Zwischen den beiden Menschen aufzuwachen, die einem am meisten auf der Welt bedeuteten, war ein wunderbares Gefühl. Zumindest die wenigen Millisekunden lang, bis Eliot sich darüber gewahr wurde, dass er nicht in seinem Bett lag. Pures Adrenalin flutete seine Adern, doch noch regte er sich nicht. Er spürte Parker, halb auf seiner Brust liegend, und Hardison, der seitlich an ihn gekuschelt schlief. Der Untergrund, auf dem er lag, war hart, und als er vorsichtig seine Hand bewegte, die hoffentlich durch Hardison vor potentiellen Beobachtern abgeschirmt wurde, konnte Eliot Erde und trockene Blätter zwischen seinen Fingern spüren. Er atmete tief ein. Die Luft war kalt und es roch nach Rauch. Neben dem Atem seiner Freunde hörte er das Knacken von verbrennenden Zweigen, aber nichts, was auf eine andere anwesende Person hindeuten würde.
Eliot schlug die Augen auf. Er befand sich offenbar in einer Höhle. Die groben Felsen über ihm wurden spärlich von dem kleinen Lagerfeuer zu seinen Füßen beleuchtet. Vorsichtig schob Eliot Parker von sich, spürte entsetzt, wie kalt ihre Haut war, wand sich unter Hardison hervor und setzte sich auf. Auf der anderen Seite des Feuers konnte er einen Gang erkennen, aber jetzt war es erst einmal wichtiger, sich und die beiden anderen aufzuwärmen.
„Leute?“, sagte er mit rauer Stimme.
Wenig überraschend war Parker sofort hellwach. „Wo sind wir?“ Sie rekelte sich wie eine Katze, bevor sie sich hochstemmte. „Wir waren doch gar nicht campen.“ Sie rieb sich die Hände und rutschte näher an das Feuer.
„Ich hab keine Ahnung“, sagte Eliot und rüttelte Hardison an der Schulter, bis dieser auch endlich die Augen öffnete.
„Wollten wir …“ Hardison unterbrach sich, blinzelte einige Male und wischte mit der Hand über den Boden. „Was zur Hölle?“
Eliot zog ihn in eine sitzende Position. „Aufwärmen“, befahl er. Neben der Feuerstelle lagen einige Äste bereit und Eliot warf sie in die Flammen. Dann stand er auf. „Ich schau nach, wo wir sind.“
„Allein?“, fragte Parker.
Eliot hob eine Augenbraue. „So kalt, wie die Luft ist, lass ich euch bestimmt nicht vom Feuer weg“, bestimmte er. Parker trug nur ein dünnes Nachthemd, Hardison Boxershorts. Im Vergleich war Eliot mit seiner langen Jogginghose fast warm angezogen. „Ich bin gleich wieder da.“
Seine Hände halb vor sich haltend, um einen Angriff sofort abwehren zu können, betrat Eliot den Gang. Er schien, ebenso wie die Höhle, natürlich entstanden zu sein. Zu seinem Erstaunen entdeckte Eliot nichts, was darauf hindeutete, dass die Höhle von Wanderern benutzt wurde. Er kannte nicht mehr viele Orte, an denen kein Müll herumlag. Bereits nach zwei Biegungen wurde es heller. Eliot hielt sich schützend eine Hand vor die Augen, als er den Ausgang erreichte.
Weiß.
Langsam erkannte er Konturen und schließlich konnte er benennen, was sein Verstand zu begreifen versuchte. Eliot befand sich in einem Wald. In einem verschneiten Wald. Die dünne Schneedecke reflektierte die Sonne, die zwischen den kahlen Baumstämmen gut sichtbar am Himmel stand.
„Was zur Hölle?“, flüsterte Eliot, rieb sich über die Arme und entschied sich für einen strategischen Rückzug. Barfuß und nur mit einer Hose bekleidet, würde er sich im Wald den Tod holen, statt Hilfe zu finden. Außerdem beunruhigten ihn die Fußspuren, die deutlich im sonst unberührten Schnee zu erkennen waren. Wenn Eliot sich nicht irrte, und das tat er bei so etwas nur selten, stammten sie von einer Person, die einige Male die Höhle betreten und wieder verlassen hatte. Allerdings waren die Spuren, die zur Höhle führten, tiefer als jene von ihr weg.
