Drinnen war es dunkel. Stockdunkel. Nun vielleicht nicht ganz. Ein kleines Licht flackerte vor mir. Im Schein der Kerze erblickte ich ein Gesicht. Es war das Gesicht einer alten Frau. Ihr Gesicht war bleich. Ihr Haar war vollkommen weiß und fiel ihr über die Schultern. Das bemerkenswerte waren ihre dunklen, fast schwarzen Augen, die mich eindringlichen musterten. Sie trug ein schwarzes Kleid, das sehr festlich, aber auch altmodisch aussah. Ich dachte nach. Wie alt mochte sie wohl sein? Wären ihre Haare nicht so weiß gewesen und ihr Kleid nicht so altbacken, dann hätte ich sie wohl viel jünger geschätzt. Auch hatte sie viel weniger Falten als meine Oma. Und trotzdem denke ich, war sie bestimmt schon siebzig oder so. Oder noch älter? Ich weiß es nicht, ich bin nicht gut im Schätzen. Was mir auch noch auffiel: Sie war erstaunlich groß. Bestimmt ein bis zwei Köpfe größer als ich. Und viel größer als meine Oma. Vielleicht so groß wie mein Vater? Ich weiß es nicht, ich nicht gut im Schätzen. Mehr konnte ich im Schein der Kerze auch nicht erkennen. Sie schien die einzige Lichtquelle zu sein und erhellte nur die allernächste Umgebung. Der Rest verlor sich in Schatten und Finsternis. Plötzlich riss mich ihre Stimme wieder zurück in die Gegenwart.
“Folge mir, junge Frau”,
sagte die alte Frau schritt voran. Ich folgte ihr. Im ganzen Haus war es stockduster. Die Kerze blieb auch weiterhin die einzige Lichtquelle. Wir durchschritten eine Vorhalle. Dann gelangten wir durch mehrere Flure und viele Zimmer. Im schummerigen Licht sah ich große, klobige Möbel und an den Wänden große Gemälde. Hin und wieder standen auch Statuen in den Gängen. Der Boden war großflächig mit Staub bedeckt. Als ich zurückblickte, sah ich unsere Spuren im Staub.
Als ich mal nach oben blickte, rutschte mir das Herz in die Hose. Ein Schatten erstreckte sich über mir. Gelb-schwarze Augen funkelten mich bösartig an. Ich hielt den Atem an. Die dunklen Schwingen waren ausgebreitet, also wollte es sich auf mich stürzen. Doch nichts passierte. Die Kreatur bewegte sich nicht, war wie erstarrt.
„Keine Angst, junge Frau. Das ist nur ein Adler. Ein ausgestopfter Adler.“
Ich schaute genauer hin. Tatsächlich, sie hatte recht. Es war nur ein ausgestopftes Tier. Schon lange tot. Es hatte nur so lebendig gewirkt, weil die Glasaugen das Licht der Kerze reflektiert hatten. Ich schüttelte den Kopf. Kein Wunder, das mich die anderen für einen Angsthasen hielten. Ich lachte erleichtert.
Wir gingen eine ganze Weile durch die Finsternis. Gingen von Raum zu Raum, durchwanderten Flur um Flur, bogen mal links, bogen mal rechts ab. Irgendwann hatte ich völlig die Orientierung verloren. Allein, da war ich mir sicher, würde ich hier nicht mehr herausfinden. Ich vertraute mich völlig der Führung der alten Frau an. Plötzlich hielt sie an.