Für Feyra S. Moon:)
Weit im Norden, wo im Sommer die Sonne nicht untergeht und im Winter nur ein Widerhall ihrer Pracht in leuchtenden Farben das dunkle Firmament bemalt, erzählen sich die Menschen in den langen Nächten Geschichten. Eine von ihnen, die schönste vielleicht, ist die vom Wolf und der Sperbereule.
Sie beginnt mit einem Ritter. Dem edelsten und tapfersten, den man sich nur vorstellen kann. Sein Name war Lear von Gnitaheide und er diente seinem Fürsten besonders ruhmreich und tugendhaft. Doch der Glanz seines Sterns war zu prächtig, um von Dauer zu sein. So kam es, dass er einen Auftrag erhielt, der ihm tiefstes Leid bescheren sollte.
Sein Herr schickte ihn aus, damit er dessen auserwählter Braut und zukünftigen Fürstin des Landes sicheres Geleit gab. Marisande hieß sie und man sagte, sie sei ebenso klug wie schön und ein Edelfräulein, wie man kein Zweites fände. Der Weg von ihrer väterlichen Burg bis zur Heimat ihres Bräutigams war weit und gefährlich. Da war es nicht verwunderlich, dass dieser seinem besten Ritter ein hochheiliges Versprechen abnahm, die Braut unbeschadet zu überbringen. Doch keiner von ihnen hatte mit dem Schicksal gerechnet, welches zuweilen gewundene und unerklärliche Pfade für die Menschen vorsieht.
Lear und Marisande verliebten sich, gleich als sie einander zum ersten Mal sahen. Wie es sich für eine junge Dame von Adel gehörte, reiste sie in einer Kutsche und in Begleitung von Hofdamen. Doch der Ritter erhaschte einen Blick auf sie, als der Wind den Stoff des Vorhangs hob, der das Fräulein vor neugierigen Blicken schützen sollte. Da war es um ihn geschehen, wie auch um sie, denn die Erscheinung des Mannes hoch zu Ross, mit dem Wind in unbändigen schwarzen Locken und den Augen eines edlen Raubtieres, drang bis zu ihrem Herzen. Keiner der beiden verlor darüber auch nur ein Wort, denn es konnte nicht sein, was nicht sein durfte. So litten sie still und jeder für sich. Nur den Hofdamen und den anderen Reitern des Gefolges erschien es bald merkwürdig, dass Lear und Marisande es vermieden, auch nur einen weiteren zufälligen Blick zu tauschen.
Am dritten Tag der Reise erwies sich all dies als vergeblich. Marisande rastete mit den anderen Frauen im Wald an einem kleinen See, als plötzlich eine Schar Räuber aus dem Dickicht sprang und alle in Angst und Schrecken versetzte. Schon beim ersten Entsetzensschrei kamen Lear und seine Männer mit ihren Schwertern hinzu, um den Halsabschneidern den Garaus zu machen. Als einer von ihnen das edle Fräulein selbst mit scharfer Klinge an der Kehle bedrohte, war es Lear, der nicht zögerte und mit einem gezielten Wurf seines Messers den Mann mitten in die Stirn traf. Dieser war tot, noch bevor er die Erde berührte und der Ritter fing Marisande auf, die im selben Augenblick gerettet darnieder sank. Sowie sie die Augen aufschlug, lag sie in seinen Armen und erschaute die Ewigkeit in seinem Antlitz. Nur er und kein anderer würde jemals ihre Liebe besitzen. Noch bevor sie dies aussprechen konnte, ergriff er das Wort.
„Du bist es, die mir alles ist. Größte Freude und bitterstes Leid. Nichts bin ich ohne dich.“
Da fasste sie einen Entschluss.
„Dich hat mein Herz erwählt und nur dir will ich es schenken. Deinen Fürsten werde ich bitten, die Verlobung zu lösen.“
Im selben Augenblick jubelte das Herz des Ritters auf und seine Liebste bekräftigte ihr Versprechen mit einem Kuss, der die umstehenden Männer des Gefolges und Hofdamen gleichermaßen in tiefste Rührung, aber auch dunkelste Vorahnung versetzte.
So nahm das Verhängnis seinen Lauf.