Tief genug, als dass die Person einen anderen Menschen getragen hatte?
Über diese Frage dachte Eliot nach, während er zu Parker und Hardison zurückging. Fröstelnd kniete er sich vor das Feuer. „Es ist Winter“, verkündete er.
„Winter?“ Parker runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. „Es ist August.“
„Da draußen liegt Schnee.“ Eliot hielt seine Hände vor die Flammen. „Und es gibt Fußspuren. Eine Person, die höchstwahrscheinlich etwas in die Höhle getragen hat.“
Hardison sah ihn stirnrunzelnd an. „Glaubst du, wir wurden entführt?“
„Ich weiß es nicht“, sagte Eliot. „Es ist unwahrscheinlich, dass jemand in unser Haus einbrechen kann, ohne dass es einer von uns bemerkt.“ Sowohl Parker als auch er selbst hatten eigentlich einen sehr leichten Schlaf, ganz zu schweigen von Hardisons Alarmsystem, das vermutlich niemand auf der Welt überwinden konnte. „Außerdem liegt Schnee. Falls wir wirklich entführt wurden, muss man uns auf die andere Seite der Welt geschafft haben.“
„Wir könnten auch auf nem sehr hohen Berg sein“, meinte Parker.
Eliot schüttelte den Kopf. „Dafür ist der Wald draußen zu dicht.“ Mit kritischem Blick betrachtete er das Feuer. „Das wird nicht mehr sehr lange brennen“, sagte er. „Und dann können wir nicht hierbleiben. Es ist zu …“ Er unterbrach sich, als er Schritte hörte. Sofort stand er auf. Wer immer das war, Eliot würde gewiss nicht zulassen, dass er seinen Freunden zu nahe kam.
„Oh, gut, ihr seid wach.“ Es war ein Mann in einfacher Stoffkleidung, der die Höhle betreten hatte. Seine dunkelgrüne Kapuze hatte er sich tief ins Gesicht gezogen. Er trug einen Leinensack, den er auf dem Boden abstellte. Jetzt konnte Eliot den Köcher sehen, den der Mann auf dem Rücken trug.
„Wer sind Sie?“, fragte er und brachte seine Füße unauffällig in Angriffsstellung.
„Ihr könnt mich Robin nennen“, sagte der Mann und streifte die Kapuze zurück. Dunkelblonde Haare kamen zum Vorschein, die so wirkten, als wären sie schon länger nicht gewaschen worden.
Eliot blieb in seiner Position, aus der heraus er Robin jederzeit problemlos erledigen könnte. Dessen Körperhaltung, die eher auf Neugierde denn auf Aggression schließen ließ, hielt ihn aber noch zurück. „Was geht hier vor?“, wollte Eliot wissen.
Robin musterte ihn mit einem halben Lächeln. „Das wollte ich auch gerade fragen“, meinte er. „Ich hab euch kurz vor Sonnenaufgang in der Höhle gefunden. Hab versucht, euch zu wecken, aber das hat nicht funktioniert. Ihr wart eiskalt, also hab ich Feuer gemacht und bin los, um Kleidung für euch zu besorgen. So überlebt ihr nicht lang im Wald.“ Er deutete auf den Sack. „Was ist passiert? Wurdet ihr überfallen?“
„Vielleicht …“ Eliot bedeutete Parker, den Sack zu nehmen. Robin ließ er in der Zeit allerdings keine Sekunde aus den Augen. „Wo sind wir hier?“
„Im Sherwood Forest“, sagte Robin, ging ein paar Schritte zurück und lehnte sich gelassen neben dem Gang an die Wand.
„In England?“, fragte Hardison verblüfft.
„Kennt ihr noch einen anderen?“ Robin sah sie fragend an und Eliot schüttelte den Kopf.
„Wie kommen wir nach England?“, wollte Parker wissen und reichte Eliot ein einfaches Stoffhemd.
