Der Himmel war Wolken verhangen und in einem Waschküchengrau wirkte die Welt unter ihm trister und lebloser, als man es von einem magischen Ort wie Belletristica erwarten würde. Im Biotopenreservat herrschten die nachwehen des Winters und der letzte Schnee taute, eisige Kälte wich allmählich den milderen Temperaturen. Eine Nasskälte, der unbeliebteste, aber auch erste, Bote des Frühlings, ließ einen nur allzugerne im Haus verweilen. Ein solches Haus, mit solchen Bewohnern, war das Biotopenhaus. An grauen Tagen wie diesen, war es üblich, die Stunden in der Bibliothek zu verbringen. Diese war keine richtige Bibliothek, sondern das Wohnzimmer des Hauses mit großen Bücherregalen und einem blau gekachelten Kamin. Bereits am frühen Morgen hatte sich der Hausherr, in seinen Flauschsocken, leissohlig aus dem Schlafzimmer an seinen Schreibtisch in der Bibliothek geschlichen. Die Arbeiten am Drachenbuch wahren in den letzten Wochen wieder schleppender vorangegangen, noch immer waren die Sumerischen Drachen nicht in ihrer Gänze beschrieben. Bücher und Unterlagen zog der Meisterbellologe aus den Bücherregalen und baute sich förmlich ein Fort aus Wissen und begann zu recherchieren und mit Tinte auf Pergament zu schreiben. Da es noch recht früh war und eine gewisse Kälte im Raum lag, begab sich der Meisterbellologe zum Kamin und nahm ein paar Holzsscheite zur Hand und legte sie in den Kamin. Aus einer schwarzen Schatulle, mit orangenem Ornamenten, entnahm er selbst hergestellte, unförmige Kaminanzünder und legte sie ebenfalls in den Kamin. Er legte zwei Finger seiner rechten Hand zusammen und schrieb ein Igni-Zeichen in die Luft. Schlagartig entstand eine kleine Flamme, welche der Meister durch den Raum in den Kamin führte, wo sie, mit all dem Brennmaterial, ein prasselndes Feuer entfachte. Ein angenehmer Duft nach Zeder entwickelte sich, während sich der Meisterbellologe wieder an seine Arbeit machte.
Er hatte bereits drei Seiten geschrieben, als eine spürbare Kälte sich bemerkbar machte.
"Ah guten Morgen Bella.", meinte der Meister zu seiner Assistentin.
"Guten Morgen.", gähnte das verschlafene Geisterwesen blau flackernd, sie blickte in den Raum, rieb die Augen und betrachtete das Fort des Meisters.
"Drachen?"
"Drachen."
"Cool.", sagte sie, richtete die Brille und zog ein Klemmbrett hervor, "Los, los, lass dich nicht stören. Ich geh die Post aus dem Briefkasten holen."
"Ach stimmt, die habe ich vergessen. Danke."
Schon schwebte das blaue Wesen aus dem Raum, in den Flur, aus dem Haus, in den Garten und letztlich an den Briefkasten mit der ausreichend großen Vogelstange. Zwar saßen heute keine Tauben, Raben, Eulen oder Pelikan, aber ein Mäusebussard hatte sich niedergelassen und tat sich an der Verpflegungsstation gütlich. Bella erkannte den Boten, war es doch der Mäusebussard des Schülerwesens. Bella blickte in den Briefkasten und wie erwartet, war dort ein Brief, samt Päckchen, vom Schülerwesen an den Meister. Sie tätschelte den Botenvogel und lobte ihn, dann ergriff sie die Post und schwebte den Weg zurück ins Haus des Meisterbellologen.
In der Zwischenzeit war Leegween, die wir Nina nennen wollen, erwachte und stellte fest, dass ihr Liebster sich mal wieder heimlich aus dem Bett gestohlen hatte. Rasch zog sie ihre roten Flauschsocken über und eilte die siebzehn Stufen aus dem ersten Stock in das Erdgeschoss. Auf Zehenspitzen schlich sie in das Wohnzimmer und erblickte ihren Freund, nein eher, die Wand aus Unterlagen, hinter der er sich versteckte. Weiter mit der Gewandheit einer jagenden Katze schlciht sie in das Wohnzimmer, nur um mit einem lauten BUH-Ruf hinter die Front der Dokumente zu schauen. Felix schaute auf und grüßte seine Freundin.
"Guten Morgen, mein Schatz. Na gut geschlafen?"
"Du hast dich ja gar nicht erschreckt!", sagte Nina beledigt.
"Waaaahhahahahahaha, soooo sehr habe ich mich erschreckt! - Besser?"
"Mein Freund ist fies zu mir!"
"DU Wolltest MICH erschrecken!!"
"Ganz doll fies!"
"Schatz..."
"Na warte, wenn ich das Bella erzähle!"
"Schatz, please..!"
"Was willst du mir erzählen?", fragte Bellas Stimme den gespielten Zwist durchbrechen.
