„Wag es ja nicht, abzuhauen.“
„Hatte ich nicht vor“, faucht sie mich im Dunkeln an. Es gefällt mir, wenn sie die Krallen ausfährt.
„Dein Glück“, fauche ich zurück. „Ich habe ein ordentliches Sümmchen hingelegt, damit wir heute Abend hier sein können.“ Das habe ich natürlich nicht, aber das muss die übellaunige Madame nicht wissen. Ich rede mir ein, dass ihre Übellaunigkeit darin begründet liegt, dass wir einem „Dinner in the Dark“ beiwohnen und die Situation sie überfordert. Die Dunkelheit ist nicht ihr bester Freund, hat sie mir vor dem Restaurant mit feuchten Augen gestanden. In gewisser Hinsicht könnte ich es als Kompliment verstehen, dass sie mich trotzdem begleitet – wenn ich es nicht besser wüsste. Das Einzige, was sie sich von unserer Verabredung verspricht, ist eine Nacht voller Vergnügen und ohne Konsequenzen.
„Ich wünschte, das Essen würde endlich kommen“, murrt mein Gegenüber. Na gut, offensichtlich möchte sie auch etwas essen. „Mein Magen schmerzt schon.“
Als ob mich solch kleine Wehwehchen wie ein knurrender Magen mitleidig stimmen könnten. Ich bin froh, wenn ich mit ihr durch bin. Wie hieß sie noch gleich?
„Steve? Hörst du mir überhaupt zu?“
„Ja, ich höre dir zu“, sage ich und hänge einen theatralischen Seufzer hintendran. Diese Frau nervt mich. Krallen ausfahren hin oder her – eine attraktive Eigenschaft macht eine Frau noch längst nicht begehrenswert. Die perfekte Frau gibt es ohnehin nur im Märchen.
„Was habe ich denn gerade gesagt, wenn du mir so toll zuhörst?“
„Dass du Hunger hast und dass dein Magen schmerzt. Zufrieden?“
Ich stelle mir vor, wie sie die Augenbrauen zusammenkneift, einen Schmollmund zieht und die Arme vor der Brust verschränkt, so wie sie es vor einer Stunde getan hat, als ich ihr verkündete, dass wir mit meinem Auto zum Restaurant fahren werden und sie daraufhin beleidigt auf dem Beifahrersitz Platz nahm. Wie ein Kleinkind. Was habe ich mir da bloß angelacht.
„Das Essen ist da“, ertönt eine Stimme, links von mir. Ich höre, wie ein Teller direkt vor meiner Nase abgestellt wird, anschließend ein zweiter für – ach, für meine Begleitung.
„Was haben Sie mir denn gebracht?“, fragt sie misstrauisch.
„Keine Sorge, wir haben Ihre Anmerkungen bei der Reservierung berücksichtigt“, antwortet der Kellner. Seine Stimme ist so sanft, dass meine Ohren zu schnurren beginnen.
„Also kein Fleisch?“, bohrt sie nach. „Keine Eier, keine Milchprodukte -“
„Alles nach Ihren Anmerkungen“, wiederholt der Kellner. Ich frage mich, wie er so ruhig bleiben kann. Mein Puls ist bereits auf hundertachtzig, weil ich diesen Tisch reserviert habe und sie mir somit vorwirft, ich hätte ihre zigtausend Extrawünsche nicht weitergegeben. „Ich wünsche Ihnen einen guten Appetit!“, schnurrt er und entfernt sich.
Nur mit Schwierigkeiten finde ich meine Gabel und stoße dabei fast mein Weinglas um. Das wäre die Katastrophe des Abends gewesen, Rotweinflecken auf meiner Hose. Der Anzug ist schließlich brandneu.
Meine Begleitung – ich beschließe, sie Gisele zu nennen – stochert auf ihrem Teller herum. Ich kann es nicht sehen, doch die Gabel klackert in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen auf dem Porzellan herum.
„Was ist denn jetzt schon wieder?“
„Ich will wissen, was ich esse“, murrt Gisele. Mit jedem Wort, das von Giseles Lippen perlt, steigt das Bedürfnis, ihr eine Kugel in die Brust zu jagen. Die Vorstellung erregt mich. Leider habe ich keine Waffe dabei.