„Das wisst ihr nicht?“ Robin runzelte die Stirn. „Sagt bitte nicht, dass der Sheriff noch ne Ladung Sklaven bestellt hat.“
„Sklaven?“, wiederholte Eliot im gleichen Moment, in dem Hardison „Sheriff?“ fragte.
„Der Sheriff von Nottingham“, sagte Robin. „Ihr müsst ja wirklich von sehr weit weg kommen, wenn ihr von dem noch nie gehört habt.“
„Ich hab von ihm gehört …“, sagte Hardison in einem Tonfall, der sämtliche von Eliots Alarmglocken schrillen ließ. „Du bist nicht zufällig Robin Hood, oder?“
„Doch, genau so werde ich genannt.“ Robin deutete eine spöttische Verbeugung an. „Freut mich, dass ihr zumindest von mir gehört habt.“
Eliot spürte, wie sich sein Herz verkrampfte. „Das wird sich komisch anhören“, sagte er langsam, „aber … Welches Jahr haben wir?“
„Das Jahr des Herrn 1192.“
„Wirklich?“, fragte Parker. „Cool.“
Hardison machte ein Geräusch wie ein verletztes Tier.
„Wir kommen in der Tat von sehr weit her“, sagte Eliot rau und streifte sich die Stiefel über, die Robin zusätzlich zu der Kleidung mitgebracht hatte. Sie passten nicht perfekt, aber waren allemal besser als nichts. „Vielen Dank für die Sachen.“
Robin winkte ab. „Ich konnte euch ja schlecht erfrieren lassen“, sagte er. „Aber falls ich rausfinde, dass der Sheriff euch geschickt hat …“ Er musste nicht weitersprechen, sein Gesichtsausdruck unterstrich die Drohung besser, als Worte es gekonnt hätten.
„Wir kennen keinen Sheriff“, sagte Parker und zupfte am Rock ihres Kleides herum, das ihr trotz der Schnürung zu weit war. „Wie soll man in sowas durch Lüftungsschächte kriechen?“
Robin starrte sie verblüfft an. „Durch was bitte?“
„Schmale Gänge, die dafür sorgen, dass in alle Räume eines Hauses frische Luft kommt“, erklärte Eliot.
„Solche Gänge hat die Burg auch“, sagte Robin nachdenklich. „Und ihr sagt, dass ihr euch darin bewegt?“
„Klar“, sagte Parker. „Die Lüftungsschächte sind meistens der schnellste Weg zum Tresor.“
Robin sah sie verwirrt an.
„Schatzkammer“, erklärte Eliot und warf Parker einen bösen Blick zu.
Plötzlich wirkte Robin gar nicht mehr gelassen. „Ihr seid Diebe?“, fragte er aufgeregt.
„Die besten“, sagte Parker, bevor Eliot sie aufhalten konnte.
„Nun …“ Robin stieß sich von der Wand ab und deutete nach draußen. „Der Sheriff hat eine volle Schatzkammer“, sagte er und ballte seine Hände zu Fäusten. „Er hat erst letzte Woche eine Weihnachtssteuer eingeführt.“
„Weihnachtssteuer?“, fragte Hardison verwirrt.
Robin schnaubte. „Nur jemand, der die Steuer bezahlt hat, darf in die Kirche gehen und für die Armen spenden“, erklärte er. „Und da das nicht die erste neue Steuer ist, die die Menschen in diesem Jahr bezahlen mussten, gibt es unglaublich viele Arme, die Spenden brauchen.“
„Du willst also das Geld stehlen und den Menschen zurückgeben?“, fragte Eliot.
Robin nickte knapp.
„Was denkt ihr?“ Eliot sah fragend zu Parker und Hardison.
„Klingt wie etwas, das Nate getan hätte“, sagte Parker und erst jetzt wurde Eliot klar, dass sie die Geschichte von Robin Hood nicht kannte.
Hardison lachte leise. „Klingt wie etwas, das Robin Hood tun würde“, flachste er.
Eliot verdrehte die Augen, musste aber lächeln. „In Ordnung“, sagte er. „Wir helfen dir.“
***
„Wir sind wirklich im Mittelalter gelandet“, flüsterte Hardison, als die Stadt vor ihnen auftauchte.
