Auf dem letzten Kunstmarkt habe ich mich, wie schon oft, zu lange mit einem Verkäufer unterhalten. Das Ergebnis, ich habe wieder etwas gekauft, was ich nicht brauche.
Der Verkäufer war überaus nett. Er stand da, bei seinem unscheinbaren kleinen Stand, ziemlich am Ende des Marktes und jeder, der vorbeiging, bewunderte begeistert seine selbsthergestellten, mundgeblasenen Glasschreibfedern. Sie glitzerten wie Kristall in der Sonne. Einige waren einfarbig, nur Glas, manche dezent gemustert mit kleinen Farbeinschlüssen, andere wiederum hatten farbige Streifen.
Passanten blieben stehen und probierten die Federn aus. Das Schriftbild sah einfach bezaubernd aus. Aber Kaufen? Fünfundzwanzig bis dreißig Euro ausgeben für eine, zugegeben, charmante Spielerei?
Die passende Tinte die er in seinem Angebot bereithielt, war nicht gerade billig.
Der Glasbläser erzählte mir, wie schwer sein Leben sei, schwierig und mühselig die Herstellung der Federn, er wäre einer der Letzten, der diese Kunst beherrsche. Die Frage ob sich das Geschäft denn lohne, verneinte er traurig und klagte, dass er nicht einmal genug eingenommen habe, um die Standgebühr zu bezahlen. Er tat mir leid. Um ihm zu helfen, kaufte ich ihm eine mundgeblasene blaugestreifte Glasfeder und ein dazu passendes altmodisches Tintenfässchen ab.
Vierzig Euro, egal.
Ich schreibe zwar eher selten, denn am Telefon kann man die Missverständnisse viel schneller ausräumen, aber eine edle Geburtstagskarte, mit dieser Feder geschrieben, ist sicher etwas ganz Besonderes.
Wieder daheim, setzte ich mich an den Schreibtisch. Das handgeschöpfte Büttenpapier, das ich beim letzten Kunstmarkt gekauft hatte, lag vor mir. Ich überlegte gerade, wen ich denn mit einem Brief beglücken könnte, da klingelte es an der Tür.
Ich erwartete niemand.
Der Vorwerkvertreter war schon gestern da gewesen und die netten jungen Leute von der Drogenselbsthilfe vorgestern; seitdem bin ich übrigens um zwei Zeitschriften-Abonnements reicher.
Ich öffnete die Tür und vor mir stand ein älteres Paar.
Sie sahen sehr gepflegt und vertrauenserweckend aus.
Der Mann hielt eine Aktentasche, die Frau eine altmodische, weiße Handtasche. Liebevoll strahlten sie mich an. Ich kannte sie nicht, lächelte aber freundlich zurück.
„Dürfen wir sie kurz stören?“, fragte der Mann. „Wir würden uns mit Ihnen gern über den Zustand unserer Welt unterhalten“, fügte die Frau hinzu.
Ich gebe zu, ich war geschmeichelt. Hier waren zwei nette Menschen, die sich für meine Meinung interessierten. Ich bat sie herein. Als wir gemütlich im Wohnzimmer saßen, eine Tasse Kaffee lehnten sie auch nicht ab, fingen sie an, mir vom baldigen Ende der Welt zu erzählen. Schockiert lauschte ich ihren Worten. Was für Schrecken erwarteten uns!
Glücklicherweise hatten sie auch eine frohe Nachricht, die sie gern mit mir teilen wollten. Während sie mir dann langatmig ihre Botschaft verkündeten, fing ich an, mit meinen Gedanken abzuschweifen. Das passiert mir leider andauernd. Ich weiß nicht warum, nach einer Stunde unterbrach ich sie. „Euer Gott ist ja ganz nett“, sagte ich ihnen, „aber meine Göttin sieht das alles ganz anders.“ Die Beiden schwiegen erschrocken und schauten mich entsetzt an. Zufrieden über die Wirkung meiner Worte redete ich weiter. „Meine Göttin ist liberal, sie verlangt keine Ausschließlichkeit, neben ihr ist sogar noch Platz für andere Götter“, meinte ich beschwichtigend, nachdem ich sah, wie schockiert das arme, ältere Paar war. Die beiden sagten jetzt gar nichts mehr. Dem Mann war die Tasse aus der Hand gefallen. Meine Tischdecke wurde durch einen hässlichen Kaffeefleck verunstaltet.
Ich wollte gerade ansetzen, um meine Fantasie- Göttin weiter zu beschreiben, als meine Besucher fluchtartig die Wohnung verließen. Nebenbei schnappte ich noch auf, dass die Frau ihren Mann vor Teufeln und Dämonen warnte. Was etwas unverschämt von ihr war, so schrecklich sehe ich nun auch wieder nicht aus.
