Es waren drei Monate vergangen, inzwischen war es Sommer. Es war der vierzigste Tag im Monat Junidas, ein Zulnar. Der einzige Ruhetag der zehntägigen Woche. Zumindest war es so weit er sich erinnern konnte immer so gewesen und er hatte nicht vor seine Gepflogenheiten zu ändern. Manchmal sehr zu dem Ärgernis der Menschen im Dorf, in dessen Obhut er sich befand.
Der Mann, der in Wirklichkeit ein Esiew war und inzwischen auf den Namen Feinaar hörte, saß auf dem Gipfel des kleinen Hügels der das Dorf Grenzwald südöstlich vom Wald und all dessen Gefahren abschirmte. Die Sonne schien schon seit zwei Wochen unermüdlich auf die unmittelbare Umgebung herab und die Bauern des Dorfes hatten allmählich Sorge um ihre Ernte. Über dem ganzen Dorf lag eine unglaubliche Hitze, welche kaum auszuhalten war und der Esiew war froh endlich eine Pause zu haben.
Die Menschen des Dorfes sahen es aber anscheinend anders. Sie waren selbst heute mit den Bewässerungsgräben ihrer Felder beschäftigt, die sie durch den niedrigen Wasserstand des angrenzenden Flusses noch um einiges tiefer ausheben mussten. Sogar die Frauen mussten teilweise mit anfassen. Das Leben weit abseits der großen Festungen und Städte verlangte den Menschen wahrlich einiges ab. Sollte die Ernte schlecht ausgehen, würde das Dorf hungern müssen. Das war auch Feinaar klar. Dennoch, gewisse Grundsätze mussten gewahrt bleiben. Das große Licht würde kein Wesen einen qualvollen Tod sterben lassen, nur weil man einen Tag für den eigenen inneren Frieden nutzte.
Innerer Frieden?
Die Ironie in dem Gedanken ließ den Esiew verächtlich schnauben. Von Frieden konnte keine Rede sein. Noch immer wurde er Nacht um Nacht stets von Albträumen geplagt. Der quälende Gedanke, dass die Monster seiner Vergangenheit ihn bald einholen würden, wurde immer drängender. Gleichzeitig musste Feinaar zugeben, sich von Woche zu Woche in diesem Dorf wohler zu fühlen. Woran das wohl lag…
Ja, an wem lag es wohl…Ajanelle…
Es war ja nicht so, dass er nicht schon genug Probleme hätte, aber dieses junge Menschending war ihm mit der Zeit sehr ans Herz gewachsen. Zu sehr, als dass er das Dorf bald verlassen würde, musste er sich eingestehen.
Was hatte das große Licht nur mit ihm vor…?
Feinaar konnte sich noch genau an den Tag vor drei Monaten erinnern, als er auf Ajanelle im Wald getroffen war. Ja, er hatte sie vor einem wilden Bären gerettet und aus Dank hatte man ihn in der Familie Traja willkommen geheißen.
Er wusste noch genau, wie geschockt Ajanelles Vater im Wald reagiert hatte, als Ajanelle sich ihm gegenüber endlich für einen Moment durchgesetzt hatte und ihm alles erzählte. Was Ajanelles Mutter betraf, so war sie regelrecht in Tränen ausgebrochen, als sie von ihrem Mann erfuhr, dass ihre Tochter nur um Haaresbreite einem Bären entkommen war. Letzten Endes hatte Ajanelle tatsächlich Recht behalten und sich einen Monat lang nicht aus dem Haus wagen dürfen. Das man ihr auch noch alle Reinigungsaufgaben des Hauses für den Monat zugewiesen hatte, setzte damals dem Ganzen die Krone auf. Feinaar musste schmunzeln, als er daran dachte, wie entsetzt sie damals geguckt hatte, bis sie ihren Blick auch schon nahezu strafend auf ihn gerichtet hatte.