Eliot legte einen Arm um Parkers Schultern, als er bemerkte, dass sie zitterte, und zog sie an sich. Wachsam sah er sich um. Robin hatte sie vor etwa einem Kilometer verlassen und gemeint, dass sie am Waldrand auf ihn warten sollten. „Wo wir sind, ist mir ziemlich egal“, sagte Eliot. „Mich interessiert viel mehr, wie wir zurückkommen.“
Parker zuckte mit den Schultern. „Wir sind zusammen“, sagte sie. „Das ist das Wichtigste. Und jetzt besorgen wir uns neues Geld.“
Eliot küsste sie auf die Schläfe. „Du weißt aber, dass wir das nicht behalten können, oder?“, fragte er. „Es ist für die Armen.“
„Wir müssen denen ja nicht alles geben“, sagte Parker locker.
Hardison grinste. „Ein paar Münzen können wir bestimmt behalten“, sagte er. Er legte eine Hand über seine Augen. „Hoffentlich kennt Robin einen Weg in die Stadt. Die Lüftungsschächte sind vermutlich nur in der Burg und wenn ihr die wirklich nutzen wollt …“
„Wir“, verbesserte Parker. „Wir gehen alle. Dafür haben wir doch das Training gemacht.“
Hardison starrte sie entsetzt an. „Die Lüftungsschächte daheim sind schon schlimm genug“, sagte er. „Und da weiß ich wenigstens, was mich erwartet. Auf gar keinen Fall kletter ich in fremde Schächte.“
„Aber …“
„Wir können auch nur zu zweit gehen“, sagte Eliot. „Irgendjemand muss eh den Ausgang sichern.“ Er drehte den Kopf, als er einen Zweig knacken hörte, und entdeckte Robin, der gefolgt von vier Männern und, zu Eliots großer Überraschung, einer arabisch wirkenden Frau mit kurzen schwarzen Haaren, zwischen den Bäumen hervortrat.
Hardison sog scharf Luft ein. „Das kann doch nicht wahr sein“, flüsterte er.
„Wer sind die alle?“, fragte Parker und löste sich von Eliot.
„Meine Leute.“ Robin stellte sie der Reihe nach vor und Eliot folgte seinem Beispiel.
„Und die wollen uns helfen, die Schatzkammern des Sheriffs zu plündern?“, fragte Allan und betrachtete vor allem Parker kritisch. „Bist du dir sicher, dass das keine Falle ist?“
„Ziemlich“, sagte Robin.
„Beim Sheriff kann man nie wissen“, sagte Much. Er klang nervös.
„Robin hat uns halb nackt schlafend in einer abgelegenen Höhle gefunden“, sagte Hardison. „Ich kenne euren Sheriff nicht, aber wenn ihr glaubt, dass er so eine Falle stellt, muss er wirklich ein Bastard sein.“
„Er ist ein Bastard“, sagte Will. Er schien der Jüngste in der Gruppe zu sein, gleichzeitig war sein Blick der misstrauischste.
„Wenn die uns helfen wollen, sollen sie uns helfen“, sagte John bedächtig. „Aber ich würd sagen, dass sie allein gehen.“
„Ist in Ordnung für uns“, sagte Eliot. Er konnte es kaum fassen, all diesen Menschen gegenüberzustehen. Er kannte die Legende von Robin Hood und seinen Outlaws. Als Kind hatte er sie öfter gelesen. Der Gedanke an eine Zusammenarbeit fühlte sich dennoch – oder gerade deshalb – äußerst merkwürdig an.
„Ich schick keine Fremden allein in die Burg“, sagte Robin. „Außerdem will ich sehen, wie ihr das mit diesen Lüftungsschächten macht.“
„Das ist ganz einfach“, sagte Parker. „Wichtig ist eigentlich nur, nicht die Orientierung zu verlieren.“
„Master …“, sagte Much verzweifelt.
Eliot hob eine Augenbraue.
„Zu viele sollten nicht gehen“, sagte Hardison. „Maximal vier, denke ich, also zwei von uns und zwei von euch.“
„Ihr seid schon zu dritt“, sagte Will skeptisch.
