---- Tag 96 ----
Hey.
Es tut mir leid, dass ich dir geschrieben habe, aber es ist schön, dass wir gleich telefonieren. Ich sterbe vor Aufregung.
Bitte versetz' mich nicht.
Lucy
---- Tag 97 ----
Hey.
Ich musste heute den ganzen Tag an die Dinge denken, die Du gestern gesagt hast.
Aber wieso versetzt Du mich heute? Ich verstehe es nicht. Gestern warst Du noch so total fürsorglich, von wegen »Denk über eine Therapie nach« und so, aber heute interessiere ich dich schon wieder nicht mehr, obwohl Du gesagt hast, dass wir nochmal reden.
Irgendwie ist es für mich noch unangenehmer, dir, auf dein Drängen hin, diese Briefe vorzulesen als mein Tagebuch. Wieso mache ich das überhaupt?
Es war mir so klar, dass Du dein Versprechen nicht halten wirst.
Lucy
---- Tag 98 ----
ICH HALTE DAS NICHT MEHR AUS, JETZT SAG MIR ENDLICH, WAS DU WILLST, VERDAMMT!
Bitte. Bitte sag es mir. Es macht mich so fertig.
Bitte.
---- Tag 99 ----
Hey.
Am Freitag werde ich dir die Tatsachen auf den Tisch hauen. Du kommst mir nicht davon, dafür werde ich sorgen.
Freue dich auf wichtige Entscheidungen.
Lucy
---- Tag 100 ----
Hallo.
Heute Morgen ist mir eingefallen, dass Du mir 2014 von eurem Theaterstück erzählt hast und ich bin spontan in Tränen ausgebrochen.
Nun sind es schon 100 Tage.
Wie die Zeit vergeht.
Lucy
---- Tag 101 ----
Hola.
Ich bin schon wieder so müde.
Verzeih mir.
Lucy
---- Tag 102 ----
Hola, amigo.
Vergiss unser Date morgen nicht.
Bonne nuit.
Lucy
---- Tag 103 ----
Hey.
Danke, wirklich. Nicht mal ein verdammtes Häkchen auf WhatApp bin ich dir wert? Wieso waren wir eigentlich zusammen?
Du glaubst doch selber nicht, dass wir morgen, an einem Samstag, um 6am reden. Ich stell mir den Wecker gar nicht erst.
Fick dich einfach ins Knie.
Viel Spaß bei was auch immer Du machst und dir offensichtlich wichtiger ist.
---- Tag 104 ----
Hey.
Heute wäre unser Jahrestag gewesen.
Von meinem kleinen Zusammenbruch weißt Du ja schon. Es geht mir dementsprechend schlecht.
Heute Morgen habe ich mich auf die Staumauer an der Talsperre gestellt und geschrien. Ich akzeptiere, dass wir nie wieder zusammen sein werden.
Viel Spaß noch.
Lucy
---- Tag 105 ----
Hallo.
Es ist Mittag. Ich weiß nicht, was Emma dir geschrieben hat, aber es hat dich offenbar dazu bewegt, mir zu schreiben.
Wenn es dir schlecht ging, musstest Du mir auch nie irgendwas erklären, also akzeptiere einfach, dass es mir auch mal schlecht geht und lass mich in Ruhe. Schließlich ist dir auch egal, wie es mir geht und was passiert ist.
Leb doch einfach dein Leben und vergiss es einfach. Vergiss einfach alles, was mit uns zu tun hat oder hatte. Es gibt kein uns mehr.
Ich erinnere mich kaum noch an dein Gesicht. Ich hoffe, dass ich auch irgendwann die ganzen leeren Zukunftspläne, die Enttäuschungen, die verpassten Momente, die Berührungen, die Wünsche, die verlorenen Hoffnungen, die unerfüllten Erwartungen, die nicht wahr gewordenen Träume, den Schmerz, all die »was wäre wenn«'s, deine Stimme, deinen Körper, die Sehnsucht, die »Ich liebe dich«'s vergesse und nur noch die schönen Momente behalte. Es waren nicht viele, aber unvergessliche. Danke.
Ich liebe dich und werde es immer tun, nur nicht auf diese Weise.
Vergiss mich nicht.
In Liebe,
Deine Lucy
---- Tag 106 ----
Hey.
Ich bin sehr müde, entschuldige.
Gute Nacht, Luke.
Lucy
---- Tag 107 ----
Hey ho.
Entweder wir ändern das Schulsystem und die Gesellschaft, oder wir bauen mehr psychiatrische Kliniken.
Es ist immer so lustig, wenn ich meine Mutter erkläre, wie ich mich selber sehe. Dann sagt sie immer Dinge wie »Das stimmt doch gar nicht« oder »Du spinnst doch!« Haha, sehr aufbauend.
