Das Schiffchen fährt also das kleine Rinnsal hinunter, direkt auf die Rosengartenstraße siebzehn zu, es muss auf seinem Weg meine Wohnung passieren. Ich warte geduldig ab und lege einige kleine Holzscheite in ihren Weg, wie einen Damm. Ich gehe etwas in Deckung und spähe hinter der Treppe hervor, meine Messer-Scherbe habe ich schon gezückt. Das dicke Papier kann ich gut gebrauchen, um Teppiche und Verpackungen daraus zu basteln. Ich freue mich darauf, das Schiff auszuschlachten.
Dann endlich fährt es auf mich zu und bleibt an den erwähnten Ästen hängen. Ich stoße einen Schrei des Jubels aus, werfe meinen Haken und klettere an Deck des Schiffchens.
Ich plumpse hinein, lande aber zum Glück weich.
Zu meiner Überraschung befinden sich zwei Streichhölzchen auf dem Schiff. Die Kinder hatten sie bestimmt in ihrer Fantasie als Besatzung dieses Kahns hineingelegt. Die Streichholzköpfe sehen schließlich ein wenig aus wie die Köpfe von kleinen Männchen. Es freut mich natürlich, die Streichhölzer zu finden, Feuer ist immer eine gute Sache, besonders im Winter.
Doch dann nimmt das Schicksal seinen Lauf! Ein kraftiger Windstoß löst das Schiff von dem kleinen Zweig und mit einem Ruck, der mich hintenüber fallen lässt, fährt das Schiff weiter die Strasse hinunter. Ich schiebe mich zum Bug des Schiffes vor, was ein großer Kraftakt ist, denn das Schiff schwankt so stark, sodass ich immer wieder den Boden unter den Füßen verliere. Doch ich schaffe es endlich und blicke über den Rand des Buges, während ich meine Mütze festhalten muss, damit sie nicht vom Fahrtwind verweht wird. Immer wieder spritzen mir Wassertröpfchen ins Gesicht, das Schiff fährt wie von einem Irrsinnigen gesteuert die Wasserrinne der Straße hinunter. Ich sehe mich verzweifelt nach einer Gelegenheit um, das Schiff zu verlassen. Einfach zu springen wäre viel zu gefährlich, da würde ich mir sämtliche Knochen brechen. Doch leider gibt es auch keinen Ast, an dem ich mich festhalten könnte!
Und ich komme noch vom Regen in die Traufe als ich sehe, dass das Schiff geradewegs auf einen Gulli zusteuert! Ich kralle mich am Bug des Schiffs fest, schließe die Augen und mache mich auf mein sicheres Ende gefasst. Dann spüre ich, wie es steil bergab geht. Mir dreht sich alles und mit einem Platschen treffe ich unten auf. Wie durch ein Wunder habe ich den Sturz unbeschadet überstanden. Ich öffne die Augen und blinzle in die Dunkelheit. Denn es ist finster hier unten, nur hin und wieder fällt das Tageslicht durch die Gullideckel über mir. Von den RIssen in den Wänden und in den Gängen sehe ich unheimliche grüne Lichtpärchen durch die Finsternis funkeln, die sogleich wieder mit einem lauten Fiepen, dass von den Wänden widerhallt, verschwinden. Wer weiß, was für Monster sich in diesen Gängen verstecken und mich in diesem Augenblick beobachten.
Das Schiff bewegt sich nicht mehr weiter. Ich habe auch kein Ruder oder ein Segel, womit ich es lenken und fahren könnte. Allerdings steckt mein Haken mit der Schnur noch am Rumpf des Schiffes. Ich knüpfe das Ende ohne Haken am Bug fest und werfe den Haken an einen Gehsteig der Kanalisation. Mit aller Kraft ziehe ich an der Schnur, um das Schiff an den Gehsteig zu ziehen. Dann klettere ich hinüber und binde das Schiff an einem Stein fest. Ich sehe mich um. Die Wände sind zu steil, um daran hochzuklettern. Auch mithilfe der Schnur wird ein Aufstieg schwierig sein. Doch wenn ich dem Gehsteig zu Fuß folge, werde ich bestimmt irgendwann wieder unter freien Himmel kommen, denke ich mir. Doch die Kanalisation ist zu dunkel, deshalb hole ich die Streichhölzer aus dem Schiffchen und zünde eines davon an. Wie eine Fackel halte ich das Hölzchen über mich, während ich mir den Weg durch die Kanalisation bahne.
Dieser Spaziergang ist ganz schön unheimlich, ich fürchte mich vor all den Ratten, die hier hausen. Immer wieder blitzen die grünen Punkte in der Dunkelheit auf und verschwinden rasch wieder und schwarze Schatten huschen über die Gehsteige. Manchmal habe ich das Gefühl, dass hinter mir ein solcher Schatten steht, doch immer, wenn ich mich umdrehe, ist da nichts. Ich laufe schon seit mehreren Minuten durch die verzweigten Gänge auf der Suche nach einem Ausgang. Plötzlich höre ich ein lautes Kreischen hinter mir, das mir das Blut in den Adern gefrieren lässt. Ich drehe mich um und sehe in die grün funkelnden Augen einer dicken Ratte! Sie hat ihr Maul weit aufgerissen und sich über mich gebeugt. Die großen, scharfen Schneidezähne triefen vor Speichel. Ich springe zurück und laufe so schnell ich kann vor ihr davon. Ich höre ihre Schritte hinter mir, die schnell näherkommen. Zu meiner Rettung erspähe ich einen Riss im Gemäuer vor mir und hoffe, dass er tief genug ist um mich darin zu verstecken und gleichzeitig schmal genug ist, sodass die Ratte nicht hinterherkommt. Zum Glück ist der Riss beides zugleich. Ich höre die Ratte noch geifernd nach mir schnappen, doch ich verdrücke mich immer tiefer in den Spalt, der tiefer zu sein scheint als ich dachte. Und da mir ohnehin nichts anderes übrigbleibt, erkunde ich diesen Spalt. Immer tiefer dringe ich vor, meine Fackel brennt jedoch bald aus. Ich sehe ein Licht am Ende des Ganges und freue mich schon, da ich denke, dass ich wieder an der Erdoberfläche bin. Ich lösche meine Streichholz-Fackel und zu meiner Verwunderung befindet sich hinter dem Spalt ein grosser Hohlraum, der hell ausgeleuchtet ist. In die Felswände sind kleine Löcher geschlagen. Die Höhle sieht ein wenig aus wie eine kleine Stadt. Mir ist das Ganze etwas unheimlich, was wenn ich hier in einem Rattennest gelandet bin?