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Vierundzwanzig Stunden später lag Nate wieder auf dem Sofa und starrte an die Decke. Der Termin bei der Tierärztin hatte ihm das Essen bei seiner Mutter nicht erspart. Genauso wenig wie die blöden Kommentare von Marissa, dass er mal wieder nicht in Begleitung kam und allmählich ‚erwachsen‘ werden und sich eine ‚anständige‘ Beziehung zulegen sollte.
Alle, inklusive seiner Eltern, hatten genervt von Marissa mit den Augen gerollt, aber die blöde Kuh konnte es ja nicht lassen, überall ihren Senf abgeben zu müssen. Nach inzwischen etlichen Jahren mit ihr an Tobis Seite, hatte Nate sich angewöhnt, nicht mehr darauf zu reagieren. Was sein Bruder an der Schnepfe fand, konnte er trotzdem nicht verstehen.
„Wahrscheinlich gut zu vögeln“, murrte er und drehte sich auf die Seite, als die eigenen Worte ihm in die Brust stachen. Wann war er eigentlich so verbittert geworden? Mein Gott, er war gerade mal einundzwanzig. Musste man denn da wirklich schon die Liebe des Lebens gefunden haben? Klar, er hätte durchaus gern jemanden dauerhafter als drei, vier Monate an seiner Seite. Aber so verzweifelt, dass er keine Hoffnung mehr hatte, das eines Tages zu finden, war Nate nun wirklich nicht.
Und obwohl er jetzt sicherlich nicht als Model für „Men’s Health“ herhalten würde, war er auch kein Quasimodo. Irgendwann würde sich schon jemand finden. Bis es so weit war, gab es genug Männer, mit denen Nate für eine Weile seinen Spaß haben konnte.
Ruckartig richtete er sich auf. Am liebsten wäre er ausgegangen, um sich genau das jetzt irgendwo zu holen. In einem der Klubs im Ostviertel oder in dieser Bar, in der Nate inzwischen ein paar Mal gewesen war. Dort fand sich immer jemand, der Interesse an einer Nacht ohne Verpflichtungen hatte. Aber morgen musste er schon um sechs zum Dienst antreten und Nate hatte keine Lust, den ganzen Tag todmüde irgendwo rumstehen zu müssen.
Also wohl doch Dusche und Bett. Alleine.
Als er auf dem Weg ins Bad in den Flur trat, fiel sein Blick auf die Schüssel, in der er am Morgen der Katze noch einmal etwas zu Fressen gegeben hatte. Abrupt stoppten Nates Schritte. Der kleine Vielfraß hatte das Futter, von dem er geglaubt hatte, es würde für zwei, drei Tage reichen, bis zum Morgen verschlungen gehabt. Nur um kurz bevor er mit dem Vieh dann endlich zur Tierärztin wollte, mindestens die Hälfte wieder auszukotzen. Wenigstens war das auf den Fliesen in der Küche gelandet.
Schnell schüttelte er den Kopf. Das Tier war nicht mehr hier. Besser so. Die Ärztin hatte Tattoos in den Ohren gefunden und irgendjemanden angerufen, bei dem die registriert sein könnten.
Bis sie geklärt hatte, wo der kleine Kerl – denn offenbar war es ein Männchen – hergekommen war, würde er bei ihr in der Praxis bleiben. Die Frau war nett gewesen. Trotzdem hatte der Kater sich mit allen vier Pfoten vehement gegen den Käfig gewehrt, in den sie ihn gesteckt hatte.
„Verständlich“, murmelte Nate, während er weiterhin auf die leer geschleckte Schüssel starrte. „Wer will schon eingesperrt sein?“
Irgendwie tat ihm der kleine Kater leid. Laut der Tierärztin war er entweder schlecht behandelt worden oder trieb sich schon eine Weile draußen rum. Sonderlich gut genährt hatte er wohl nicht ausgesehen. Für einen Moment fragte Nate sich, ob es besser wäre, wenn sich niemand wegen dem Kater melden würde.
„Von der Größe her, würde ich ihn auf etwa ein Jahr schätzen“, hatte sie gesagt. „Aber er ist deutlich zu leicht dafür.“
Wieder schüttelte Nate den Kopf und wandte sich diesmal ab, um endlich duschen zu gehen. Auch wenn der kleine Kerl erbärmlich geschrien hatte, als er ihn bei der Tierärztin zurückließ, musste er das Vieh aus seinem Kopf streichen. Ja, Nate hätte gern mehr Gesellschaft – jemanden, zu dem er nach Hause kommen konnte, der auf ihn wartete und sich freute, wenn er wieder da war.
„Eine Katze kocht kein Essen und für alles andere ist er auch nicht zu gebrauchen“, nuschelte Nate und zog sich das Shirt über den Kopf.
