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Nach dem Prompt „Vampir-Flugfrosch (Vampyrius vampyrus) [Tierische Vampirgeschichten]“ der Gruppe „Crikey!“
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"Leise!" Phạm legte den Finger an die Lippen.
Nguyễn nickte ernst. Der Junge mochte noch jung sein - beinahe ein Kleinkind - doch er wusste, wie gefährlich dieser Ausflug war. Ein Moment der Unachtsamkeit konnte genügen, ein einziges Erdwesen, das sie als das erblickte, was Vater und Sohn waren, und man würde sie jagen.
Aber diese Nacht war einsam. Nur die Frösche quakten ringsum in den Bäumen. Die Luft war heiß, durchschwirrt von Mücken, die Phạm und Nguyễn als ihresgleichen ansahen.
Blutsauger. Parasiten. Vampire.
Phạm breitete die Arme aus. Die Finger streckten sich, die Knochen verschoben sich, bis der uralte Vampir Fledermausflügel statt Arme besaß, gewaltige Schwingen im dunklen violett seiner Haut, die sich bis zu den nächsten Bäumen ausbreiteten.
Ermutigend nickte er Nguyễn zu. Der Junge presste die Lippen angespannt zusammen und runzelte die Stirn. Er streckte die Arme ebenfalls, wie er es geübt hatte, doch die Verwandlung kam nicht rasch. Im Schein der Sterne, die in dieser Nacht nur von den Neumonden begleitet wurden, wartete Phạm geduldig.
Schließlich, endlich, bildete auch Nguyễn seine Flügel aus. Aufgeregt hüpfte der Junge auf und ab. "Ich hab's geschafft! Guck, Paps! Ich hab's geschafft!"
"Sehr gut, mein Junge. Aber vergiss nicht, wir müssen leise sein."
Ernst verstummte das Kind.
Mit ruhiger Stimme erklärte Phạm: "Jetzt musst du sehr mutig sein und springen. Hab keine Angst vor dem Sturz, du wirst nicht aufprallen. Du wirst fliegen. Aber ohne zu springen kannst du es nicht lernen."
Das Vampirkind sah in die Tiefe. Die Wipfel rauschten über ihm, die Frösche quakten, die Mücken sirrten. Nguyễn kaute nervös auf seiner Lippe, wobei sich die spitzen Zähne offenbarten. "Ich ... kann doch noch nicht fliegen."
"Du wirst es lernen."
"Und wenn nicht?"
Phạm seufzte. "Ich mache das jetzt nicht gerne ..." Er stieß seinen Sohn mit einem Ruck vom Ast.
Nguyễn schrie auf. Er wirbelte mit den Flügeln und trat mit den Beinen, während er fiel. Schlagartig war alles deutlich und intensiv. Die Luft rauschte in seinen empfindlichen Ohren, er schmeckte den feuchten Regen, die verschiedenen Lebewesen und Duftspuren. Druck legte sich um seine Augen, dann wirkte die Welt plötzlich heller und langsamer, als wären die Monde erschienen, um ihm zu leuchten. Der junge Vampir hörte seinen Herzschlag rasen. Er spürte den zarten Schmerz, als sich seine Flughäute dehnten. Instinktiv lehnte er sich in diesen Schmerz, den Druck der Luft unter ihm, und merkte, dass sich seine Schwingen spannten. Ein leichtes Stechen in seinem Rücken verriet ihm schließlich, dass er im Wind lag. Er ging in eine Kurve, spürte den Gegendruck schwinden und flatterte ungeschickt. Ein Baumstamm kam auf ihn zu, Nguyễn warf sich ungeschickt zur Seite.
Er lachte, als das Hindernis vorbei war und er mit einigen mutigeren Schwingenschlägen Höhe gewann. Nach dem Schrecken war die Erleichterung wie ein Rausch. Er drehte den Kopf, als er ein Rauschen über sich hörte, doch es war nur Phạm, der mit ruhigem Gleitflug über seinen Sohn schwebte.
"Sehr gut."
"Du hast mich gestoßen!"
"Du hattest gezögert." Phạm lächelte. "Du hattest Zweifel, und zwar ohne jeden Grund."
Dem musste Nguyễn zustimmen. Das Fliegen war so einfach und mühelos! Er beobachtete seinen Vater und bemühte sich, die Flügel gleich zu halten und ähnlich zu spreizen, doch er musste noch viel flattern. Geduldig zeigte ihm sein Vater, wie man sich in eine Schwenkkurve legte, wie man die Brust vorschob, wenn man aufsteigen wollte, und den Rücken krümmte, ehe es abwärts ging. Sie rauschten über die Wipfel und unter ihnen sprangen Flugfrösche aus den höheren Ästen, die glauben, ein Raubtier wäre über ihnen. Im Sternenlicht sah Nguyễn die Froschschwärme glitzern, die mit gespreizten Gliedern zum nächsten Baum segelten.
Vielleicht waren die Vampire den Mücken gar nicht so ähnlich, diesen kleinen Wesen mit lautem, nervösen Flug, und mehr den Fröschen mit ihrem Gesang!
"Wirst du müde?", fragte Phạm. "Wir haben nicht mehr lange, bis die Sonne aufgeht, wenn wir zu Fuß gehen, sollten wir jetzt aufbrechen. Oder möchtest du fliegen?"
Nguyễns Arme schmerzten zwar und auch die Rippen brannten ihm, doch er nickte sofort begeistert. "Fliegen!"
"Mir nach." Sein Vater schenkte lächelnd ab. "Wenn du es bis zum Ende schaffst, um vor Mama zu landen, gibt es noch eine zweite Überraschung."
Nguyễn machte große Augen. "Es gibt eine Überraschung?"
Phạm lächelte. "Natürlich. Als Belohnung."
Der Wald blieb hinter den beiden still zurück. Nur die Mücken sirrten und die Frösche sangen im Geäst. Manchmal segelte einer der Frösche unter dem Sternenzelt vorbei und begab sich auf die Jagd nach Insekten in einem Nachbarbaum. Und kein Zeuge blieb, der von den Vampiren berichten könnte.