Ich ging zurück ins Arbeitszimmer, um endlich meinen Brief mit der edlen Feder und der teuren Tinte zu schreiben.
Doch das Tintenfass war verschwunden….
Der ganze Raum war irgendwie verändert. Ich fühlte plötzlich eine laue Brise auf meiner Haut, vermeinte das Meer rauschen zu hören und selbst die Luft war reiner. Es roch verführerisch nach Orangenblüten, Zypressen und Vanille.
Suchend drehte ich mich umher und sah plötzlich eine über dem Boden schwebende, durchscheinende, wunderschöne Frau. Sie war nicht viel größer als ich, hatte langes, offenes, goldblondes Haar und strahlend blaue Augen.
Ihr blaues Gewand erinnerte mich an eine Illustration aus dem alten Griechenland. War sie real, ein Geist oder entsprang sie meiner überreizten Fantasie?
Die junge Frau lächelte. Ich halluzinierte, dabei hatte ich weder etwas getrunken und auch keine Medikamente genommen!
„Ich bin Athene“, stellte sie sich vor. Eine Halluzination, die höflich ist, dachte ich noch bei mir, während ich mich ängstlich ein paar Schritte von ihr entfernte.
„Götter vergehen, wenn kein Mensch mehr an sie glaubt“, fuhr sie fort. „Ich danke dir, dass du mich zurückgerufen hast.“ Ich konnte nicht antworten. Ich war mir keiner Schuld bewusst.
Sie schmunzelte. „Du hast mich so genau beschrieben, dass deine tiefgläubigen Besucher mich sehen und erkennen konnten, zum Dank sollst du meinen Segen erhalten.“
Sie verschwand, bevor ich antworten konnte. Am Fenster flog urplötzlich eine weiße Eule vorbei.
Ein seltsames Gefühl überkam mich, als sie mich kurz mit ihren großen gelben Augen fixierte.
Am Abend fragte mich mein Mann, was mir passiert wäre….
Ich wusste nicht, was er meinte, da zeigte er auf meinen rechten Arm. Ich bekam einen ziemlichen Schreck, als ich im Spiegel den blauen Fleck sah und konnte mich nicht erinnern, irgendwo angestoßen zu sein. Nachdem ich mir dann jedoch meinen Arm genauer anschaute, sah ich, dass es ein Bild war: Ein wirklich ausgesprochen kunstvolles Tattoo sogar, eine hellblaue, sehr natürlich wirkende Eule ….
Das Tintenfass habe ich später noch unter dem Schrank gefunden, es war völlig leer …..
Das Ganze ist jetzt einige Zeit her.
Inzwischen wurde ich oft gefragt, wer mir denn dieses wunderbare Tattoo gestochen habe.
Was soll ich sagen?
Die Wahrheit glaubt mit Sicherheit kein Mensch.
Also behaupte ich immer, dass dieses Tattoo auf einem Kurzurlaub in Berlin entstand und ich leider vergessen habe, in welchem Studio ich es ganz spontan anfertigen lies.
Freunde, die, nachdem sie meines sahen, das gleiche Tattoo wollten, haben es sogar photographiert und mich überredet mit ihnen in ein Studio zu gehen, weil sie genau so eine Eule wie meine wollten. Bis jetzt hat es keiner geschafft, dieses Motiv exakt nachzustechen. Einige waren zwar auch schön und ein Versuch zumindest ähnlich, doch im direkten Vergleich sahen sie aus wie ungeschickte Kopien. Die lumineszierenden Farben hat nicht Einer richtig hinbekommen.
Leider meinten einige Freunde, dass ich ihnen aus reiner Bosheit den Künstler und sein Studio nicht verraten wolle und reden seitdem nicht mehr mit mir.
Was soll ich tun, die Wahrheit würden sie mir noch weniger abnehmen.
Gesehen habe ich Athene bis jetzt nicht mehr. Sie wird viel zu tun haben, nachdem sie wieder hier ist.
Vor ein paar Tagen fiel mir in der Straßenbahn ein Mädchen auf. Sie hatte ein äußerst kunstvolles blaues Bild auf ihrem Oberarm.
Das Kind war höchstens zehn Jahre alt.
Als ich sie unauffällig musterte, bewegte die Eule auf ihrem Arm ganz leicht ihre Flügel.
Die Mutter des Mädchens schaute sich, nachdem ich sie ansprach, erstaunt mein Tattoo an. Natürlich habe sie der Kleinen nichts stechen lassen, versicherte sie glaubhaft. Das Motiv auf dem Arm ihrer Tochter wäre nur ein Abziehbild aus einer Kaugummipackung.
Die Kleine widersprach.
Sie behauptete, das Bild habe ihr eine nette und wunderschöne Frau direkt auf den Arm gezaubert.
Ich bin nicht die allein…..