„Hardison mag die Lüftungsschächte nicht“, sagte Parker. „Dabei sind die doch das Beste.“
„Darüber können wir später diskutieren“, bestimmte Eliot, der dieses Gespräch schon einige Male zu oft geführt hatte.
„Ich geh mit“, sagte Robin in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete, seine Leute blieben allerdings still. Vor allem die Gesichter von Much und Allan zeigten pure Ablehnung.
„Also nur Eliot, Robin und ich“, sagte Parker und zupfte erneut an ihrem Kleid herum.
„Oh, Moment“, sagte Robin. „Wir haben dir noch was mitgebracht.“
Es war Much, der vortrat, und Parker ein zusammengerolltes Bündel gab.
Neugierig öffnete sie es. „Ordentliche Klamotten!“, rief sie strahlend, drückte Eliot die Hose und das Hemd in die Hand und schlüpfte aus ihren Stiefeln. Ungeniert raffte sie ihren Rock und zog sich die Hose über.
Eliot, der das schon kannte, grinste nur, als er bemerkte, wie sich Robin und seine Männer allesamt hastig abwandten. „Lass das Kleid noch drüber“, sagte er, als Parker Anstalten machte, die Schnüre zu lockern. „Falls wir durch die Stadt müssen. Ich vermute, dass die Leute hier nur selten Frauen in Hosen sehen.“
„Wenn es sein muss.“ Sie zog das Hemd über das Kleid und die Stiefel wieder an. „Also“, sagte sie, als sie fertig war. „Wo geht es jetzt zu den Lüftungsschächten?“
***
Dafür, dass Robin Hood und seine Leute als die Feinde des Sheriffs galten, gelangten sie erstaunlich leicht in das Innere von Nottingham. Eliot achtete darauf, dass Parker und Hardison dicht in seiner Nähe blieben. Ihm war die ganze Geschichte nicht geheuer. An jeder Straßenecke standen ein oder zwei rüstungstragende Wachmänner und wer wusste schon, ob es nicht noch weitere in zivil gab.
Robin führte sie zielsicher durch die Stadt und blieb schließlich an einer Kreuzung stehen. In der Gasse gegenüber standen zwei Wachen, die sich scheinbar unterhielten. „Die bewachen den Ausgang des Aborts.“
Hardison rümpfte die Nase. „Und was wollen wir hier?“
„Das ist der beste Weg in die Burg“, sagte Robin. Es klang entschuldigend, aber Eliot hatte schon schlimmere Fluchtwege kennengelernt.
„Dann los.“ Parker hüpfte aufgeregt von einem Bein aufs andere. „Die Lüftungsschächte warten!“
Much sah sie verstört an und Eliot lachte. „Dann kümmer ich mich mal um die beiden da“, meinte er. „Parker, jetzt kannst du das Kleid ausziehen.“
„Endlich!“ Sofort schlüpfte sie aus dem Hemd, die entsetzten Blicke von Robins Leuten einfach ignorierend.
Eliot grinste noch immer, während er die Kreuzung überquerte.
„Halt, stehenbleiben!“
Eliot sah skeptisch auf die Speerspitze, die ihm entgegengestreckt wurde. „Also ich würde damit nicht so dicht vor meiner Nase herumfuchteln“, sagte er. Bevor einer der beiden noch reagieren konnte, hatte Eliot den Kerl bereits entwaffnet und die Männer in die Bewusstlosigkeit geschickt.
„Beeindruckend“, sagte John.
„Du hast einen eigenartigen Kampfstil“, stellte Robin fest.
Eliot zuckte nur mit den Schultern. Er konnte ja schlecht erklären, dass er sich hauptsächlich an asiatischen Praktiken orientierte.
„Können wir los?“ Parker schien sich an dem Gestank nicht zu stören, der von dem unappetitlichen Haufen ausging, neben dem sie standen. Sie streckte sich und gab Hardison einen Kuss.
Eliot wäre ihrem Beispiel gerne gefolgt, aber er wollte lieber nicht herausfinden, wie Robin und seine Leute auf so eine offensichtliche Zurschaustellung von Homosexualität reagierten. Wenn er sich nicht irrte, waren sie in einer Zeit gelandet, in der die Kirche derartige Gefühle verboten hatte.
