Auf den ersten Blick war es eine ganz normale Bar. Ein kurzer Tresen aus dunklem Holz, mehrere Sitzgruppen aus nicht zusammenpassenden Stühlen und Tischen, schlechte Beleuchtung, ein Fernseher an der Wand der gerade Fußball übertrug. Ein zweiter, genauerer Blick offenbarte erste Auffälligkeiten. Angefangen bei einem großen eisernen Adler, der drohend von einer Wand hinter der Theke hinabblickte, über die große Anzahl alter Waffen, die stolz in Vitrinen an den Seiten präsentiert waren bis hin zum gigantischen Gemälde eines alten Mannes mit Schnurrbart, welches dem Bismarck seinen Namen gab. Ein Original, wie der Barmann nie müde wurde zu betonen und auch wirklich eine Darstellung des großen Staatsmannes und nicht seiner selbst; selbst wenn dies nur bei Betrachtung beider Augenpaare deutlich wurde: Während der alte Kanzler müde und bedrückte Blicke durch den halbdunklen Raum warf starrten die Augen seines Zwillings am Tresen mit der Intensität von Suchscheinwerfern auf die Kunden, eine ständige Warnung an alle „Zechpreller, Diebe und anderes Gesindel“ wie er ebenfalls gerne wiederholte.
Die Gäste, von denen es eine ganze Menge gab, schienen nicht wirklich in die ungewöhnliche Umgebung zu passen, sie wirkten vielmehr wie absoluter Kneipendurchschnitt: Einige Fußballfans, die gebannt die zweite Halbzeit verfolgten, Studenten die über ihre Professoren jammerten, Angestellte die einfach einen Drink und ihre Ruhe wollten. Zu letzterer Gruppe schienen auch die drei Männer zu gehören, die gerade das Lokal betreten hatten und zielstrebig einen freien Tisch in der Ecke ansteuerten. Kaum hatten sie sich auf die knarzenden Sitzmöbel fallen gelassen, als sich auch schon die massive Gestalt des Wirts vor ihnen aufbaute.
„WAS WÜNSCHEN DIE HERRSCHAFTEN DENN ZU TRINKEN?“ orgelte es durch die Bar (und schreckte mehrere dösende Grüppchen in der Nähe der Tür auf)
„Nabend Erich, dreimal das übliche“
„Warte ich nehme meins heute lieber pur, leg mir auch mal noch 2 Beutel für unterwegs zurück.“
„AUCH NOCH SONDERWÜNSCHE HAT DER HERR, NA JA, WOLLEN WIR MAL NICHT SO SEIN, IST SCHLIEßLICH WOCHENENDE.“ donnerte die Personifikation des Preußentums und marschierte von dannen.
„Das ist aber heute einer durstig“ meinte der älteste des Trios und warf durch buschige Augenbrauen einen fragenden Blick auf seinen Begleiter, einen beinahe noch jugendlichen Anzugträger mit dunklen Ringen unter den Augen, der mit der Spannung eines nassen Sackes in seinem Stuhl hing.
„Ich sitz seit zwei Woche komplett auf dem Trockenen und der Spendeservice hat seine Schlösser ausgewechselt und Security angeheuert, keine Chance mehr dort.“
„Na gut aber nach nur 2 Wochen ohne solltest du uns hier nicht im Sitzen kollabieren...“
„Wir können nicht alle deine Erfahrung haben Karl, ganz abgesehen davon dass der Durst im Alter schwächer wird. Fast nen Monat hatte ich niemand mehr zwischen den Zähnen.“
„Einen Monat? Wie hast du das denn hinbekommen? Da schafft ja Erich noch mehr und den hab ich seit 70 Jahren nicht mehr die Bar verlassen sehen.“
„Denkst du ich hätte es nicht oft genug versucht?“ der junge Mann wirkte mittlerweile deutlich gereizter und sprach nun energischer: „In der Stadtverwaltung gibt es noch Karim und Leistenhauer, die alles leer saugen was ihr Büro betritt und bei mir im Haus leben nur Rentner, wie soll ich da satt werden? Und dann das Desaster mit dem Hausmeister letztens...“
„Was ist denn passiert?“
„Der ist selber einer von uns! Ich wollte ihn eigentlich nur wegen meiner Waschmaschine ansprechen da seh ich wie der dem Anwalt von unten links den Hals aufreißt! Am helllichten Tag! Der Vollidiot hat meine letzte verlässliche Blutquelle zerrissen!“
„Und der war davor sicher noch keiner? Willst du mir jetzt weismachen jemand hätte in deinem Revier gewildert?“
„Garantiert und ich hab keine Ahnung wer es gewesen sein könnte. Allein in meiner Straße gibt es mittlerweile zwölf! ZWÖLF! Und das sind nur die, die ich kenne! Es sind verdammt nochmal zu viele von uns in der Stadt!“
„ZWEI TOTE SOZEN UND EINMAL 0+ PUR. UND ETWAS LEISER MEINE HERREN, MANCHE LEUTE HIER WOLLEN IN RUHE ARBEITEN.“
Schweigen erfüllte den Tisch während die 3 Gläser geleert wurden. Der ältere Mann brach es als erster.