"Felix ist ganz doll fies zu mir!", sagte Nina bekümmert mit den größten Kulleraugen, die es in der Geschichte der Kulleraugen gab.
"Bin ich nicht!"
"FELIX! Entschuldige dich sofort bei ihr!"
"Du weißt Nichtmal worum es geht!?!"
"Mir egal, Frauen müssen zusammen halten!", und damit gab Bella Nina eine Bro- bzw. Sisfist. Während Felix einen Klagelaut der Verzweiflung von sich gab.
"Ach übrigens Lu hat geschrieben."
"Oh Post vom Schülerwesen, zeig her.", rasch ergriff der Meisterbellologe das Päckchen, auf den mit einem Bindfaden ein Brief festgebunden war. Er betrachtete den Briefumschlag und das Päckchen eingehend. Nahm ein kleines Brieföffnerkatana zur Hand und schlitzte den Briefumschlag auf und begann den Brief zu lesen.
Ich hoffe Sie und die anderen sind wohl auf, Meisterwesen.
Ich befinde mich aktuell am Drachenhort und habe dort einige Proben gesammelt, vielleicht können Sie etwas damit anfangen?
"Lu hat mich schon wieder gesiezt.", schmunzelte der Meisterbellologe und öffnete vorsichtig das Päckchen. Den Inhalt entlerrte er auf den Schreibtisch.
"Schuppen.", stellte Nina fest.
"Drachenschuppen.", konkretisierte Felix nachdenklich, "Von mindestens 10 Arten. Das hier ist die Schuppe einer Mondschwinge, schau dir an wie schön schwarz sie ist, man spürt förmlich die Dunkelheit. Und das hier, das ist die Schuppe eines Rubindrachens. Die Schuppe ist rot und hat einen kristallinen Chrakter, sehr robust, schau’ ich kann sie nicht biegen, die Schuppe der Mondschwinge dagegen mit Leichtigkeit. Doch diese hier.", der Meisterbellologe zeigte auf die größte Menge der Schuppen, "Ist deutlich schwerer zu identifizieren. Er pfiff vergnügt und war ganz in seinem Element."
Nina liebte den Blick, den Felix zeigte, wenn er ganz Meisterbellologe war und die kindliche Freude über eine neue Entdeckung nicht verheimlichen konnte. Ihre Stille Beobachtung eines begeisterten Arbeitenden Felixs wurde je unterbrochen durch die Taps-geräusche einer kleinen Rasselbande.
"Mama, Papa!, Guten Morgen.", riefen Giggles und Kobacht vergnügt, der kleine rote Panda und der blaue Sternenbeerendrache waren Ninas und Felix Kinder. Ihnen folgten die Neuzugänge der Familie, Ushi, eine Kuh mit Hüftschwung und Boinkboink ein kleiner grüner Schleim mit winzigen Silberflügeln auf dem Kopf. Nina und Felix hatten die beiden bei Reisen in ein anderes Universum kennengelernt und mit nach Belletristica, und so, in die beständig wachsende Biotopenhausfamilie, gebracht.
"Guten Morgen", sagten die Erwachsenen, während Giggles und Kobacht auch Bella begrüßten.
Soeben schlug die große Standuhr sieben.
"Oh nein, ich muss ja heute zur Akademie.", stellte Nina, mit einem missmutigen seufzen, fest. Ausflüge in die Rubinrealität waren meist weniger erquicklich als die Realität im Biotopenhaus, wo nur ihre Lieben auf sie warteten. Egal, wie vertieft Felix war, er spürte, dass seine Freundin eine flauschige Umarmung brauchte. Der flauschige war aufgesprungen und umarmte seine Liebste mit seinen Pranken. Nina kuschelte sich an und vergrub ihr Gesicht in ihren Freund. Das war einfach der beste Platz. Felix begann Nina zu kraulen und die krausen Stirnfalten wichen einem Lächeln des größten Glücks. Der flauschige beendete sein Werk mit einem laaaangen und liebevollen Kuss.
"Ich muss mich noch umziehen."
"Mein armer Schatz, aber dann los, los, sonst wird es zu stressig für dich"
"Und was macht ihr dann ohne mich?"
Felix zeigte auf die Drachenschuppen. "Die hier auswerten und dann, mal sehen was noch der Tag so bringt."
"Klingt gut.", stimmte Nina zu und ging sich rasch umziehen und entschwand aus der Tür des Hauses, indem sie an der Türdrehscheibe das Fenster auf Rot stellte.
Die Rasselbande hatte sich entschieden, den Vormittag im Garten zu verbringen. Durch die großen Fenster der Bibliothek waren sie gut zu sehen. Ushi schwang seine Hüften muhend, Boinkboink und Kobacht, übten fliegen und Giggles war auf einen Ast geklettert und ließ sich dort die allmählich auftauchende Sonne auf den Pelz scheinen. Der Meisterbellologe setze sich an den Schreibtisch, holte Lupe, Maßband und Messschieber hervor. Befüllte sein Tintenfass und nahm einen Bogen Pergament zur Hand. Akribisch studierte er eine jede Schuppe. Notierte sich Auffälligkeiten und Besonderheiten und welchen Drachen sie wohl zuzuordnen waren. DNA-Analysen waren bei magischen Geschöpfen noch immer ein sehr problematisches Unterfangen, weshalb fundierte anatomische Sachkenntnis noch lange ein essenzieller Bestandteil der bellologischen Lehre seien würde.