Ich wäre wirklich gerne dünn. Richtig dünn. Meine Brüste kann ich gern behalten, aber der Rest könnte entschieden weniger fettreich sein. Ich bin so mäkelig. Ich finde selbst meine Handgelenke zu breit. Von meiner Größe brauche ich gar nicht erst anfangen. Es ist einfach zutiefst deprimierend, dass man an mir jedes Gramm sieht. Ich komme schon klar. Ich denke mir nur immer, wie schön ich aussehen könnte, wäre ich größer und schlanker. Aber so werde ich nie aussehen, der Gene sei Dank. Also kann ich mich schon mal darauf einstellen, mein Leben lang auf meine Ernährung achten zu müssen, um noch halbwegs passabel auszusehen. Yeah. Ich bin ein genetischer Reinfall. Stelle ich jeden Tag auf's Neue fest.
Offensichtlich ist meine vorwurfsvolle Nachricht bei dir auch genau so angekommen, denn Du antwortest nicht. Aber das ist nicht mein Problem.
Lucy
---- Tag 108 ----
Hallöchen.
Bei der einen Psychologin hier in der Nähe hätte ich sogar schon Mitte Juni eine Chance auf einen Termin. Mal sehen. Der Nachteil ist, dass Mama jetzt ständig irgendetwas darüber wissen will. Was ich mir vorgestellt hab, was genau los ist, was ich möchte. Warum rede ich wohl nie darüber? Weil ich das nicht will, verdammt!
Ich meine, ich finde es super, dass sie mir helfen will. Aber das kann sie nicht. Das muss sie verstehen, auch wenn es noch so schwerfällt.
Was will man machen.
Lucy
---- Tag 109 ----
Hallo.
Heute gibt es nichts zu erzählen.
Schlaf gut!
Lucy
---- Tag 110 ----
Hola.
Heute habe ich keinen Schreib-Bedarf.
Bin morgen und Sonntag erstmal in Berlin.
Lucy
---- Tag 111 ----
Hola.
Ich wollte mir nur nicht den Umschlag mit der 111 entgehen lassen.
Lucy
---- Tag 112 ----
Hey.
Ich bin so fertig. Erzähle dir morgen (oder so) mehr.
Lucy
---- Tag 113 ----
Okay, morgen erzähle ich mehr.
Lucy
---- Tag 114 ----
Heeey...
Also, ja. Berlin war ganz schön. Ich habe zwei Paar neue Schuhe. Schuhe sind ja so viel besser als Männer.
Ich habe am 03. Mai einen Termin bei einer Psychologin bekommen, die ihre Praxis erst am 01. Mai öffnet. Da habe ich ziemlich viel Glück gehabt. Emma begleitet mich.
Gute Nacht.
Lucy
---- Tag 115 ----
Bonjour, Monsieur.
Manchmal denke ich an uns und bin glücklich.
Es manifestiert sich zur Zeit der Plan, dich irgendwann wiederzusehen. Als Freund. Ich freue mich darauf.
Mittlerweile bin ich an einem Punkt, an dem es mir peinlich ist, dich während unserer Trennung so vollgeheult zu haben. Das klang bestimmt wie ein sterbendes Tier oder so. Ich bin erschüttert, wie abhängig ich von dir war. Das war eine Erfahrung, die ich nicht wiederholen möchte. Aber es hatte auch sein Gutes.
Ich mag dich immer noch!
Lucy
---- Tag 116 ----
Hey ho!
Gestern fragte Emma, ob ich mit auf ihren Abschlussball gehen möchte. Hat sich angefühlt wie ein Heiratsantrag. Nicht zuletzt weil ich heute mit Papa ein Kleid aussuchen war: Es ist feuerrot, am Rücken geschnürt und wunderschön.
Rate, wer mich so nicht sehen wird!
Richtig - Du!
Lucy
---- Tag 117 ----
Hey ho.
Ich hätte dir gerade fast eine Nachricht geschrieben, aber dann wusste ich nicht was und habe es gelassen.
Heute hat doch Jeannette (oder wie auch immer sie geschrieben wird) aus deiner Studiengruppe Geburtstag; ich hoffe, Du vergisst es nicht.
Wie geht es dir?
Hab ein schönes Wochenende!
Lucy
---- Tag 118 ----
Hallooooo!
Ich habe nur ein Glas Rotwein getrunken, ich schwöre!
Ich würde dir gerade so gerne schreiben, aber ich würde es bereuen. Also nein, Luke!
Schlaf dann gut!
Lucy
---- Tag 119 ----
Hola.
Irgendwann melde ich mich nochmal bei dir!
Lucy
---- Tag 120 ----
Hallo.
