Einst drehte ein einsamer Stern sich in seiner kleinen Galaxie. Er war umgeben von tiefster Dunkelheit und nur kleinen Ansätzen von Sternen und Planeten, welche noch viele Jahre brauchen würden, bis sie verschiedene Wunder beherbergen würden.
So drehte sich der einsame Stern für viele Jahre verlassen und allein im großem und kalten Universum. Auf seiner Oberfläche jedoch herrschte viel Wärme, welche immer mehr zu einer gewaltigen Hitze ausartete.
Bald jagten schließlich gewaltige Feuerstürme über den Stern. Das Feuer wirbelte, tobte – ja fauchte – und brachte den einsamen Stern ordentlich in Bewegung und das unter nahezu ohrenbetäubenden Lärm.
Aus wildem Feuer und uraltem Sternenstaub entstand ein Wunder vom einsamen Stern – die Sonnenfeen.
Die kleinen Feen jagten mit dem Feuer und spielten damit, der einsame Stern wurde zum Zuhause und Spielplatz der Sonnenfeen und die Einsamkeit verschwand immer mehr. Viele Jahre vergingen und die anderen Planeten in der kleinen Galaxie des nun nicht mehr einsamen Sterns wuchsen. Sie wuchsen und entwickelten ihre eigenen kleinen und großen Wunder.
Ein Planet fast ganz in Blau getaucht, wuchs nahe des Sterns und dieser schenkte dem kleinen Planeten lebensspendende Wärme.
So wurde aus dem kleinen Planeten in Blau, eine Heimat voller Wunder und bekam den Namen »Erde«. Auch der Stern erhielt von einem Wunder der Erde einen Namen, den Namen »Sonne«.
Weitere Jahre vergingen und die Sonne drehte sich weiter im Kreise während die Sonnenfeen munter auf ihr tobten. Auf der Erde jedoch gab es Orte regiert von eisigster Kälte. So kalt, dass die Landschaft nur aus Schnee und hartem Eis bestand, wo der Wind so erbarmungslos umher jagte und nur wenige Lebewesen es wagten Fuß zu fassen.
Einige Wesen taten es dennoch, darunter waren auch Menschen, welche man auch als Inuit bezeichnete. Die Inuits hatten ein hartes Leben in ihrer Heimat der ewigen Kälte. Die Tage und der Sommer waren kurz, die Nächte und der Winter lang. An Essen konnte es mangeln, während es an Schnee zu viel gab. Nur in dicke Felle eingepackt und unter ständiger Bewegung konnte man draußen verharren.
Doch es war nicht nur ein ständiger Kampf, denn selbst der eisigste Ort barg Wunder. So spielten die Kinder tagsüber auf dem Eis, sie rutschten Berge hinunter und kugelten sich im weichem Schnee. Sie bestaunten Orcas, welche an den Küsten auftauchten und Wasserfontänen in die Luft katapultierten. Sie verfolgten mit sicherem Abstand, wie große Herden Rentiere von Ort zu Ort wanderten und kalte Winde mit dem Schnee spielten und umher wirbelten.
Die Inuits lebten in kleinen Gemeinschaften und selten fühlte man sich allein, dennoch kam es schon mal vor, dass man sich in mitten der Meute einsam fühlte oder sich an einen anderen Ort wünschte während man seine warme und wohltuende Suppe löffelte.
Denn genau so erging es einst einem jungen Inuitmädchen. Sie liebte ihre Familie und fühlte sich wohl in ihrer Gemeinschaft. Sie ging oft mit den anderen jagen um bei der Versorgung zu helfen und spielte nachmittags gerne mit den Jüngeren, wo sie gleichzeitig auf sie aufpasste, damit die Älteren etwas Ruhe hatten. Ihr Name war Nanouk.
Nanouk bedeutet Polarbär und sie hatte diesen Namen nicht ohne Grund. Nanouk war als kleines Baby in einer sternklaren Nacht gefunden worden. Sie hatte friedlich und dick in Eisbärenfellen eingepackt geschlafen. Die Jäger, welche sie gefunden hatten, suchten in der Umgebung nach ihren Eltern, aber weit und breit gab es keinerlei Anzeichen anderer Inuits. So nahm man Nanouk kurzerhand mit zur Gemeinschaft, wo sie aufwuchs und von allen liebevoll erzogen wurde.
Doch so sehr sie ihre Leute liebte, zog es sie ebenfalls weit in die Ferne. Nanouk wusste nie genau, wie sie das Gefühl beschreiben sollte – Fernweh, würde vermutlich am ehesten zu passen.
So kam es, dass Nanouk eines späten Nachts nicht schlafen konnte. Sie starrte an die Decke ihres Iglus und dachte an den eigentlich schönen Abend, den sie mit ihrer Gemeinschaft gehabt hatte. Sie hatten viel gelacht beim gemeinsamen Essen und es war so schön warm gewesen während draußen ein eisiger Schneesturm tobte.
Dieser Schneesturm wütete noch immer über die Eislandschaft als Nanouk sich zu Bett begab. So lauschte sie dem Sturm während sie sich niederlegte und genoss tatsächlich die Abwesenheit der Anderen.
