Leise murmelnd trippelte Napoleon in einer Scheunenecke im Kreis.
Und zwar nicht auf seine übliche, dem Chihuahua eigenen Art. Diesmal hielt er den Kopf gesenkt, hatte die schmale Brust nicht vorgewölbt und sein Gang wirkte nicht wie ein Dressurpferd bei der Kür. Heute lief der kleine Hund unsicher wie ein Stelzenläufer in einer Murmelfabrik.
Kuno seufzte. So hatte er seinen kleinen, großmäuligen Freund noch nie erlebt. Seit Tagen schon lief Napoleon geistesabwesend durch das Dorf. Und es wurde mit jedem Tag schlimmer. Er reagierte nicht, wenn man ihn ansprach und vergaß auch seine geliebten Kuhfladenbäder. Kuno glaubte, beim Chihuahua sogar ein leichtes Humpeln bemerkt zu habe, wo der kleine Hund sich die Krallen bis zum Nerv abgekaut hatte.
Schuld an allem war dieses lästige Wanderrattentheater. Natürlich musste Napoleon dem Theaterdirektor Winfried genau in dem Moment über den Weg laufen, als ihn Ivanka wegen eines häuslichen Streits aus der Katzenklappe geworfen hatte. Und natürlich musste Napoleon auf die Frage, ob er schon einmal auf der Bühne gestanden hatte mit "Klar, sowas mach ich andauernd" antworten. Ein Wort führte zum nächsten, und Nappi bedrängte die Wanderratte geradezu, im Dorf zu bleiben und Doblmayrs verlassene Scheune für eine Aufführung zu nutzen. Er redete anschließend so lange auf Winfried ein, bis dieser ihm eine Hauptrolle in der Aufführung versprach. Vermutlich erhoffte sich der kleine Hund damit, bei seiner Geliebten daheim wieder punkten zu können.
Ihre Antwort hatte jedoch anfangs lediglich nur "Mit den Essen spielt man nicht!" gelautet. Napoleon war trotzdem täglich zur alten Scheune gestelzt. Im Laufe der nächsten Tage war Ivanka mehrfach heimlich hinterhergeschlichen. Mittlerweile hatte sie sich zu einer Theaterliebhaberin entwickelt.
Tja, und heute war die Generalprobe. Die getigerte Orientalisch-Kurzhaar hatte ihren Geliebten diesmal hochoffiziell begleitet. Hoch oben auf einem Querbalken blitzten ihre grünen Augen von der rustikalen Loge herab . Die Ratten beäugten sie kritisch, schienen aber professionell genug, um sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Napoleon dagegen zitterten die weißen Ohrspitzen, obwohl es hier windstill war. Kuno konnte die Schweißpfoten bis zu seinem Beobachtungsposten auf einer alten Werkzeugkiste riechen. Wenn bisher niemand das Wort Lampenfieber erfunden hätte, spätestens in diesem Moment wäre es soweit gewesen. Vermutlich raste das Herz des kleinen Hundes wie einem Kolibri beim Anblick von Orchideen. Er hechelte schwer.
Winfried stieß einen schrillen Pfiff aus. "Alle auf ihre Position. Zweiter Akt, zweite Szene!"
Kuno atmete gespannt ein. Endlich ging es weiter.
Die Tochter des Direktors, Wilhelmine, erklomm ein Fass in der Scheunenmitte. Napoleon kam aus der Ecke getrippelt, ohne einmal aufzublicken. Vom Balken über ihm erklang ein "Viel Glück, mein Herz!", doch Nappi schien nichts wahrzunehmen. Er starrte nur zitternd auf das riesige Fass, als Wilhelmine auch schon zu skandieren begann: "O Romeo, warum denn Romeo? Verleugne deinen...", dann brach sie ab.
Nepoleon war umgefallen, lag auf der Seite. Seine Zunge hing bis auf dem den Scheunenboden, in den Augen sah man nur das Weiß.