Das Boot wippte sanft auf und ab. Ich spürte die Wellen kaum, die ich eigentlich auf dem Nil erwartet hätte. Während die Dunkelheit über uns hereinbrach und Sterne am Firmament zu sehen waren, die uns teils den Weg beleuchteten, betrachtete ich skeptisch die Nussschale, die uns drei eigentlich nie hätte tragen können. Die Boote, die in Memphis zu Wasser gelassen wurden, waren aus kräftigem Holz geschnitzt und nicht aus Papyrus. Ich war mir sicher, dass ich das Material erkannt hatte, wenngleich ich nie Papierrollen in der Hand hatte. Die Blätter der Pflanze, die am Ufer wuchsen, wurden zu allerlei weiterverarbeitet und dienten meinem Volk auch in getrockneter Form als Körbe und Weiterem. Immer noch befühlte ich den trockenen Boden des Bootes, während sich Mahaf hinter mir befand. Ich saß im Schneidersitz in der Mitte und beäugte die immer noch fremdwirkende Umgebung. Das Paradies, wie ich es kannte, gab es nicht mehr. Die Bäume mit saftigen Früchten bildeten nun schreckliche Schatten, die Zweige sahen aus wie Gespenster und während meine Ohren das Lachen von Hyänen vernahmen, dachte ich wirklich, rote Augenpaare zwischen den Sträuchern am Ufer gesehen zu haben. Doch egal wie groß und gefährliche die dunklen Kreaturen nun im Schutze der Nacht ihr Unwesen trieben, am Wasser kamen sie immer zum Stehen.
„Können sie auch nicht schwimmen?“, fragte ich laut und zerriss damit die Stille. Sie war sowohl beruhigend als auch beängstigend. Doch ich forderte Antworten. Und es gab nur einer, der mir die geben konnte.
Dir dritte Person hinter mir hatte ich erst beim Einsteigen entdeckt. Eine Gestalt, die ich nicht ganz erkennen konnte, kauerte in der hinteren Ecke des Boots und schlief selig. Als wäre das eine Alltagssituation sein, wildfremde Menschen auf dem Nil umherzuschippern, schnarchte die Person ab und zu und drehte sich auch mal um. Doch meistens schlief der Mann, wie ich anhand der sanften Gesichtszüge nur schwer ausmachen konnte, mit einem Arm als Stütze an dem Bootsrand. Die geschwungenen Augenbrauen und der Mund füllten seine bleiche Haut aus, während den restlichen Beinen und Arme in einem ebenso dunklen Gewand wie das des Mahaf untergingen. Doch in der Dunkelheit erkannte ich die gleichmäßigen Atemzüge und beschloss, ab und an mich zu wenden, um zu sehen, ob der Schlafende eine Bedrohung darstellte. Doch trotz der abweichenden Worte des Fährmanns, ich solle ihn ignorieren, war mir bei dem Fremden nicht ganz wohl. Obwohl ich überhaupt seit dem Aufwachen kein gutes Gefühl im Magen verspürte.
„Nein, sie würde über das Wasser gleiten. Schattenkreaturen wie sie sind einfach Wesen, die Angst haben.“ Die trockene Antwort kam von dem stehenden Mann vor mir, der mit dem Rücken zu mir stand. Er schien mich wahrzunehmen, und doch nahm er keine Notiz von mir. Als meine Frage die Ruhe unterbrochen hatte, drehte er sich nicht einmal um. Er beobachtete die Umgebung wie ich, als würde er etwas suchen. Seelenruhig starrte er auf die Wasseroberfläche, die viel zu ruhig vor uns lag. Wie das Boot ohne wirkliche Strömung gleiten konnte und der Hintermann schlafend das Ruder ignorierte, das sich knarrend manchmal von allein bewegte, schien mir doch Angst genug zu machen. Doch ich dummer Junge musste ausgerechnet noch nach Dämonen fragen, die auf uns zu lauern schienen. Vor was diese Wesen Angst hatten, wollte ich nicht wissen. Vielleicht vor Mahaf?
Um mich abzulenken, starrte ich den Boden an und rieb mit den Fingerspitzen den Papyrus nach. Doch die Maserung wirkte alt und vergilbt, als wäre es älter als die Bootsinsassen zusammen.