Unter ihrem strafenden Blick hatte sich der Esiew doch tatsächlich äußerst unwohl in seiner Haut gefühlt. Das war etwas, dass noch nie zuvor ein Mensch bei ihm geschafft hatte. Ajanelle besaß irgendetwas, das ihn in ihren Bann schlug. Nun, sie war ein Wildfang und raubte mit ihrer unbekümmerten Art und ihren zugleich ständig zunehmenden weiblichen Reizen jedem jungen Mann im Dorf den Atem. Aber da war noch mehr. Etwas, dass selbst einem Esiew die Sprache verschlagen konnte. Dieses goldene Glitzern in ihren Augen. Die unglaubliche Ausstrahlung von Frieden und Wärme, die sie verströmte.
Ja, das war es. Danach sehnte er sich schon wer weiß wie lange… Aber würde so etwas gut gehen? Er war noch immer auf der Flucht, oder? War er vielleicht doch entkommen…?
In dem Wirrwarr aus unterdrückten Gefühlen spielte er unterdessen mit seinem wertvollsten und einzigen Besitz, den er stets mit seinem Leben beschützt hatte. Es war eine kleine hölzerne Flöte aus dem roten, mit bronzenen Strähnen durchzogenen, Holz eines Amalaáchenbaumes. In all den Jahren hatte er es dieser kleinen Flöte zu verdanken, dass er nicht wahnsinnig geworden war. Die kleine Flöte erinnerte den Esiew an seine Heimat und erfüllte ihn zugleich mit Stolz. Das Holz des Amalaáchenbaumes war von einem unschätzbaren Wert. Da die Amalaáchenbäume die Verbindung der Esiew’ mit dem großen Licht repräsentierten, standen sie sowohl unter dem Schutz des ganzen Esiew’volkes, als auch unter dem Schutz der mächtigsten Baumgeister ganz Remandors, den Schetala. Die wenigen Wesen, denen die Schetala über die Jahrtausende hinweg einen winzigen Teil ihres Baumes geschenkt hatten, konnte man an zwei Händen abzählen. Aber der Esiew war einer von ihnen.
Großes Licht, wozu hast du mir damals ein solches Geschenk gemacht…
„Feinaar!“, riss eine junge Männerstimme den Esiew aus seinen Gedanken.
Von hinten kam ein junger Mann mit freiem Oberkörper auf ihn zu, dem der Schweiß regelrecht in Strömen vom Körper lief. Er hatte die gleichen braunen Augen wie Ajanelle, einzig das goldene Schimmern fehlte ihnen. Sein Gesicht, oben vom braunen Haar der Trajas umrahmt, glänzte Schweiß getränkt im Licht der Sonne und offenbarte freundliche Züge, wenn auch etwas angespannt von der harten Arbeit auf den Feldern. Dennoch schien der junge Mann gute Laune zu haben.
„Hey Anton, macht ihr Pause?“, begrüßte Feinaar den Neuankömmling.
„Ja, ganz genau, zumindest über die Mittagszeit hinweg. Jetzt noch länger weiter zu arbeiten wäre Selbstmord“, streckte sich Anton bei ihm angekommen und pflanzte sich dann neben dem Esiew auf den Boden.
„Wo ist denn Ajanelle?“, versuchte sich Feinaar unschuldig und wünschte sich gleich darauf er hätte nicht gefragt.
„Ah, sieh mal einer an. Entwickelst du etwa plötzlich Interesse an meiner Schwester, he?“, grinste Anton den Esiew frech an, fuhr dann aber fort. „Sie wäscht sich gerade, sie kann dir ja schlecht mit Dreck im Gesicht gegenüber treten. Ajadaka übrigens auch.“
Bei Feinaars Gesichtsausdruck prustete Anton vor Lachen los und klatsche mit der Hand auf den Boden, was die Züge des Esiew nur noch mehr verdunkelte.