Meine Psyche warf mich nieder. Erneut. Ich war heute nicht in der Schule. Ich habe keinen Hunger. Ich habe Kopfschmerzen. So unerträgliche Kopfschmerzen. Manchmal möchte ich lesen. Dann lese ich ein paar Seiten und habe plötzlich keine Lust mehr. Dann starre ich die Wand an und möchte wieder lesen. Ich stolz auf mich, dass ich schon sechzehn Seiten geschafft habe.
Ich weiß nicht, warum es mir heute so schlecht geht. Heute Morgen saß ich im Wohnzimmer, schaute geradeaus und mir liefen die Tränen über mein Gesicht. Ich habe nicht geweint. Es flossen nur einfach stetig die Tränen.
Vorgestern ging es mir auch relativ schlecht. Gestern ging es mir unnormal gut. Heute kam der Absturz.
Ich wünschte, es wäre jemand da, mit dem ich reden könnte. Doch eigentlich möchte ich nicht reden. Vielleicht doch. Nein... Ich weiß es nicht.
Es ist 10.44 am. Ich weiß nicht, was ich mit mir anfange soll. Gleichzeitig will ich gar nichts machen. Verrückt.
Es ist 11.04 am. Mein Vater war gerade da und ich habe ihn angelogen, als er fragte, ob ich Stress wegen der Schule hätte. Ich konnte gestern Nacht vor Angst nicht einschlafen.
Es ist 01.39 pm. Ich habe ein Buch zu Ende gelesen.
Noch einen schönen Tag dir.
Lucy
---- Tag 121 ----
Hola.
Ich war heute wieder zu Hause, aber es geht mir etwas besser.
Ich habe ein Trilogie entworfen, die Du schreiben könntest. Bestehend aus den Teilen:
- Das Häkchen - Zeichen meines Desinteresses
- Wie werde ich sie los in neun Monaten?
- Wie stoße ich sie nach der Trennung noch mehr vor den Kopf?
Ich finde, das passt perfekt.
Ich muss jetzt noch lernen, auch wenn ich mich dazu noch nicht bereit fühle. Aber morgen gehen ich wegen zweier Tests wieder zur Schule.
Also dann gute Nacht.
Lucy
Nachtrag:
Ich höre gerade Musik und das macht mich immer so schrecklich sentimental.
Irgendwie bin ich schon ziemlich enttäuscht, dass Du dich wirklich gar nicht meldest... War ich für dich immer nur eine Option? Ich dachte das letzte Mal, als wir redeten, wirklich, dass Du es ernst meinst mit dem
»Wir reden morgen wieder« und dem
»Ich habe schon überlegt, wann ich wieder zu dir kommen kann.«
Aber letztlich waren es nur leere Worte. Wie so oft.
Ich war und bin eben naiv, aber auch erst sechzehn. Ich dachte, Du wüsstest, was deine Entscheidungen oder Worte für Auswirkungen haben. Mittlerweile bin ich mir nicht mehr so sicher, ob Du je darüber nachgedacht hast, was das alles für mich bedeutet und bedeutet hat.
Ich sage es ungern, aber mit dir habe ich mich sicher gefühlt. Ich hatte keine Angst, keine Panikattacken mehr. Was auch immer ich suchte, ich fand es in dir. Für den Moment. Denn das war unsere Liebe: für den Moment.
Ich distanziere mich jetzt von allem. So wie Du. Ich isoliere mich, entziehe mich.
»Zum Augenblicke dürft' ich sagen, verweile doch, du bist so schön.«
(aus Faust von Goethe)
---- Tag 122 ----
Hallo.
Meine zwei Tests liefen ganz okay. Gesundheitlich geht es mir nicht besser.
Ich werde noch etwas lesen oder Zeit im Internet verschwenden.
Gute Nacht.
Lucy
---- Tag 123 ----
Hey.
Ich bin schon wieder so fertig.
Gute Nacht.
Lucy
---- Tag 124 ----
Hola.
Morgen habe ich diesen Erste Hilfe-Kurs und ich habe solche Angst. Vor den Menschen, nicht vorm Helfen.
Meine Mutter schrieb mir heute morgen:
»Ich muss so sehr an dich denken. Dir geht es nicht gut und ich kann nichts für dich tun. Ich wäre gerne mehr für dich da, wenn Du mich lassen würdest. Komm gut durch den Tag. Ich liebe dich! <3«
Ich habe weder darauf geantwortet, noch darüber geredet. Sie kann mir nicht helfen. Ich weiß, wie schwer es ist, das zu akzeptieren. Das ist alles, was sie tun kann, außer sich nicht die Schuld zu geben.
Lucy
---- Tag 125 ----
Hallo.
Du hast keine Wahl, hattest nie eine und wirst sie nie haben. Genau wie ich.
Lucy
P.S.: Der nächste Monat ist überstanden. Fast komplett ohne dich.