»Wie kann es nur sein«, sprach Nanouk zu sich selbst, »dass ich diese Einsamkeit so genieße, wo doch die Wärme der Familie das Schönste sein soll?« Da pfiff der Sturm laut über ihr Iglu und ließ für einen Moment ihre Gedanken verstummen.
»Wieso fühlt es sich so gut an diesem Sturm zu lauschen? Als würde ich dem Herzschlag einer Mutter lauschen?«, fragte sich Nanouk laut und kicherte kurz über ihren unabsichtlichen Reim.
Nanouk schloss die Augen und hörte auf das Pfeifen und Singen des Sturmes. Dabei merkte sie gar nicht, dass sie lange wach blieb. Erst als das Lied der Einsamkeit gesungen vom Eiswind immer mehr verschwand, öffnete das junge Inuitmädchen wieder ihre Augen. Und ohne groß drüber nachzudenken, verließ sie ihr Iglu.
Man hatte ihr oft gesagt, nie mitten in der Nacht hinauszugehen und erst recht nicht alleine. Zum allerersten Mal in ihrem Leben brach Nanouk gleich zwei Regeln. Doch daran dachte sie gar nicht, das Einzige was sie interessierte waren die schönen Sterne und das entfernte Pfeifen vom Sturm.
Als sei ihr Körper von einer fremden Macht geleitet, folgte Nanouk dem Pfeifen und schaute dabei nie nach unten sondern nur den Sternen sehnsüchtig entgegen. Unter ihren Füßen knirschte der Schnee, die Welt schien wie erstarrt und gar ganz verlassen.
Gerade als das Mädchen dachte den Sturm eingeholt zu haben verschwand mit einem Mal das Pfeifen und wie aus einer Trance gerissen wand sie ihren Blick von den Sternen ab. Erst jetzt bekam Nanouk ihre Umgebung wirklich zu Gesicht und musste erschrocken feststellen diese nicht zu kennen.
Ihr wurde heiß und kalt zu gleich, die Angst jagte ihr wie ein Blitz durch Knochen und Mark. Wie konnte sie nur zwei Regeln brechen und dann auch noch zwei der Wichtigsten? Sich Nachts alleine zu verirren, war der größte Alptraum vieler Inuits.
Der plötzliche Schlag der Erkenntnis über ihre missliche Lage zwang Nanouk in die Knie und als sie den kalten Schnee unter sich spürte fielen die ersten Tränen. Ihre einzige Hoffnung wäre ihren Fußspuren zu folgen, doch da war der Wind. Ein Wind welcher flach und nahezu schleichend über den Boden strich und lautlos alle Spuren verwischte.
Nanouk spürte wie ihr Schicksal beschlossen war. Ewig würde sie es in der Kälte nicht aushalten können, versuchen den Weg zu finden war riskant, da sie sich nur noch mehr verirren konnte und wer weiß, ob ihre Gemeinschaft es schaffen würde sie in den Weiten der Schneelandschaft zu finden.
Nein, nur weil sie sich von dem Lied der Einsamkeit vom Schneesturm hat verleiten lassen, hatte sie die zwei Regeln gebrochen und somit, ohne es zu ahnen oder zu wollen, ihr eigenes Ende herbeigeführt.
Das Inuitmädchen verharrte noch lange in ihrer Position. Auf Knien im Schnee während Tränen über die Wangen liefen, der Blick starr und leer.
Es war das Knirschen von Schnee, der eine Reaktion aus ihr bekam. Verwirrt drehte sich Nanouk langsam in Richtung des knirschenden Schnees und entdeckte zu ihrer Überraschung einen Gespenst.
Mit einem spitzen Schrei fuhr sie erschrocken hoch und wankte, als sie Sternchen sah. Sie brauchte einen Moment um zu realisieren, dass es sich nicht um ein Gespenst handelte, sondern um ein schneeweißes Rentier.
Mit leicht gesenktem Kopf trat das Rentier vorsichtig zu Nanouk und zupfte an ihrem Mantel aus Fellen. Die zärtliche Art des Rentiers raubte Nanouk vor Faszination kurz den Atem und vorsichtig strich sie über die Stirn des schönen Tieres.
Das Rentier ließ es sich gefallen und trat näher an das Inuitmädchen, als würde es bei diesem Schutz suchen wollen. Sie legte einen Arm um das Tier und kraulte es sanft hinter den großen Ohren und genoss seine angenehme Körperwärme.
»Du hast dich wohl auch verirrt, was?«, fragte Nanouk mit einem leicht bitteren Ton. »Dann sterbe ich wenigstens nicht alleine«, seufzte sie und das Rentier nickte mit seinem Kopf, als würde es ihre Antwort bejahen wollen. Kurz musste sie wieder kichern und kuschelte sich dann mit einem Lächeln in das weiche Fell ihres neuen Freundes, während erneut Tränen über ihre geröteten Wangen rangen.
So standen sie dort gemeinsam. Umringt von Finsternis und hellem Schnee während die Sterne auf sie herab schienen. Die Welt lag still und ruhig, als wäre die Zeit in der Kälte erfroren.