Vor mir lachte der Fährmann plötzlich auf und drehte sich um. Sein Lächeln ließ eine weise Zahnreihe erkennen. Während er sich zu mir wandte, wackelte das Boot nicht ein einziges Mal. Ich dagegen lehnte mich zurück, doch würde mich dadurch nur näher an den schlafenden Fremden wagen. Egal wie ich es drehte oder wendete, ich saß in der Falle.
„Man könnte meinen, du bist ein wenig überfordert.“ Mahaf setzte sich mir gegenüber in einen Schneidersitz, nahm die Handflächen auf die Knie und sah mich mit geduldigem Blick an. Er wartete immer noch. Ich konnte nicht umhin, diese Erwartung an ihn zu stellen, dass er mir Antworten geben würde. Doch er gab sich unwissend. Dann müsste ich eben fragen müssen.
„Wer ist das?“, ich zeigte mit dem Daumen hinter mich und flüsterte, um den Fremden nicht zu wecken. Mahaf lächelte breit, ein kecker Ausdruck ergänzte sein Gesicht.
„Du musst nicht flüstern. Er wird weiterschlafen. In all den Jahren, in denen ich Cherti kenne, ist er nicht einmal bei einer Überfahrt aufgewacht. Er überschläft ziemlich viel. Ein richtiger Träumer.“
Ich drehte mich um und erkannte Cherti daran, wie er sich gähnend in eine angenehmere Position begab und genüsslich wieder unter dem Sternenhimmel schlief.
„Wie kann er denn jetzt schlafen?“, fragte ich entrüstet und hielt den Atem an. Seit meiner dummen Idee in der Schatzkammer pochte mir das Herz bis zur Stirn und mein Blut rauschte mir durch die Ohren. Selbst der Schweiß stand mir auf der Stirn. Doch nun schien ich mich bei jeder neuen Information immer mehr an diese verwirrte Situation zu gewöhnen. Und trotzdem musste ich mich beruhigen und einen klaren Kopf bewahren.
„Er schläft einfach. So wie du einfach hier sitzt und mit mir redest.“ Die Antwort war so vielversprechend wie ein leerer Krug Wasser. Ich schluckte einmal, doch die trockene Kehle war wie verschwunden. Vielleicht könnte mir der Mann ja mehr verraten.
„Und wo sind wir hier?“
„Am Nil, das habe ich doch bereits gesagt.“ Seine Geduld schien keine Grenzen zu haben.
„Und wie bewegt sich das Boot?“
„Wir fließen über das Wasser, wie sollte sich sonst ein Boot fortbewegen?“
„Und wohin fahren wir?“
„Osiris erwartet dich schon.“
„Osiris? Der Totengott?“ Mahaf nickte stolz.
Und mir klappte der Mund auf. Schnell rieb ich die Augen und zwickte mich. Nein, Schmerz war vorhanden, ich träumte nicht und doch war ich hier. Osiris? Wirklich?
„Amun-Re selbst soll mich dann auch verbrennen, oder?“, fragte ich ungläubig, während sich Teile der letzten Stunden zu einer ganzen Geschichte formten. Wenn das stimmte, war ich wirklich…tot.
„Der große Gottvater ist selten im Duat.“ Ich schrak hoch, verengte meine Augen und ließ einige Sekunden verstreichen, bis der Witz ankam. Doch so friedlich Mahaf auch schaute, so ernst sah er auch drein. Er antwortete nur auf meine Fragen, gab nichts von sich aus preis.
„Duat?“, fragte ich anschließend und hielt den Atem an.
„Du weißt nicht, wo du dich aktuell befindest, oder, Minkabh?“, fragte der Fährmann nach langem Schweigen. Ohne auf eine Antwort zu warten, fuhr er fort: „Du begibst dich auf deine letzte Reise, junger Ägypter.“
Und als die Erkenntnis über mir hereinbrach, fiel ich in mich zusammen. Das Boot wippte gefährlich hin und her, während ich mich in meinen Gefühlen suhlte.
Eine Explosionswelle in mir wütete mich um und ich schlug mit dem Hinterkopf auf dem harten Untergrund an, schrie mit einem Mal meine ganze Wut und Sorgen aus. Bis die Tränen kamen, der Schock mich unter sich begrub und ich im Zweifel erstickte.