Na besser konnte es ja nicht mehr werden, fluchte Feinaar still in Gedanken. Das Ajanelle sich ihm gegenüber nur von ihrer besten Seite zeigen wollte, versetzte ihn nahezu in einen euphorischen Glückszustand, die Tatsache, dass es Ajadaka jedoch genauso ging, brachte Feinaar schnell wieder auf den Boden zurück. Ajadaka war Ajanelles jüngere Schwester und hatte einen absoluten Narren an ihm gefressen, wie so ziemlich jede andere noch freie Frau im Dorf. Dabei spielte es noch nicht einmal eine Rolle, ob sie sich schon im heiratsfähigen Alter befanden oder bereits darüber hinaus waren. Sehr zu seinem Leidwesen, weswegen er nahezu ständig von einer oder mehreren Frauen gleichzeitig umschwärmt wurde und noch dazu die neidischen und teilweise hasserfüllten Blicke der jungen Männer des Dorfes ertragen musste.
Anton bildete da eine Ausnahme, er war Ajanelles und Ajadakas älterer Bruder und hatte es sich viel mehr zum Ziel gesetzt, Feinaar mit seiner ungewöhnlichen Lage regelmäßig aufzuziehen.
Feinaar wusste selbst nicht wirklich wie er in diese unglückliche Situation hineingeraten war. Nach seiner Ankunft im Dorf war er zunächst misstrauisch beobachtet worden und nur nach und nach hatten die Dorfbewohner ihre Scheu vor ihm verloren. Auch die Tatsache, dass er zur Haltung eines jeden Tieres wunderbare Ratschläge geben konnte, sich die Tiere selbst, aber unter größten Anstrengungen möglichst vom ihm fern hielten, wurde mit der Zeit einfach hingenommen. Von dem Tage an hatte sich einige Zeit nichts getan, bis sich dem Esiew, außer Ajanelle, dann auch langsam einige andere Frauen genähert hatten. Von da an ging es Schlag auf Schlag und nun fand sich Feinaar in einem unachtsamen Moment nur zu schnell von den vielen weiblichen Menschendingern umringt und von Fragen durchlöchert. Der einzige Ausweg war die Gesellschaft eines männlichen Menschen, dass schien die Frauen davon abzuhalten sich ihm zu nähern. Bis auf Ajanelle, worüber er recht glücklich war, aber eben auch Ajadaka, was dazu führte, dass er Ajanelles Gesellschaft nicht vollends genießen konnte.
„Tja mein Freund, du siehst einfach zu gut aus für die normalen dörflichen Verhältnisse einfacher Menschen“, zwinkerte ihm Anton amüsiert zu, als er sich von seinem Lachanfall erholt hatte.
„Sehr witzig. Wirklich sehr witzig!“, antwortete Feinaar gereizt und Antons Mundwinkel zuckten verdächtig. Wirklich übel nehmen konnte er es ihm nicht. Anton war so ziemlich das, was am ehesten einem besten Freund gleichkam. Einzig seine lästigen Albträume und die bruchstückhaften Erinnerungen an seine qualvolle Vergangenheit ließen nicht zu, dass er den letzten Schritt machte und sich Ajanelle und Anton gegenüber vollends preisgab.
„Tarlas ist im Moment nicht gerade gut auf dich zu sprechen. Midra stellt ihm in letzter Zeit wohl nur noch Fragen über dich. Das treibt den armen Kerl in den Wahnsinn.“
„Auch das noch…“, seufzte Feinaar.
„Du sagst es!“, lachte Anton bereits wieder.
Tarlas war Triads Sohn und ein recht streitlustiger Geselle. Bisher hatten es die jungen Männer noch recht gut hingenommen, dass Feinaar vorerst die Hauptattraktion des Dorfes war. Aber nun hatte er Tarlas gegen sich...
Das werden wohl ein paar lästige Tage… So ein Mist, dachte Feinaar.