Hardison lächelte ihn an und nickte knapp. „Ich warte hier draußen“, sagte er.
„John, Djaq und Much bleiben bei dir“, bestimmte Robin. „Allan, Will, ihr kommt mit rein. Ihr müsst drinnen den Zugang zu dem Lüftungsschacht bewachen.“
„Geht klar“, sagte Allan. Er kletterte als Erstes auf den Haufen und von dort aus in den breiten Schacht. Parker folgte ihm, ohne zu zögern, und sofort setzte auch Eliot sich in Bewegung. Er hasste es, wenn sie sich zuerst an potentiell gefährliche Orte begab. Zu seiner Erleichterung war der Bereich, in dem sie landeten, leer und auch das Gitter, das laut Robin einen der Lüftungsschächte verschloss, erreichten sie problemlos.
„Das sieht anders aus als erwartet“, meinte Parker.
Eliot griff nach den Metallstreben. „Ich kann es jedenfalls öffnen“, meinte er, stemmte einen Fuß gegen die Wand und entfernte das Gitter mit einem kräftigen Ruck.
„Wo ist die Schatzkammer?“, wollte Parker wissen.
„Eine Ebene über uns“, sagte Robin. „Die Treppen werden schwerer bewacht, vor allem jetzt, da sie bis oben hin gefüllt ist.“
„Alles klar“, sagte Parker. „Dann mir nach.“ Sie kniete sich auf den Boden.
Eliot betrachtete das Ganze skeptisch. „Parker, ich bleib doch hier“, beschloss er. „Da pass ich nicht ordentlich rein.“
Sie hob den Kopf. „Dann sehen wir uns gleich?“
„Ich warte hier.“
Parker lächelte. „Gut. Kommst du, Robin?“
Robin streifte seinen Köcher ab und reichte ihn Allan. „Wartet hier“, bat er.
Eliot wartete, bis Parker und Robin verschwunden waren. Dann stellte er das Gitter zurück vor die Öffnung. Es war jetzt zwar locker, aber auf die Ferne betrachtet konnte man glauben, dass es nicht bewegt worden war.
Die beiden Männer lehnten sich an die Wand und Eliot versuchte, ihre ruhige Zuversicht zu teilen. Aber nicht zu wissen, was bei Parker oder Hardison vor sich ging, machte ihn nervös. Bei ihren normalen Jobs waren sie immer miteinander verbunden. Die wenigen Male, die nicht alle von ihnen Ohrstecker gehabt hatten, hatten immer im Chaos geendet.
Dass die heutige Mission keine Ausnahme darstellte, wurde Eliot klar, als plötzlich Alarmrufe über den Burghof schallten. Kurz darauf stolperte Hardison zu ihm, dicht gefolgt von Robins restlichen Leuten.
„Die haben uns entdeckt“, erklärte Much keuchend. „Haben mit Pfeilen auf uns geschossen!“
„Bist du verletzt?“, fragte Eliot sofort.
Hardison schüttelte den Kopf. „Wo ist Parker?“
„Noch drin.“
„Wir dürfen die Wachen nicht auf diesen Ort aufmerksam machen“, sagte Djaq.
Will rieb sich über das Gesicht. „Robin hat gesagt, wir sollen hier warten.“
„Nein“, sagte Eliot. „Sie hat recht. Wo geht es zu den Kerkern?“
„Warum willst du das wissen?“, fragte John misstrauisch.
Eliot lächelte grimmig. „Diese Wachen wissen, dass ihr in der Burg seid. Dafür gibt es genau zwei Gründe, oder nicht? Entweder die Schätze oder die Gefangenen.“
„Stimmt“, sagte Allan. „Und wenn wir von der Schatzkammer ablenken sollen … Hier entlang.“ Er rannte los.
Eliot packte Hardisons Arm und zog ihn mit sich. Parker würde wissen, dass etwas schiefgelaufen war, wenn niemand mehr auf sie wartete. Wenn diese Lüftungsschächte mit ein bisschen Verstand zusammengesetzt waren, würde sie einen anderen Ausgang finden. Aber Eliot wusste auch, dass sie dafür Zeit brauchte. Also musste er ihr diese Zeit verschaffen.
