Planet B3 des Systems Theta
Forschungsstation Südseite
Das Speisequartier
Sophie
Dell Industries war ein nahezu perfektes Unternehmen. Die Produkte von hoher Qualität in einer Bandbreite, die man bei Konkurrenzunternehmen vergeblich suchte und kam man mit einem Anliegen oder einer Idee fand sich fast sofort jemand, um sie zu besprechen
Sophie liebte Dell. Nicht umsonst stammte ihre Ausrüstung in Gänze von dort. Sie hatte nur ein einziges Problem: die Akkulaufzeit. Sicher, mittels Sonne, Wind und Wärme ließ diese sich inzwischen angenehm verlängern. Aber Kammer drei und der anschließende Wald sorgten für keine guten Bedingungen.
Fruit wurde schnell müde, ihre Kamera dürstete fast stündlich nach einer Powerbank und ihr Arm - an den wollte sie gar nicht denken. Achtung, Nässe war zu einem ständigen Begleiter geworden, genauso wie das unangenehme Kribbeln zwischen Ober und Unterarm. Dort, wo die Prothese in Arm überging und Technik mit Nervenbahn verschmolz - wenn denn nicht gerade der Akku lahm gelegt war. Denn natürlich hing der Arm nicht einfach sinnlos an ihrer Seite, sondern funktionierte wie der andere auch. Er sah nur eben anders aus, metallisch glänzend und hier und da einige Kabel, gut versteckt unter der Oberfläche.
Sophie hatte sich an den Anblick gewöhnt. Es war Alltag und ganz natürlich inzwischen, und so lange ihr Arm an der Ladestation hing, hatte sie sich angewöhnt, die Bilder anzusehen und auszusortieren. Es war eine Zwangspause, sowohl das Laden, als auch das Bilderbearbeiten, warum also nicht das eine mit dem anderen verbinden?
Fruit hatte seine Daten bereits auf ihr Arbeitstablett übertragen und döste im Licht einer Energie-Lampe. Wobei dösen wahrscheinlich der falsche Ausdruck war. Da war ein Kribbeln in ihrem Kopf, das nicht von ihrem Arm stammen konnte, sondern nur von Fruit. Es war ein gedankenloses Kribbeln, aber eines, was Sophie zeigte, dass da etwas war. Und bei dem Spaß, den die Drohne in letzter Zeit hatte…
Sie musste an Edward denken. An sein amüsiertes Schmunzeln, die Grübchen und das Funkeln in seinen Augen. Er sah gut aus und vielleicht hätte sie ohne die ganzen schrägen Situationen sogar eine Chance gehabt.
So aber…
Fruit stieß ein Schnauben aus, regte sich aber nicht. Wie immer, wenn sie ihren Arm separat lud. Es war einfach angenehmer, als die beständig strömende Energie in den Finger zu spüren - wie immer als latentes Kribbeln - und nebenbei Informationen über Berührungen und Wärme und Kälte zu erhalten. Das wäre ein schierer Informationsoverload und etwas, was Sophie nur zu gerne verhinderte.
“Ist ja gut, Fruit.” Sophie lächelte und griff zu ihrer eigenen Kamera. Ein Knopfdruck, ein kurzes Kabel und einen Stecker später, waren die neuen Bilder auf ihrem Tablett und wurden an eine Wand projeziert - die einzig freie in ihrem mit Schnappschüssen dekoriertem Quartier.
Sophie mochte ihre Bilder. Nur wenige absolut perfekt, aber die meisten in einer Weise schön, wie es eine von KI gesteuerte Maschine niemals konnte. Keine davon achtete auf Details, auf Komposition oder auch nur Lichteinfall. Keine sah das große Ganze dabei! Das Zusammenspiel dessen, was die Linse einfing. Da war nur das Denken an dieses eine Objekt, von dem ein Bild befohlen wurde. In absoluter Präzision bis ins letzte Detail von nur diesem einen Ding - nicht in Harmonie mit der Umwelt.
Technisch notwendige Bilder, aber in Sophie Augen völlig lieblos. Vollkommen ohne Leben, steril und ohne Gefühl.
Sie öffnete das erste Bild. Ein wenig überbelichtet, aber ganz deutlich zwischen all dem Licht kräuselten Blüten sich der Sonne entgegen. Kleine Tropfen auf den Blättern, in vollkommener Stille. Allein dieses Bild zu sehen erfüllte sie mit einer Ruhe, den ein entspannter Nachmittag niemals möglich gemacht hätte.
Auf dem nächsten Bild, zwischen Blüte und Blatt, eine kleine Larve, die stetig voran robbte mit…
Ein Summen an der Tür riss Sophie aus ihren Gedanken. “Besucher”, meldete die quartierinterne KI. Aber Sophie gab ihr nicht die Erlaubnis zu öffnen. Das tat sie noch immer selbst am liebsten. Es war persönlicher, auch wenn sie die Tür nur einen Spalt öffnete.
“Edward!”, sie liefen sich erstaunlich oft über den Weg, aber sie wollte sich nicht beschweren, “wie kann ich dir helfen?”
Grübchen sahen ihr entgegen. “De… Sophie”, noch immer diese Namensschwiegkeit und sie wollte den Mund verziehenund tat es doch nicht, “ich dachte vielleicht ist heute Zeit für eine kleine Runde?”
“Oh.” Das kam unerwartet. Ablehen wollte sie aber irgendwie auch nicht. Nicht schon wieder.
“Oder störe ich?”
“Nein, ich brauche nur noch einen Moment.” Die Tür glitt ihr aus der Hand, als sie sich nach hinten wandte und sie hörte ein überraschtes Einatmen. “Was ist denn das?”
Ihr Arm lag noch auf dem Tisch.
Sophie schloss die Augen und betete. Hoffentlich meinte Edward nur die Larve!