„Sag mal Anton, wieso hast du so augenscheinlich kein Problem mit mir? Ich meine, so ziemlich alle von euren Frauen fliegen im Moment auf mich und auch wenn ich nichts dafür kann… Gibt es Keine die dich interessiert? Ehrlich gesagt verwundert es mich, dass du noch nicht verheiratet bist.“
„Hmmm… wie soll ich sagen… Kennst du das Gefühl, dass du dich irgendwo nicht wirklich zu Hause fühlst? Irgendwie glaube ich, dass noch etwas ganz Anderes auf mich wartet. Ich kann mir einfach nicht vorstellen mein Leben als Bauer zu verbringen.“
Feinaar staunte nicht schlecht über die Tiefgründigkeit der Gedanken seines Freundes.
„Meinst du nicht, dass du dir so langsam darüber klar werden solltest? Ich hätte nie vermutet, dass du solche Gedanken hegst, was wird da erst deine Familie zu sagen?“
„Du sagst es Feinaar. Aber was soll ich machen, mein Vater wird mir dergleichen niemals erlauben. Er rechnet fest damit, dass ich Bauer werde und in seine Fußstapfen trete. Ach, was sage ich, dass ist für ihn längst beschlossene Sache.“
„Also lebst du lieber unglücklich in den Tag hinein?“, fragte ihn der Esiew bedeutungsvoll.
„Unglücklich? Nein… zumindest solange nicht, bis ich dich mit Ajanelle zusammengebracht habe. Solange werde ich schon noch meinen Spaß haben“, sagte Anton mit einem Grinsen im Gesicht.
„Was unterstellst du mir eigentlich ständig? Ich… ich habe überhaupt keine unlauteren Absichten deiner Schwester gegenüber“, versuchte sich der Esiew zu verteidigen.
„Ach was, und wieso wirst du dann knallrot im Gesicht? Wusste ja gar nicht das Esiew’ auch erröten“, lachte Anton aus vollem Hals.
„Von wegen, ich werde überhaupt nicht rot…“, sprach der Esiew zunächst, musste zu seiner Scham dann jedoch das Gegenteil an sich feststellen und brach lieber ab, was Anton einen weiteren Lachanfall bescherte. So kalt hatte es den Esiew zuletzt in seiner Kindheit erwischt, der in diesem Moment am liebsten im Boden versunken wäre.
„Keine… keine Sorge“, brachte Anton schließlich mit Mühe wieder heraus. „Ich werde es niemanden erzählen, du kannst mir vertrauen. Noch vor ein paar Monaten hätte ich nie gedacht, vielleicht mal einen Esiew als Schwager zu haben.“
„Schwager? Gehst du nicht langsam etwas zu weit?“, meinte der Esiew noch immer puderrot im Gesicht.
„Wieso? Ist der Gedanke so abstoßend mein Schwager zu sein?“, scherzte Anton, wurde bei der gequälten Miene des Esiew jedoch schnell wieder ernst. „Tut mir Leid, ich wollte dir nicht zu nahe treten.“
„Du bist mir nicht zu nahe getreten“, lächelte der Esiew halbherzig. „Es ist nur… Ich und eine Menschenfrau? So verrückt wie es klingt, seit dem zweiten Tag bei dem ich bei euch bin, denke ich darüber nach. Aber ich bin immer noch nicht zu einem Entschluss gekommen, ob so etwas wirklich für mich möglich ist.“
„Seit dem zweiten Tag?“, fragte Anton mit spöttischer Mine. „Und ich dachte, ich müsste für Ajanelles Glück kämpfen.“
Das brachte den Esiew nun doch zum Lachen.
