Es gab eine Zeit, da lebten im Feenland noch keine Feen, und in den tiefen Höhlen der Berge war noch kein einziger Zwerg zu Hause. Damals lief die Zeitrechnung auch noch nicht vorwärts, sondern rückwärts. Keiner wusste mehr, bei wie viel die Zeit ursprünglich angefangen hatte, aber alle wussten, dass die Zeit irgendwann bei Null ankommen würde. Eine Weile lang war das eher ein theoretisches Wissen. Doch als das Jahr Hundert und schließlich das Jahr Fünfzig verstrichen war, begannen die Bewohner des Feenlandes – die damals noch Pimpfe hießen – sich Gedanken zu machen.
Damals sah das Feenland noch ganz anders aus. Vor allem war alles sehr, sehr matschig. Die Pimpfe lebten in grob gezimmerten Holzhütten mit Dächern aus Blättern, die den Regen nur zur Hälfte abhielten. In ihren Dörfern betrieben sie Ackerbau, Viehzucht und Stockkampf. Letzterer hatte eine große Bedeutung in der Pimpf-Gesellschaft, da die besten Stockkämpfer die Aufgabe hatten, die Wilden Tiere aus dem Wald von ihren Äckern und Schafherden fernzuhalten. Brot, Gemüse und Schafskäse waren die wichtigsten Nahrungsmittel. Obst konnte sich kaum jemand leisten, da es nur sehr, sehr wenige Bäume gab. Die meisten Pimpfe glaubten, das sei schon immer so gewesen, und nur einige wenige erinnerten sich noch an die alten Geschichten von blühenden Obstwiesen, auf denen man saftige Früchte vom Boden auflesen oder von den Zweigen schütteln konnte. Um das Jahr Fünfhundert herum hatte sich nämlich eine dornige, giftgrüne Rankenart in den Wäldern ausgebreitet, die dazu neigte, sich um die Stämme der Bäume zu schlingen und diese zu ersticken. So bestanden die Wälder im Feenland nun alle aus einem undurchdringlichen Dickicht von Büschen und Sträuchern, in denen die Wilden Tiere sich tagsüber verstecken und die Schafsherden auf den Weiden belauern konnten. Das Leben der Pimpfe konnte also durchaus hart und entbehrungsreich sein. Andererseits waren die Pimpfe ein sehr fröhliches Völkchen, sie lachten und sangen gerne, sie malten Bilder, wenn sie Zeit dazu hatten, und erzählten sich abends am großen Dorflagerfeuer Geschichten.
Als nun das Jahr Null immer näher rückte, drehten die Geschichten sich öfter und öfter um die Frage, was in diesem Jahr wohl passieren würde. Die Pimpfe fragten ihre Dorfältesten nach den Alten Prophezeiungen. Die Dorfältesten rezitierten in ernstem Ton die Legende, laut der das ganze Feenland nach diesem Jahr umgebaut werden würde.
„Das ganze Feenland?“, fragten die Pimpfe.
„Ja, das ganze Feenland“, antworteten die Dorfältesten.
Der Gedanke jagte den Pimpfen gehörige Angst ein, denn sie mochten ihre Dörfer und ihre kleinen Museen und ihre wolligen Schafe und überhaupt alles am Feenland. Die Prophezeiungen sagten zwar auch, dass nach dem Großen Umbau etwas Gutes kommen würde. Sie versprachen den Pimpfen Wiesen voller blühender Bäume, eine Welt, in der jeder gerecht behandelt wurde und obendrein Obst für jeden, so viel er essen konnte. Aber so ganz trauten die Pimpfe der Sache nicht.
Schon lange vor dem Jahr Hundert hatte es eine kleine Gruppe von Künstlern gegeben, die sich in ihren Zeichnungen und Gemälden den Großen Umbau in den düstersten Farben ausmalten. Eine der Alten Prophezeiungen besagte, dass das Feenland im Jahr Null von garstigen Ranken überwachsen sein würde, in denen sich gefährliche Wesen versteckten. Die Pimpfkünstler malten also schlängelnde rote Ranken, die in den Dörfern aus dem Boden hervorschnellten, um sich um die Knöchel unvorsichtiger Dorfbewohner zu schlingen. Einige dieser Bilder zeigten Pimpfe, die es im letzten Moment schafften, sich durch einen beherzten Sprung auf eine Waldranke vor einem solchen Angriff in Sicherheit zu bringen. Andere Künstler malten Bilder von Monstern, so hoch wie zehn Wilde Tiere, die für den Großen Umbau den Himmel abrissen und die Himmelsfetzen achtlos hinter sich warfen. Auch auf diesen Gemälden waren unglückliche Pimpfe zu sehen, die unter herabfallenden Himmelsstücken begraben wurden und von Rettungsteams geborgen werden mussten. All diese Bilder erfreuten sich wachsender Beliebtheit. Die Mütter erzählten ihren Kindern Gruselgeschichten vom Großen Umbau und den Umbau-Monstern, wenn die Kinder bei ihren täglichen Arbeiten trödelten oder sich unachtsam verhielten. Die Kinder bekamen Angst. Dann wurden die Kinder erwachsen, und sie nahmen ihre Angst mit ins Erwachsenenalter.
Als schließlich das Jahr Fünfzig verstrichen war, wurde sich die Mehrheit aller Pimpfe einig, dass etwas getan werden müsse.