Mitten in einem riesigen Wald hatte es eine grosse Wiese. Viele Blumen blühten hier und die Tiere des Waldes lebten in Frieden zusammen. Eines Tages - die Sonne war noch nicht aufgegangen - lag auf dieser Wiese auf einmal ein Ei. Es war grün wie ein Frosch und so gross, dass es die halbe Wiese bedeckte. Niemand im Wald hatte je ein solches Ei gesehen. Und niemand wusste, woher es überhaupt gekommen war.
Die Amsel, die ja morgens früh aufwacht, entdeckte das Ei als Erste. Neugierig flog sie auf den Ast eines Baumes ganz in der Nähe und betrachtete dieses Riesenei.
"Merkwürdig", dachte sie. "Es sieht aus wie meine Eier, nur viel viel grösser. Was für ein Vogel wird da wohl ausschlüpfen?"
Der Osterhase kam gerade vorbei. "Oho!" rief er. "Ein Riesenosterei! Das wird aber kaum Platz haben in meinem Korb!" Sanft klopfte er mit seiner Pfote auf das Ei.
"Ruhe!" rief da eine Stimme ärgerlich. "Ich schlafe!"
Erschrocken hoppelte der Osterhase weiter. Auch die Amsel flog weit hinauf auf ihren Baum.
Plumps! Ein vorwitziges Eichhörnchen liess sich einfach so von einer Tanne auf das Riesenei fallen.
"Ruhe!" tönte es wieder aus dessen Innern, diesmal noch ärgerlicher als vorher. "Ich SCHLAFE!"
Rasch hüpfte das Eichhörnchen auf den Boden und kletterte dann an einer anderen Tanne wieder hoch.
Immer mehr Tiere des Waldes kamen nun, um dieses Riesenei zu bestaunen, denn die Nachricht davon hatte sich rasch herumgesprochen. Aber niemand traute sich mehr, sich ihm zu nähern oder es gar zu berühren. Alle rätselten, was für ein Vogel da wohl schlüpfen werde.
Nun ging die Sonne auf. Sie schickte ihre Strahlen auch auf die Wiese mit dem Riesenei. Einer dieser Strahlen kitzelte offenbar das unbekannte Wesen im Ei, denn auf einmal hörten die neugierig versammelten Tiere ein kräftiges "Hatschi!" Und gleich wieder ertönte lautes Schimpfen. "Hier hat man wirklich keine Ruhe, zum Vulkandonner noch einmal!"
Der Sonnenstrahl lachte und kitzelte das Wesen gleich noch einmal.
"Jetzt reicht's!" ertönte seine Stimme wutentbrannt.
Die erstaunten Zuschauer sahen zu, wie sich in der Schale vorerst kleine Risse bildeten, die immer grösser wurden. Es sah aus, als würde da jemand voller Kraft strampeln. Dann begann das Ei auseinanderzubrechen. Stück für Stück fiel die Schale auf den Boden, während wütendes Keuchen und Schimpfen zu hören war.
Zum Vorschein kam ein feuerroter kleiner Drache mit schwarzen Füssen, einem grünen Schwanz und furchterregenden Zähnen.
"Huuuh! Haaah!" schrie er laut, obwohl er noch etwas wackelig auf seinen Beinen stand. Das war auch nicht verwunderlich, schliesslich war er ja eben erst aus seinem Ei geschlüpft.
Die Tiere des Waldes zogen sich etwas zurück. Einige verschwanden, sie hatten Angst.
"Huuuh! Haaah!" schrie der kleine Drache wieder. Aus seinem Maul kam Rauch. Er schaute die verbliebenen Zuschauer zornig an.
"Was schaut ihr so blöd? Ich bin Balthasar! Und ich habe Hunger! Gebt mir etwas zu essen!"
Da flohen auch die mutigsten Waldbewohner und der kleine Drache blieb alleine auf der Wiese zurück.
Verblüfft schaute sich Balthasar um.
"Warum lauft ihr denn alle weg?" rief er laut.
"Ich habe doch nur gesagt, ich habe Hunger!"
Aber niemand antwortete dem kleinen Drachen. Um ihn herum war es ganz still. Nur die Sonne schien weiterhin warm und freundlich und trocknete ihm die nassen Schuppen. Er war ja eben erst geschlüpft.
Ratlos setzte sich Balthasar auf einen Stein und schaute sich um. Er verspürte echten grossen Drachenhunger, hatte aber keine Ahnung, wie er ihn stillen könnte. Und - er fühlte sich allein...