Am Ende meiner Straße stand ein großes altes Haus. Es lag etwas abseits von den anderen Häusern in der Straße. An seinem Tor prangte in rostigen Ziffern die Hausnummer dreizehn. Von der Straße aus sah man nur das Dach – und auch nur dann, wenn man aus einiger Entfernung auf das Grundstück blickte. Das Anwesen im Gesamten blieb aber den neugierigen Augen verborgen, waren Haus und Garten doch mit einer hohen grauen Steinmauer umgeben, von der sich der Efeu wie dunkelgrüne Schlangen hinabwand. Ich fand das Haus unheimlich und mied es, so gut ich konnte. Das war auch der Grund, warum dieses Haus beziehungsweise seine Bewohner niemals Zeitungen bekamen.
Ich trage nämlich, so musst du wissen, Zeitungen aus. Ich bessere damit, mein, so wie ich finde, doch recht knapp bemessenes Taschengeld auf. Alle anderen Häuser im Dorf bekamen eine Zeitung von mir – alle, bis auf dieses eine. Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass ich mir sehr sicher bin, dass dieses Haus unbewohnt ist. Dafür spricht, dass sich bisher niemand bei meinem Chef über das Ausbleiben der Zeitung beschwert hat. Das würde man doch tun, wenn man Abonnent einer Zeitung wäre oder etwa nicht? Darüber hinaus hat noch niemand im Dorf jemals einen Menschen dieses Haus betreten oder verlassen sehen. Ich kann also mit ziemlicher Sicherheit sagen, das in diesem Haus niemand wohnt. Und doch – irgendwie finde ich dieses Haus seltsam und unheimlich. Nicht weil ich ein Angsthase bin. Nein, ich habe einen guten Grund, nein sogar mehrere.
Letzten Winter nämlich, musst du wissen, da besuchte ich des Öfteren meine beste Freundin, die im Haus Nummer zwölf wohnte. Und als ich, es war bereits früh dunkel, an ihrer Haustür schellte und den Blick schweifen ließ, fiel mir ein schwacher Lichtschein in einem der Fenster des Hauses Nr. 13 auf. Er war klein, so wie ein Punkt, sodass er kaum das Fenster erleuchtete. Und doch war er da. Er bewegte sich langsam in waagerechter Linie fort. Zwischendurch verschwand er kurz und dann tauchte er wieder auf. Das ist doch seltsam, oder?
Ein anderes Mal, nur wenige Wochen später, machte ich mich auf dem Nachhauseweg von meiner Freundin, als mich plötzlich die Neugier packte. Ich ging ein paar Schritte in die andere Richtung, zum Tor des Hauses Nr. 13, hielt mich mit den Händen an den Gitterstäben fest und schaute hindurch. Was ich sah, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Im fahlen Licht des Vollmonds sah ich eine Gestalt. Sie trug ein weißes Kleid und ihr Gesicht und Haar war ebenso bleich und weiß. Langsam schwebte sie den Weg entlang. Ich war wie gebannt! Ich konnte mich von diesem Anblick nicht lösen. Plötzlich drehte sich der Kopf der Gestalt langsam, ganz langsam in meine Richtung. Nein, ich wollte nicht in dieses tote Gesicht blicken, wollte nicht in diese toten Augen blicken. Endlich schaffte ich es mich zu lösen. Abrupt wandte ich mich ab, nahm reiß aus. Ich rannte schnell, so schnell wie ich nur konnte. Ich hielt erst an, als mir die Puste ausging. Keuchend stütze ich mich an eine Hauswand. Als ich mich schwer atmend und in sicherer Entfernung erholte, schwor ich mir eins: Niemals, Nie wieder, auch nur ansatzweise in die Nähe dieses verfluchten Hauses zu gehen! Schon wenige Tage später aber – der Spott und das höhnische Lachen meiner Klassenkameradinnen klangen mir noch in den Ohren – war ich bereit, meinen Schwur zu brechen.