„Dann hol deinen Zauberstab raus, beschwör ein Lichtlein und lass dich aus dem Restaurant schmeißen“, entgegne ich mit so viel Sarkasmus, wie ich nur aufbringen kann. „Ist wahrscheinlich für alle besser, wenn sie dein Gemecker nicht mehr ertragen müssen.“
„Steve!“
„Halt die Klappe und iss‘ dein Grünzeug.“
„Aber -“
„Soll ich es dir in den Hals stopfen?“
Gisele verstummt. Das hätte ich ihr schon viel früher androhen sollen. Nur noch die monotone Fahrstuhlmusik und das Gemurmel der anderen Gäste dringen an meine Ohren. Endlich führe ich die Gabel mit dem Essen, das sich sehr leicht durchbohren ließ, zum Mund. Süßkartoffel, mit einem Hauch Zwiebel. Lecker.
Dann höre ich ein dumpfes Geräusch, als wäre etwas zu Boden gefallen. Ein Keuchen, gepaart mit einem merkwürdig erstickten Geräusch. Schnelle Schritte nähern sich.
„Ist alles in Ordnung, Miss?“ Die Stimme ist ganz nah. Es ist wieder der schnurrende Kellner. Er muss mit Gisele reden, doch die antwortet nicht. Ich höre, wie ihr Kleid raschelt, dieser hässliche, lilafarbene Plastikfummel, den sie unbedingt anziehen wollte. Ich erinnere mich daran, wie sie eine halbe Stunde vor ihrem übergroßen Spiegel stand und an ihrem Outfit herumzupfte, bis ihre kleinen Titten endlich nicht mehr aussahen wie zwei zu früh vom Strauch gefallene Haselnüsse. „Miss? Können Sie mich hören?“
In dem Moment, in dem der Raum von grellem Licht erhellt wird und die Fahrstuhlmusik verstummt, erstirbt auch das Rascheln. Gisele liegt am Boden, mit verschmiertem Lippenstift und einem milchig weißen Sabberfaden, der ihre Lippen mit der Pfütze auf dem Parkettboden verbindet. Ein Brokkoliröschen schwimmt darin. Ihre Augen sind weit aufgerissen und starren ins Leere.
Erleichtert atme ich auf.
„Gute Arbeit“, sage ich, ziehe ein Bündel Scheine aus der Jacketttasche und stopfe es dem Kellner in den Hemdkragen.
„Stets zu Diensten.“ Das zahnlose Grinsen des Schnurrers, der heute einen Kellner spielen durfte, gilt einzig und allein dem Geldbündel in seinem Hemdkragen, aber das ist mir ziemlich egal. Er hat es sich verdient. „Wenn du wieder einen Giftmischer brauchst, melde dich.“
Mein Blick wandert zu dem Stück Brokkoli, so klein wie ein junges Bäumlein, das in der Sabberpfütze treibt. Es widert mich an.
„Spuren beseitigen. Vor allem dieses – diese Pfütze da.“
„Ja, Chef. Sofort.“ Schnurrer nickt euphorisch und rennt in Richtung Hinterhof, wo er alles Notwendige in einem Hohlraum unter einem morschen Weinfass gelagert hat.
Ohne einen Blick zurück verlasse ich das menschenleere Restaurant, das nur aus einem Tisch und zwei Stühlen besteht und eigentlich überhaupt kein Restaurant, sondern eine verlassene, mit dunklen Tüchern abgehangene Kneipe ist, in der zumindest die Lautsprecher noch funktionieren. Es fühlt sich gut an, mir einmal nicht selbst die Finger dreckig machen zu müssen. Nur die Stelle an meinem Hosenbund, an der sonst meine Pistole sitzt, fühlt sich seltsam leer an. Bald werde ich wieder mit ihr vereint sein. Ich grinse breit, als ich eine junge Dame sehe, die hastig in Richtung Bahnhof läuft und sich so oft umsieht, dass sie sich früher oder später ihren Nacken verrenken wird.
Meine Füße setzen sich in Bewegung. Heute Nacht werde ich gut schlafen, dessen bin ich mir sicher.