"Weißt du eigentlich, dass Valentinstag nächste Woche ist?", fragte Bella etwas plump, unfähig ihre Neugierde zu verbergen.
"Ja, was soll damit sein?", sagte der Meisterbellologe, während er die Leitfähigkeit einer vermeintlichen Sturmschlangenschuppe unter den Prüfstand stellte.
"Sag mir nicht, du hast nicht daran gedacht?"
"An was genau?"
"Na es ist Valentinstag, sag bloß du hast ihr nichts besorgt?"
"Habe ich nicht.", Felix pausierte, legte die Schuppe und die elektrischen Leiter zur Seite, und führte weiter aus, "Ich habe ihr Schokolade selbst gemacht."
"Süß."
"Ja natürlich süß, hätte ich sie sauer mach... Oh das hast du gemeint."
Bella richtete die Brille und blickte in das sich rot verfärbende Gesicht eines Felix'.
"Zeig mal."
Felix seufzte. "Du wirst eh nicht locker lassen und bei der letzten Schuppe komme ich auch nicht weiter."
"Welcher?"
Felix zeigte dem Geisterwesen eine große blaue Schuppe.
"Saphirdrache?"
"Ist biegbar, die Farbe ist auch nicht Saphirblau, sondern Cobalt(II)-oxid.
"Warum kommt mir das bekannt vor?"
Der Meister tippte auf das Drachenbuch. "manche der summerishcen Drachen sind auf dem Ischtar-Tor – eines der Stadttore von Babylon, abgebildet. Die blaue Farbe des Tores ist ebenfalls Cobalt(II)-oxid.
"Verstehe, aber wenn es eine neue Art ist, wo ist dann das Problem?"
"Die Form der Schuppe."
Bella schaute unverständig.
"Die Form der Schuppe entspricht den Schuppen von Kobacht, ist aber neunmal so groß. Sternenbeerendrachen sind aber eine klein bleibende Art. Haben wir hier einen seltenen Fall von Riesenwuchs oder handelt es sich um eine neue Art?"
"Verstehe, du brauchst mehr Daten."
"Jep."
"Und ich muss jetzt die Schokolade für Nina sehen!", sagte Bella energisch.
Felix seufzte und führte den Geist zum Kühlschrank. Er öffnete die Tür und zeigte auf eine Pralinenschachtel. "Sei vorsichtig beim Rausnehmen."
"Ähm Felix, warum bewegt sich die Schachtel?"
"Was zur Hölle?!?", Felix ergriff die Pralinenschachtel und sie war unfassbar schwer, zu schwer für Schokoladenherzen. Doch was war darin. Der Meisterbellologe öffnete die Packung und heraussprang ein Randa. Ein magischer roter Panda mit zwei Schwänzen und der Fähigkeit sich mit einem roten Ahornblatt in alles Mögliche zu verwandeln.
"Er hat die ganzen Schokoherzen gefressen!", stellte Felix schockiert fest.
Schon verwandelte sich der Randa in eine Libelle und sauste fliegend davon.
Bella flog so schnell wie möglich hinter dem tu-nicht-gut hinterher, doch an der Tür verwandelte sich der Randa in einen Floh und sprang einfach aus dem Schlüsselloch. Auf und davon!
Bella kehrte zum Meisterbellologen zurück, doch anstatt diesen am Boden zerstört, über den Verlust, zu sehen, fand sie ihn in bester Stimmung vor.
"Wieso freust du dich so?"
"Ein Randa fand die Pralinen für Nina gut, dann müssen sie wirklich geschmeckt haben. Ich mach sofort neue und hoffentlich werden die nicht weggeputzt!"
Gesagt, getan, schnappte sich Felix eine handvoll Schokosnüsse und begann diese klein zu raspeln. Die Raspeln gab er daraufhin in ein Wasserbad, um sie zu einer homogenen Masse zusammenzuschmelzen. Bella beobachtete wie der Flauschige Glitzerstaub und blaue Zuckerkristalle in herzförmige Formen gab und als die Schokosnüssemasse bereit war, gab er sie mit Vorsicht in die Vertiefungen. Rasch waren so neue Herzpralinen entstanden, welche die noch leere Pralinenschachtel füllen würden. Doch erst mussten sie auskühlen und der Flauschige stellte sie dafür in den Kühlschrank.
Soeben schlug die große Standuhr elf und Felix wusste, dass seine Rasselbande bald Hunger haben würde - er würde noch etwas länger in der Küche verweilen, ehe er sich wieder den Drachenschuppen widmen konnte.