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Nach dem Prompt „Feuerlibelle“ der Gruppe „Crikey!“
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Ihr Heim lag weit oben, in einem düsteren Baum mit Nadeln anstelle von Blättern. So hoch oben, dass hier kaum noch Insekten wohnten und die Überlebenden hauptsächlich von der Madenzucht lebten.
Nun sahen sie in einer Höhle im Stamm und drängten sich um ein Feuer aus aufgeschichteten Nadeln. Darüber schmorten drei runde, rote Beeren am Spieß. Die Erwachsenen fröstelten oder tranken den bitteren Harzwein. Die Kinder halfen dem weisen Weber dabei, einen weiteren Teppich aus Spinnfäden herzustellen, der die Höhle vor dem Frost des nahenden Winters schützen sollte.
"Kannst du uns die Geschichte erneut erzählen? Von der großen Flucht?", bat ein Junge in die Stille.
"Oh ja, bitte!" Begeistert stimmten die anderen Kinder zu. Keines von ihnen war älter als fünf Sommer, ihre Schmetterlingsflügel hatten sich noch nicht entfaltet. Sie waren alle nach der Flucht geboren worden.
"Nun, wenn ihr wollt", sagte der alte Weber mit einem nachsichtigen Lächeln.
"Jaaa!" Die Kinder rückten aufmerksam näher, während sie flochten. Selbst einige der Erwachsenen kamen zu ihnen herüber.
"Also, es war im Sommer vor einigen Jahren, da gab es einen Krieg. Wie genau alles begann, weiß ich nicht. Aber schließlich wurde ein Thronfolger der Perlmuttfeen erschlagen und es hieß, eine rote Fee wäre es gewesen. Also wurden wir verfolgt und gejagt."
"Aber hat einer von euch den Thronfolger getötet?"
"Nein, keiner von uns. Wir waren nur einfache Bienenwachen. Doch in ihrem Zorn kümmerten sich die Perlmuttfeen nicht darum. Wir mussten fliehen, doch sie folgten uns auf großen Gottesanbeterinnen und blauen Libellen und sogar Spinnen."
Es war still geworden. Die Kinder lauschten mit offenem Mund, während sie sich die Armee vorzustellen versuchten, die ihren Eltern gefolgt war.
"Wir wurden umzingelt und wir waren in der Unterzahl", berichtete der alte Weber weiter. Einige der Erwachsenen senkten die Blicke. Knapp die Hälfte von ihnen war an jenem Tag dabei gewesen, und eine Handvoll anderer war auf anderem Wege zu ihrer Zuflucht gelangt. Insgesamt waren sie keine zwei Dutzend und sie alle hatten Freunde verloren.
"Es sah wirklich finster aus", sprach der Alte, der die grausigeren Details unterschlug. Die waren nicht für Kinderohren gedacht. "Wir dachten, dass wir alle sterben müssten, als wir erneut Flügel sirren hörten. Eine weitere Libelle kam. Wir fürchteten uns zunächst sehr, doch dann sahen wir, dass diese Libelle rot war, nicht blau."
"Die Feuerlibelle", flüsterte ein Junge ehrfurchtvoll.
"Ja, sie war gekommen! Unsere wunderbare Anführerin, die Feuerlibelle. Sie hatte eine große, rote Libelle gezähmt und nun kam sie, um uns zu retten. Mit ihrer Feuermagie trieb sie unsere Feinde zurück und landete, sodass wir auf den Rücken der Libelle steigen konnten. Dann brachte sie uns hierher und holte auch andere rote Feen her. Nur ihretwegen leben wir noch."
Das Feuer der Tannennadeln knisterte. Die Kinder sahen staunend in die Flammen. Dann wurden sie von einem lauten Surren abgelenkt, das ankündigte, dass ihre Anführerin in ebenjenem Moment vor der Höhle landete.
Ein Lächeln erhellte die müden Gesichter der frierenden Erwachsenen, und ihre Augen leuchteten, als die Feuerlibelle hereinkam, über der Schulter einen weiteren Zweig mit Beeren. Die Hoffnung in der Luft war beinahe greifbar.
Ebenso staunend wie die Erwachsenen sahen die Kinder die große Magierin an.