„Jetzt übertreibst du aber Markus, mache du mir kein Drama aus so einer kleinen Pechsträhne, du bist zu einfache Ziele gewöhnt, hättest nicht auf Mallorca Urlaub machen dürfen. Nach zwei Wochen besoffene Touristen schlürfen kann das jedem mal passieren. Willst du die Woche einmal gemeinsam auf die Jagd gehen? Nur damit du wieder einen einfachen Einstieg hast.“
„Auf Malle war es doch auch nicht anders! Ich brauche keine Hilfe sondern einfach einen stinknormalen Menschen der NICHT versucht zurück zubeißen wen ich auf ihn losgehe!“
„Aber Junge, was ist denn in dich gefahren, du führst dich auf als ob...“
„Ruhig ihr beiden.“ Die dritte Person in der Runde hatte gesprochen. Die bleiche Haut, gepaart mit dem vollkommen leere Gesichtsausdruck ließen ihn wie eine Wachsfigur erscheinen. Ondrej meldete sich praktisch nie ungefragt zu Wort, wenn er es doch tat war kamen die Sätze kurz und abgehakt.
„Markus still. Ausrasten nutzt niemandem Etwas. Erich jagt dich sonst raus und er benutzt dafür seine Mauser. Karl er hat recht. Es werden immer mehr von uns. Das macht Versorgung besonders für die jüngeren schwierig.“
In der folgenden Stille kratzte sich Karl am Bart und schüttelte schließlich bestimmt den Kopf.
„Ich denke ihr beiden vertragt die Hitze einfach nicht, es soll plötzlich mehr von uns geben? Das ist doch albern, wir können genau kontrollieren wen wir verwandeln und wen nicht. Was würde es bringen, immer mehr von uns zu schaffen? Schaut euch doch mal um“, er wies durch den Raum „Seht ihr hier auch nur einen, der nicht schon mindestens 10 Jahre dabei ist? Bauer da drüben studiert mittlerweile im 28. Semester Slawistik. Im Kraftwerk haben sie auch nach 30 Jahren noch nicht gemerkt dass ihr Chef nicht älter wird. Und Kurti“ - ein dicker Mann mit grünem Schal der gerade laut fluchend Elfmeter verlangte - „War schon Fan als der FC 1904 gegründet wurde. Nein ihr bekommt es gerade einfach nicht auf die Reihe und suchte jetzt Sündenböcke.“ Kopfschüttelnd stand der Älteste auf und signalisierte, dass er zahlen wollte. Auf dem Weg zur Tür hielt er noch einmal inne.
„Ich sage euch was ihr Jungspunde, ich schlafe morgen aus und gehe dann eine Runde mit dem Vorstand golfen. Danach gehe ich in den Ostpark, schnappe mir einen Imbiss und bin pünktlich um 8 hier. Wenn ich das nicht schaffe geht dann der ganze Abend auf mich. Und zwar nichts billiges, nur AB, Rhesus Negativ! In Ordnung?“ Ohne eine Antwort zu erwarten verließ er die Bar und ließ seine Freunde zurück, welche nun einer zornig, einer vollkommen unbewegt, ihre leeren Gläser anstarrten.
„ZAHLEN DIE HERRSCHAFTEN AUCH ENDLICH MAL ODER WOLLEN SIE WEITERHIN MEINE BESTEN STÜHLE BESETZEN? JA DIE PREISE SIND GESTIEGEN ABER ICH BEKOMM JA AUCH KAUM NOCH WAS AUS DEN KLINIKEN!“