Als er später im Bett lag, ging ihm der kleine graue Tiger aber weiterhin nicht aus dem Sinn. Nachdenklich drehte er den Kopf zur Seite. Das blöde Vieh war irgendwann mitten in der letzten Nacht zu ihm gekrochen und hatte sich zwischen den Laken breiter gemacht als jeder ausgewachsene Mann, der je in diesem Bett übernachtet hatte. Ganz zu schweigen von dem nervigen Brummen, von dem Nate viel zu früh geweckt worden war. Oder den Krallen, die sich in seine Schultermuskeln gegraben hatten, als das arrogante Fellknäuel über seinen nackten Rücken marschiert war.
Es gab echt angenehmere Methoden, mit denen Nate sich gern um fünf Uhr morgens wecken ließ. Glücklicherweise musste er heute Nacht weder Pfoten im Gesicht, noch Brummen oder Krallen im Rücken ertragen. Die Tierärztin würde sich schon um alles Weitere kümmern.
Konnte ja eigentlich nicht schaden, wenn er morgen bei ihr anrief. Nur um mal nachzufragen, ob der kleine Kerl in sein Zuhause zurückgekommen war. Und falls nicht, was dann mit ihm passieren würde. Nicht, dass das irgend einen Unterschied machen würde.
Trotzdem ...
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„Was meinen Sie damit?“, fragte Nate mit hochgezogenen Augenbrauen, als er am späten Nachmittag des nächsten Tages in der Praxis der Tierärztin stand. Eigentlich hatte er seinen kleinen Findling besuchen wollen. Der war allerdings offenbar nicht mehr hier.
„Das, was ich gesagt habe“, antwortete sie ungerührt. „Er ist im Tierheim. Tasso hat mir die Daten der Besitzerin gegeben, aber als ich dort angerufen habe, hat sich herausgestellt, dass sie offenbar verstorben ist“, fuhr die Ärztin fort, während sie gleichzeitig irgendwelche Papiere sortierte.
„Und was passiert jetzt mit ihm?“, fragte Nate. Das flaue Gefühl in seinem Bauch war unangenehm. Erst recht, da es hier nur um eine dumme kleine Katze ging, die ihn einen Dreck interessieren sollte.
Die Ärztin sah kurz auf und musterte ihn einen Augenblick, dann zuckte sie mit den Schultern. „Das Tierheim wird mit den Angehörigen klären, ob sie ihn bei sich aufnehmen.“
„Wenn er ihnen nicht egal wäre, würde er wohl kaum alleine draußen rumlaufen“, gab Nate angepisst zurück.
„Hören Sie“, meinte sie mit einem leichten Seufzen. „Er ist süß. Kann ich verstehen. Ehrlich. Aber wenn ich jeden kratzbürstigen Streuner hier aufnehme, habe ich keinen Platz mehr für meine Patienten. Genau dafür ist das Tierheim da.“
Nate schnaubte verächtlich. So hatte er das schließlich nicht gemeint. Natürlich würde er nicht erwarten, dass der Kater hierbleiben könnte. Aber es fühlte sich trotzdem an, als ob der Kleine damit auf dem Abstellgleis gelandet wäre. Die Sammelverwahrstelle für Unvermittelbare. Ungewollt, ungeliebt.
Alleine.
Ein Stich in der Brust ließ Nate mit den Zähnen knirschen. Es sollte ihm egal sein. Gedankenverloren fuhr er über die Striemen, die weiterhin seine linke Hand zierten. Es mutete nicht fair an, dass die kleine Kratzbürste jetzt hinter Gittern saß, nur weil jemand gestorben war und deren Familie ihn offenbar nicht wollte. Oder er ihnen egal war.
„Sie können ihn dort besuchen“, meinte die Tierärztin mit einem Mal und reichte ihm eine Visitenkarte. „Kater in dem Alter sind aber nicht gerade einfach, wenn man keine Erfahrung mit Katzen hat.“
„Ich will kein Haustier“, antworte Nate grummelnd, nahm die Karte aber trotzdem mit, als er auf dem Absatz umdrehte und aus der Praxis stürmte. „Er ist kastriert und geimpft“, rief sie ihm noch mit einem Lachen hinterher.
Nate schnaubte und stopfte die Karte in die Hosentasche. Als er vor die Tür trat, wehte ihm ein kalter Wind mitten ins Gesicht. Fröstelnd zog er die Jacke fester um die Schultern und stapfte in Richtung seiner Wohnung. Mit jedem Schritt schien der Sturm stärker zu werden. Das Laub auf dem Gehsteig wurde aufgewirbelt, wehte um seine Beine, wie ein kleiner Blättertornado, der versuchte, ihn umzureißen. Genau wie das graue Fellknäuel ihn gestern fast von den Füßen gerissen hatte, als es aus der Küche geschossen war.