Da spürte Nanouk wie der leise Wind über ihre Füße strich und dachte an das Lied vom Schneesturm und ehe sie sich versah, fing sie an zu summen.
Es war keine Melodie, die sie selbst kannte. Sie ließ sich von der Erinnerung an den Sturm leiten. Sie benutzte keine Worte, sondern nur verschieden Laute. So durchbrach immer mehr Nanouks Gesang, der genauso klagend und sehnsüchtig wie das einsame Lied des Schneesturmes klang, die Stille.
Ihre Melodie war ruhig und viele Töne langezogen. Sie spielte mit Höhen und Tiefen, folgte nur ihren Gefühlen als wäre es ihr Notenpapier und löste sich schließlich von der Seite des Rentiers. So oft hatte man sie in der Gemeinschaft als starke Jägerin und hilfsbereite junge Dame gesehen, aber nie als verspieltes Mädchen, welches sich ihren Leidenschaften hingab.
Denn genau dies tat Nanouk nun. Wenn sie doch schon sterben würde, dann könnte sie wenigstens in ihrer letzten Nacht als Lebendige sich ihren zwei einzigen Leidenschaften hingeben; dem Singen und dem Tanzen.
Und so tanzte das Inuitmädchen. Zusammen wirbelte sie mit dem stillen Hauch von einem Wind den Schnee unter sich auf. Drehte sich in Pirouetten elegant zu ihrer eigenen Melodie, zu ihrem eigenen Lied der Einsamkeit.
Dabei hielt Nanouk ihre Augen geschlossen und träumte wie sie zwischen den Sternen hoch im Himmel tanzte. So bemerkte sie nicht, wie sich langsam grüne und lilafarbene Schwaden am Himmel bildeten.
Immer mehr wurden es und verbanden sich zu einem gemeinsamen Farbenspiel, welches sich auf dem Schnee widerspiegelte.
Erst als das weiße Rentier mit den Hufen scharrte und laut schnaubte, öffnete Nanouk während einer Pirouette kurz ihren Augen und hielt sofort in der Bewegung inne.
Erstaunt sah sie wie auf dem hellen Fell ihres Freundes bunte Farben tanzten. Ihr Blick fiel auf den Schnee und auch auf diesem tanzten Farben.
Erneut schnaubte das Rentier laut und zog Nanouks Aufmerksamkeit auf sich. Es hatte seinen Kopf erhoben und schien mit seiner Nüstern in den Himmel zu deuten. Das Mädchen folgte dem Beispiel, legte den Kopf in den Nacken und ihr blieb schier der Atem weg.
Über ihr tanzten sachte Schwaden aus Grün und Lila.
Sie war wie verzaubert, in ihren dunklen Augen spiegelte sich das Farbspiel wild wider und sie konnte nichts anderes tun als stumm und fasziniert in den Himmel zu sehen. Ein Lächeln schlich sich auf Nanouks Gesicht und nun war es nicht mehr von Trauer sondern von Freude gezeichnet.
Nanouk lachte kurz auf, ihr Herz machte einen Freudensprung und sie wischte sich eine Träne der Freude aus den Augen. Die tanzenden Farben erinnerten sie an sich selbst als sie eben noch tanzte und sang. Das Mädchen holte tief Luft, dann, erst ganz leise und zart, stimmte sie wieder ihren Gesang an. Nanouk hob ihre Arme dem Wunder entgegen und widmete diesem ihr neues Lied, ein Lied der Freude.
Nun mit Kraft und voller Lebensgeister sang und tanzte Nanouk für den Himmel; und ohne es erst zu wissen auch für die Sonnenfeen. Diese hatten nämlich Nanouks einsames Lied gespürt und waren von der Sonne hinunter zur Erde gekommen. Im Himmel auf der Erde tanzten sie wie einst auf der Sonne, nur aber taten sie es nicht wild und schnell, sondern sachte und zart wie Nanouks Lied. Die Sonnenfeen wollten dem Mädchen ihre Einsamkeit nehmen, wie sie es einst für die Sonne getan hatten.
So tanzte und sang das Mädchen unter dem Sternenhimmel für das Farbspiel, welches viele, viele Jahre später als Aurora Borealis bekannt wurde; und die Sonnenfeen, welche niemand außer Nanouk damals als solche erkannte, tanzten für das einsame Mädchen und beschlossen für alle Ewigkeit in den finsteren Nächten im Land der ewigen Kälte für jene zu tanzen, welche die Ferne suchten und die Einsamkeit fürchteten.
In der Nacht, wo Nanouk die Sonnenfeen anlockte und später als solche entdeckte, zeigten diese mit ihrem Licht ihr zwei Wege. Den Weg nach Hause zur Familie und den Weg in eine ungewisse Zukunft. Zusammen mit ihrem neuem Freund, dem weißen Rentier und dem Schutz ihrer neuen kleinen Freunde der Sonne, schlug Nanouk noch in der selben Nacht den Weg für ihr Leben ein.
Aurora Borealis, die Sonnenfeen, welche in der finsteren und kalten Einsamkeit tanzen um den Menschen Freude und Glück zu schenken.