Der erste Wachmann, der ihnen entgegenkam, hatte keine Chance. Eliot entwaffnete ihn noch im Laufen, schnappte sich das Schwert und sorgte in der gleichen Bewegung dafür, dass Hardison hinter ihm blieb. Danach wurde es schwieriger. Eliot hatte aufs Gröbste unterschätzt, wie viele Wachen sich in dieser Burg aufhielten. Und obwohl Robins Leute kämpften wie Löwen, gerieten sie schnell in Bedrängnis.
„Hier lang.“ Will scheuchte sie eine Treppe nach unten und plötzlich standen sie auf dem Burghof.
„Das war eine ganz schlechte Idee“, beschwerte sich Eliot. Zwar hatten sie eine kleine Atempause gewonnen, aber das Fallgitter zur Stadt war verschlossen und Eliot konnte weitere Wachmänner auf den Mauern sehen, die sich jetzt in Bewegung setzten. Zweifellos, um den nächstbesten Weg nach unten zu nehmen.
„Wir müssen das Tor öffnen“, rief John.
Eliot überlegte blitzschnell. Er und John waren fraglos die beiden stärksten Männer ihrer Gruppe. „Wir beide kümmern uns darum“, entschied er und drückte Hardison das eroberte Schwert in die Hand. Natürlich ließ der die Waffe beinahe fallen. „Verdammt, Hardison!“, zischte Eliot. „Sorg dafür, dass du am Leben bleibst!“
Hardisons Antwort ging im Klirren der Schwerter unter, als die Wachmänner den Hof erreichten.
Sich in dieser Situation von Hardison abzuwenden, war eines der schwersten Dinge, die Eliot je in seinem Leben getan hatte. Aber er wusste, wenn das Tor verschlossen blieb, würde keiner von ihnen es je wieder aus dieser Burg schaffen. Gemeinsam mit John griff er nach dem großen Rad und begann, das Fallgitter nach oben zu bewegen. Immer wieder warf er einen Blick zu den Kämpfenden. Robins Leute hatten einen Halbkreis vor ihnen gebildet, um ihnen die Wachen so gut wie möglich fernzuhalten.
Das Gatter war beinahe eingerastet, als das Entsetzliche geschah: Ein Wachmann schlug Hardison das Schwert aus der Hand und hob sein Schwert erneut.
Eliot schrie verzweifelt auf. Er stieß sich von dem Rad ab. Die Zeit schien sich zu verlangsamen. Die Klinge bewegte sich auf Hardison zu und Eliot dachte nicht nach. Er warf sich vor seinen Freund.
Die Welt wurde schwarz.
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Eliot riss die Augen auf und schnappte nach Luft. Parker, die halb auf seiner Brust lag, murrte leise und drehte ihren Kopf auf die andere Seite, wohingegen Hardison, der seitlich an ihn gekuschelt schlief, sich nicht weiter stören ließ. Eliot bemühte sich, seinen rasenden Herzschlag zu kontrollieren. Er lauschte dem regelmäßigen Atem seiner beiden Freunde und langsam beruhigte sich sein eigener.
„Nur ein Traum“, flüsterte er, schob Parker vorsichtig von sich und wand sich unter Hardison hervor. Langsam setzte er sich auf und rieb sich über das Gesicht.
„Nur ein Traum“, wiederholte Eliot. Sein Blick fiel auf das Gemälde, das sie erst gestern „besorgt“ und dann in ihrem Schlafzimmer aufgehängt hatten: der verschneite Sherwood Forest von einem unbekannten Künstler.
„Nur ein Traum“, sagte Eliot ein drittes Mal, aber er merkte selbst, dass er nur noch versuchte, sich etwas einzureden. Er konnte das raue Holz des Rades noch unter seinen Fingern spüren und der Geruch des Aborts klebte in seiner Nase.
Eins stand fest. Er würde das Bild so bald wie möglich seinem Bruder zukommen lassen. Sicher war sicher. Auf weitere Besuche bei Robin Hood konnte Eliot gut verzichten.
Eliots Bruder könnt ihr hier kennenlernen: