Die Insel
„Da, da ist etwas!“ brüllte der Löwe. Er sah die Insel als Erster, denn er hatte die schärfsten Augen. Tatsächlich tauchte dort am Horizont etwas auf – und auch im Himmel hörten sie wieder die Schreie der Vögel. Sie begannen heftig zu paddeln, denn der kleine Motor hatte schon lange keinen Treibstoff mehr. Es dauerte aber noch einige Stunden bis sie schließlich den Strand erreichten. Kaum hatten sie festen Boden unter den Füßen rannten sie aufs Trockene, warfen sich in den Sand und wälzten sich in der Sonne. Sie waren glücklich – das musste diese geheimnisvolle Zauberinsel sein, von der Robbi ihnen erzählt hatte. Sie blieben den ganzen Nachmittag im warmen Sand liegen und starrten voll Freude in den Himmel. Dann unternahmen sie einen Spaziergang ins Innere der Insel. Hinter dem Strand breitete sich ein dichter Wald aus – und so kamen sie nur sehr langsam voran. Auf einmal blieb der Löwe vor der Frucht einer unbekannten Pflanze stehen, pflückte sie und aß sie.
„Was hast du getan?“ schrie der Ritter entsetzt.
„Sie schmeckt gut!“ sagte der Löwe nur.
„Aber, aber, wie ist das möglich? Du hast doch keinen echten Mund und keinen Magen?“
„Vielleicht ist das wirklich diese Zauber-Insel und sie macht uns zu richtigen Lebewesen,“ sprach die Prinzessin, „ich habe vorher schon einen Schluck Wasser getrunken, es war köstlich!“
Sie begannen nun, den Wald in der Nähe des Strandes nach Früchten abzusuchen.
Am Abend wurde es empfindlich kühl, aber sie wollten sich nicht in das enge Boot zurückziehen und so kam der Ritter auf die Idee, ein Feuer zu machen.
„Aber das ist doch gefährlich?!“ brüllte der Löwe ängstlich, „Wir könnten verbrennen!“
„Ja,“ sagte der Ritter „ aber wir machen es trotzdem, denn wir beherrschen das Feuer! Und wenn wirklich was passiert – hier sind wir am Strand, da gibt es Wasser um das Feuer zu löschen!“
Sie waren unendlich stolz auf sich, als sie am Lagerfeuer saßen. Schließlich hatten sie stundenlang gebraucht, um trockenes Holz zu sammeln und dann tatsächlich einen Funken hervorzubringen, der eine Flamme entzündete.
„Dieses Handbuch von Robbi ist wirklich Gold wert!“ sagte die Prinzessin „da steht so viel drin, sogar, wie man Feuer macht!“ Sie lächelte.
„Hier gibt es sicher wilde Tiere,“ meinte der Löwe „und vielleicht brauchen sie einen starken König!“ fügte er etwas kleinlaut an.
„Ja, und sicher gibt es auch Drachen auf dieser Insel!“ sagte der Ritter und begann von Heldensagen berühmter Ritter zu singen. Auch wenn sie seinen Gesang sonst nicht mochten, diesmal sangen sie mit.
Nach einer sternklaren wie kühlen Nacht machten sie sich daran, die Insel zu erforschen. Vom Strand aus konnte man sehen, dass sich hinter dem Wald ein Felsmassiv erhob. Sie brauchten lange um durch das Dickicht zu gelangen und verliefen sich auch immer wieder, bis sie schließlich an den Fuß des Massivs gelangten. Von hier aus ging es leichter voran. Als sie schon etwas an Höhe gewonnen hatten und sie einen großartigen Ausblick auf den Strand und das Meer hatten bemerkten sie erst, wie groß die Insel wohl war.
Sie kämpften sich nun durch den etwas lichteren Unterwuchs, als sie auf einen kleinen Pfad stießen. Sie erschraken! Drachen und wilde Tiere haben keine Pfade! Da sie beschlossen hatten, Mut zu haben, folgten sie dem Pfad, bis sie auf einmal eine Art Gesang hörten. Sie versteckten sich schnell im Unterholz und sahen, wie eine Kreatur, eine Art kleiner grüner Drachen an ihnen vorbei lief und dabei ein Kinderlied sang, sie wirkte fröhlich und tänzelte immer ein wenig. Sie beschlossen, dass von diesem Wesen keine Gefahr drohte und riefen ihm nach. Es hielt an und näherte sich ihnen neugierig. „Wer seid ihr? Seid ihr neu hier?“
„Wir sind der Ritter, der Löwe und die Prinzessin!“ sagte der Ritter, „wir sind hier gestern mit unserem Boot gelandet. Und du?“
„Ich bin das Dinoli, ich wohne hier!“, sagte die Kreatur.
„Alleine?“ fragte der Löwe nach.
„Nein, wir wohnen alle mit dem Professor hier und gehen in seine Schule!“ antwortet es. „Es ist gar nicht weit von hier! Seid ihr vom bösen König, der das Dinoli fangen will?“
„Nein, aber sag mal, wie heißt denn der Professor?“ fragte der Ritter.
„Das ist der Professor Habanrat, und da sind viele liebe Tiere! Wollt ihr mitkommen?“
Der Ritter und der Löwe wären erbleicht, wenn sie das gekonnt hätten und starrten sich entsetzt an.
„Nein,“ stammelte der Ritter, „äh, nein, wir müssen unbedingt erst noch ein Geschenk suchen.“
„Ach so! Ja dann sucht mal schön!“ flötete das Dinoli und lief seines Weges.
Die Prinzessin kam erst jetzt aus dem Dickicht und sagte besorgt: „Schaut mal, ich habe mich total im Gebüsch verheddert.“ Sie betrachteten ihre Hände und bemerkten, dass diese an ganz dünnen Fäden hingen. „Ihr habt mir doch alle Fäden abgeschnitten?“ fragte sie bang.
„Ja natürlich, das kann doch gar nicht sein!“ entfuhr es entsetzt dem Ritter. „und der Professor Habanrat befindet sich auch hier auf der Insel? Das ist doch alles nicht möglich?“
Die Drei standen sich gegenüber und wussten nicht recht, was die sagen sollten.
„Sind wir wieder zurück im Theater?“ fragte der Löwe, „Also die Zauberinsel ist das nicht?“
„Ich weiß nicht,“ meinte die Prinzessin „und wenn wir die ganze Zeit Marionetten geblieben sind?“
„Die an unsichtbaren Fäden nur ein Stück gespielt haben? Die ganze Zeit nur ein Stück, ein neues und sehr langes Stück?!“ Der Ritter setzte sich und begann zu weinen. „War das alles, was wir getan nicht wirklich? War das alles umsonst?“
„Aber was sollen wir den tun?“ seufzte der Löwe.
„Ich weiß es auch nicht!“ sagte die Prinzessin traurig.
Sie ließen sich zum Ritter auf den Boden nieder und schwiegen.
„Vielleicht ist es gar nicht so schlimm“, sagte der Ritter nach einer Weile, „wir waren Marionetten und wir bleiben eben Marionetten. Das ist unsere Bestimmung.“
„Aber ich habe doch echten Hunger gehabt!“ sagte der Löwe, „Ich habe etwas gegessen und es hat mir geschmeckt.“ Er spielte dabei mit den Fäden, die er nun auch an seinen Händen bemerkt hatte.
„Kommt, gehen wir,“ sagte der Ritter und fasste neuen Mut, „gehen wir zum Professor und fragen wir! Vielleicht kommen wir so auch wieder nach Hause?!“
„Nein, niemals!“ rief die Prinzessin, „Nie gehe ich zurück! Ich habe hier so vieles erlebt und so viele Gefühle gehabt, die ich noch nicht kannte. Nie wieder werde ich an den Hof mit seinen Laffen und Prinzen zurückkehren!“
„Aber warum denn nicht? So schlimm wird es schon nicht werden. Und schau, wir werden wieder Publikum haben. Jeden Abend brandenden Applaus, das Fernsehen wird uns zeigen. Wir werden Stars, du wirst sehen!“
„Niemals!“ sagte die Prinzessin.
„Stars müssen keine Prinzen heiraten, sie haben Fans!“
„Nein, niemals!“
„Also, ich werde jetzt zum Professor gehen und fragen was hier los ist! Kommt ihr mit?“
„Niemals!“
„Und du, Löwe?“
„Ich bleib bei der Prinzessin!“ sagte er. „Du kannst alleine gehen“´
„Habt ihr denn alle euren Mut verloren?“ sagte der Ritter, stand auf und ging.
Als er gerade außer Sichtweite kam, drehte er sich noch mal um und blickte auf die beiden zurück.
„Ritter?!“ rief der Löwe noch „Willst du nun wirklich gehen?“
Der Ritter zögerte, blieb stehen. Schließlich machte er kehrt, lief zu den anderen zurück und fiel ihnen in die Arme. Er weinte.
So standen sie nun eine Weile zusammen und wussten nicht, was sie tun oder sagen sollten.
„Was machen wir denn jetzt?“ fragte schließlich der Löwe in bangem Ton.
„Vielleicht …“ stammelte der Ritter, „vielleicht ...“ aber er wusste nicht was er sagen sollte.
„Kommt!“ sagte die Prinzessin, „Ihr habt mich befreit, ihr habt mir gezeigt, was es da draußen alles gibt! Ich habe Durst gehabt, ich habe Wasser getrunken, wir haben Feuer gemacht und unsere Angst überwunden - ich will mehr erleben! Noch viel viel mehr erleben! Wir haben das hier zusammen angefangen, wir werden jetzt zusammenbleiben, zusammen weitergehen und das alles zusammen zu Ende bringen!“
„Aber was denn für ein Ende?“ fragte der Ritter unsicher „Was sollen wir denn tun?“
„Wir haben immer noch ein Boot am Strand!“ sagte schließlich der Löwe, „wir gehen zurück und stechen wieder in See, es warten dort noch viele Inseln und Abenteuer auf uns - und Ritter, du wirst deinen Drachen noch finden, ich versprech´ es dir!“
Sie fassten sich an den Händen und gingen.
An diesem Abend saßen sie lange um das Lagerfeuer. Sie schwiegen und blickten in die Sterne.
„Schaut, eine Sternschnuppe!“ sagte die Prinzessin.
„Da, noch eine!“ sagte der Löwe
„Da darf man sich doch was wünschen, heißt es immer!“ sagte der Ritter. Sie schwiegen wieder und lächelten in die Flammen, und die Prinzessin bemerke als erste, dass die Fäden an den Händen offensichtlich wieder verschwunden waren.
„Wollen wir singen von großen Taten?“ fragte der Ritter.