte die Stirn. Die Katze hatte kein Halsband und sah auch sonst reichlich zerzaust und abgemagert aus. Er konnte sich erinnern, dass sein Bruder Christian in ihrer Kindheit eine Katze gehabt hatte. Die hatte allerdings schwarzes Fell und war deutlich dicker gewesen als dieses Exemplar hier. Außerdem war sie schon lange tot, Nates Erinnerung an sie entsprechend schwammig.
Er kletterte mit dem Tier gegen die Brust gedrückt die Böschung hinauf und sah sich um. Niemand weit und breit zu sehen, aber das hatte Nate auch nicht erwartet. Das hier war schließlich eine Katze und kein Hund. Mit der ging wohl kaum jemand Gassi. Also war sie vermutlich ausgebüchst. Mitten in der Stadt würde ja hoffentlich niemand das arme Tier einfach draußen rumlaufen lassen. Im Park selbst gab es keine Wohnungen oder Häuser und er war rundherum von Hauptstraßen umgeben.
„Du kannst mir vermutlich nicht sagen, wo du wohnst“, meinte Nate zu dem inzwischen ruhiger gewordenen Bündel. Das miaute einmal kurz und kuschelte sich gegen seine Brust. „Na gut. Dann nehme ich dich für heute Abend mit. Vielleicht finde ich irgendwo einen Tierarzt, der rausbekommen kann, wem du gehörst.“
Auf dem Weg zurück nach Hause sah er sich immer wieder um. Aber da war niemand zu sehen, der wie ein aufgeregter Katzenbesitzer auf der Suche nach seinem Findling aussah. Dafür kam Nate an einem kleinen Supermarkt vorbei, wo er vorsichtshalber gleich Katzenfutter kaufte. Natürlich nur, damit er das Tier wenigstens für ein, zwei Tage mit Futter versorgen konnte, bis er den Besitzer oder die Besitzerin gefunden hatte.
Zu Hause angekommen, setzte er das grau getigerte Etwas aufs Sofa, wo es sich mit hellen, wachen Augen zunächst umsah und sich danach auf Nates Lieblingskissen zusammenrollte. Einen Augenblick lang starrte er das Vieh mit finsterem Blick an, dann lächelte er jedoch.
„Auch eine Art von Gesellschaft“, meinte Nate lachend.
Er lief in die Küche, um eine Schüssel zu suchen, die er als Napf verwenden konnte. Kaum kam er mit dem Futter ins Wohnzimmer, zuckten schon die Ohren von dem kleinen, grauen Tiger und der Kopf schoss nach oben. Grüne Augen blitzten und kurz darauf stürzte sich das Kätzchen buchstäblich auf die Schüssel.
„Hast wohl länger nichts gehabt“, murmelte Nate versonnen, während er das Tier beim Fressen beobachtete.
Immer wieder schielten die grünen Augen zu ihm, als würden sie ihn abschätzen. Was natürlich absolut blödsinnig anmutete. Immerhin war das Vieh nur eine Katze und offenbar dumm genug gewesen, um sich aus der Sicherheit seines Heims hinaus in den Park zu wagen.
„Schade, dass du mir nicht sagen kannst, wie du heißt“, meinte Nate mit einem weiteren Lachen.
Normalerweise wäre er sich vielleicht dämlich vorgekommen, weil er mit dem Tier sprach, als wäre es ein Mensch. Andererseits hatte er in den letzten Monaten nicht sonderlich oft Gesellschaft hier gehabt – und schon gleich gar nicht zum ‚Reden‘.
„Dein Besitzer vermisst dich bestimmt.“
Ein kurzes Miauen ließ ihn ein weiteres Mal auflachen. Das hatte fast so geklungen, als hätte das Tier ihm geantwortet. Leider schienen sie schlichtweg nicht die gleiche Sprache zu sprechen. Also wandte Nate sich ab und holte das Telefon. Kurz darauf hatte er im Internet die Nummer einer Tierärztin in der Nähe gefunden, die er anrufen konnte.
Dummerweise hatte diese heute für ihn jedoch keine Zeit mehr. Allerdings versprach sie, dass er am nächsten Morgen vorbeikommen konnte – auch wenn es dann Sonntag wäre. Nate legte auf und lächelte seinen inzwischen deutlich munterer anmutenden Hausgast an.
„Mal sehen, ob die gute Frau herausfinden kann, wem du gehörst“, meinte er zu der Katze, die ihn lediglich kurz anblickte, und sich dann weiter auf Erkundungstour in die Wohnung begab.
Nate lächelte erneut – das schien heute Abend gar nicht mehr aufzuhören. Es fühlte sich irgendwie nett an, Gesellschaft zu haben, selbst wenn die nur aus einer Katze bestand. Aber bisher hatte er noch nie eigene Haustiere gehabt und letztendlich war er sich nicht sicher, ob er sich die Verantwortung für ein anderes Wesen wirklich aufbürden wollte. Nachdenklich legte er sich auf die Couch und schloss die Augen. Auch wenn es ‚nur‘ eine Katze war, fühlte sich die Wohnung trotzdem mit einem Mal nicht mehr ganz so leer und kalt an wie am Morgen.
„Gewöhn dich besser nicht dran“, sagte er zu sich selbst. „Das Vieh gehört dir nicht.“
Bevor er weiter darüber grübeln konnte, hörte Nate ein Scheppern aus der Küche. Erschrocken zuckte er hoch und stürmte hinüber. Dort erkundete sein Hausgast inzwischen die Arbeitsfläche und hatte offensichtlich den Topf vom heutigen Mittagessen gefunden.
„Runter da!“, fauchte Nate angepisst und scheuchte die Katze vom Herd weg. „Das ist mein Futter, du hattest gerade was.“
Ein beleidigtes Keifen ertönte, als der graue Tiger sich mit erhobenem Schwanz aus der Küche machte. Mit einem Grinsen sah Nate dem Tier hinterher und schüttelte den Kopf. Das konnte ja heiter werden.