Immer stärker drang die Kälte durch die Jacke. Dennoch stapfte er weiter. Mit einem Mal stockte er. In seiner Wohnung würden zwar vermutlich angenehme neunzehn bis zwanzig Grad herrschen, aber trotzdem war es dort ... kalt. Sein eigenes Abstellgleis, ein Käfig mit offenen Türen, in den er jeden Abend zurückkehrte, um sich selbst einzureden, dass er ein Zuhause hatte und nicht wirklich alleine war.
Dass er schließlich bloß ausgehen musste, um irgendeinen Typen abzugreifen. Wenn er es drauf anlegte, fand sich doch stets jemand, mit dem man auf der gleichen Wellenlänge schwang. Zumindest was den Sex anging. Eine Nacht, ein paar Stunden. Manchmal reichte es schon, sich in den dunklen Ecken diverser Klubs an die Wäsche zu gehen. Sparte die Zeit für die Heimfahrt, wenn es ja eh nicht Mister Right war.
Nate schnaubte. So hatte er die letzten Monate, nein, bald ein Jahr verbracht. Um beim nächsten, inzwischen regelmäßig anberaumten sonntäglichen Essen bei seiner Mutter wieder ohne Begleitung aufzuschlagen. Marissa würde Scheiße labern und Christian Ultraschallbilder rumzeigen, bei denen Nate sich dumme Kommentare verkneifen musste.
„Das Letzte sah doch nun wirklich aus wie ein Brathähnchen“, nuschelte er mit einem dezenten Grinsen.
Nächstes Jahr würden Chris und seine Frau dann entweder mit schreiendem Baby oder gar nicht mehr zum Sonntagsessen auftauchen. Wenn man den Blicken glauben durfte, die Andi sich von seiner Frau hatte gefallen lassen müssen, war der garantiert der Nächste mit Ultraschallfotos. Nate ließ den Kopf hängen.
Manchmal hatte er das Gefühl, er würde immer weiter hinter seinen Brüdern zurückfallen.
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„Na, wie geht’s?“, fragte er murmelnd und starrte in die stechend grünen Augen.
Tatsächlich hatte Nate keine Ahnung, warum er hier stand. Drei Tage hatte er versucht, den Gedanken an das blöde Vieh zu vertreiben. Und dennoch war er heute hergekommen. An seinem freien Tag. Ganz sicher hatte es nichts mit der Tatsache zu tun, dass er gestern Abend ausgegangen und trotzdem wieder alleine ins Bett geschlichen war.
Ein kurzes, beinahe beleidigt klingendes Fauchen, dann drehte sein Findling sich um und streckte ihm geradezu betont die Rückseite entgegen, als er sich erneut zusammenrollte.
Nate grinste. Bei den Männchen seiner eigenen Spezies hatte er wenig dagegen, wenn ihm einer derartig demonstrativ den Hintern entgegenstrecken würde. Allerdings sagte der damit etwas ganz anderes aus, als diese kleine Kratzbürste dort drüben.
„Interessieren Sie sich für eine Katze?“, sprach ihn plötzlich eine junge Frau an.
„Nicht wirklich“, murmelte Nate, konnte den Blick aber nicht von dem grauen Tiger lösen, dessen Ohren auffällig zuckten und sich in seine Richtung zu drehen schienen. Unsicher schielte Nate zu dem Schild neben dem Käfig.
„Wir haben einige deutlich umgänglichere Tiere“, fuhr sie trotzdem fort. „Haben Sie schon Erfahrung mit Katzen?“
„Ich will kein Haustier“, sagte Nate erneut – zugegeben, mehr um sich selbst zu überzeugen.
„Äh ...“
War doch wahr. Was sollte er denn mit einer Katze anfangen? Er war nun wirklich nicht der Kuscheltyp. Wobei der Minitiger da drinnen nicht gerade den Eindruck gemacht hatte, als wäre er sonderlich an Streicheleinheiten interessiert.
„Wenn ...“, setzte die junge Frau erneut an, als Nate sich mit einem Mal abrupt zu ihr umdrehte und sie mit kühlem Blick ansah.
„Was muss ich tun, um ihn aus dem Knast da rauszuholen?“, fragte er, nicht sicher warum.
„Ich ...“, stammelte sie – erneut unfähig den Satz zu beenden.
Aber Nate beachtete sie nicht weiter, sondern drehte sich wieder zum Käfig um, in dem der Kater jetzt doch den Kopf gehoben hatte und ihn aus den stechenden grünen Augen anstarrte.
„Was hältst du davon, Jago? Lust, bei mir einzuziehen?“
Der graue Tiger streckte sich, stand auf und setzte sich demonstrativ vor die Tür des Käfigs. Einige Sekunden starrten sie sich beide an, dann grinste Nate. Der kleine Kerl fing an, ihm zu gefallen.
Und wie hieß es doch so schön? Zusammen ist man weniger allein.
ENDE