„Manche Esiew’ spüren recht schnell, wenn sie ihrem Gegenstück begegnen…“, versuchte der Esiew sich zu erklären. „Du bist ein gutes Wesen, Anton… Ein guter Mensch… ein guter Mann und Ajanelle ist all das, was ich mir seit Ewigkeiten gewünscht habe. Ich mag eure Familie, wenn ich ehrlich bin, komme ich sogar mit eurer quirligen kleinen Schwester aus“, lächelte der Esiew sanft. „Es gibt nur ein paar Dinge aus meiner Vergangenheit, die… nun, ich bin mir nicht sicher, ob sie mich eines Tages einholen… Wenn sie es tun, dann will ich so weit wie nur irgend möglich von hier entfernt sein… Ich… ich könnte mir nicht verzeihen, wenn euch etwas zustoßen würde“, endete der Esiew schließlich, während Anton seinen Freund nachdenklich musterte.
„Weißt du Feinaar, bist du dann nicht genauso wie ich?“
„Was meinst du?“
„Na, gerade hast du mir noch zu denken gegeben, dass es langsam Zeit wird eine Entscheidung zu treffen. Irgendwann werde ich vielleicht nie mehr von hier wegkommen. Bei dir ist eher das Umgekehrte der Fall. Du bist so sehr mit deinen inneren Dämonen beschäftigt, dass du dich nie niederlassen wirst, wenn du ständig nur an deine Vergangenheit denkst. Ich weiß nicht was dir passiert ist, aber du hast mehrere Jahre in Wulvenien überlebt! Wofür, wenn du dir ein richtiges Leben nie wieder zugestehst? Wo würde da der Sinn deines Lebens bleiben? Glaubst du nicht an das große Licht? Das es einen Grund gibt, wieso du auf Ajanelle im Wald gestoßen bist? Ich, für meinen Teil, weiß nur, wie abgöttisch Ajanelle sich in dich verguckt hat und sobald man dich ein Bisschen besser kennt, ist es so offensichtlich, dass es dir nicht anders geht, dass man fast an ein schlechtes Gauklerstück denkt“, sagte Anton im vollem Ernst. „Ich kann dir deine Entscheidung nicht abnehmen und ich weiß auch nicht was dir zugestoßen ist, aber ist es nicht besser manchmal im Hier und Jetzt zu leben?“
Der Esiew schaute in Richtung des Waldes, über die vielen grünen Baumkronen hinweg und dachte über Antons Worte nach.
Anton meinte es gut, aber er wusste im Grunde nichts von ihm. Wenn es bloß so einfach wäre… Er selbst wusste bis heute nicht seinen eigenen Namen. Seine Erinnerung wollte einfach noch immer nicht zurückkommen. Er war gelaufen… Ja, daran erinnerte er sich. Er war gelaufen und gelaufen. Er war regelrecht um sein Leben gerannt, aber er hatte diese Monster die ihn jagten nie abhängen können. Doch dann war er auf Ajanelle getroffen… Ajanelle… liebte er sie? Oder hatte seine Zuneigung ihr gegenüber andere Gründe… Seit dem Moment ihrer ersten Begegnung, waren die Monster verschwunden. Sie jagten ihn nicht mehr. Aber was wenn sie plötzlich wieder auftauchen würden? Manchmal waren sie noch immer da, oder? Doch, er war sich sicher… manchmal spürte er noch immer ihre Gegenwart. Nur um ein Vielfaches abgestumpft. War er verrückt geworden? Hatte er einfach nur Angstzustände? Sicher war er sich auch dessen nicht. Aber was wenn Anton Recht hatte? Sollte er einen Versuch wagen? Ajanelle und den anderen Menschen könnte etwas passieren… Nein, so durfte er nicht denken… Ah… es war zum wahnsinnig Werden…
„Ab morgen werde ich wieder auf den Feldern mithelfen. Bis zum Erntefest treffe ich eine Entscheidung, dass scheint mir im Moment das Beste zu sein“, antwortete der Esiew schließlich.
„Bis zum Erntefest? Na das nenne ich doch mal den ersten Erfolg versprechenden Beschluss! Ich selbst hatte mir, trotz aller Probleme, vorgenommen im Frühjahr nächsten Jahres los zu ziehen. Wenn du sie heiraten solltest, werde ich natürlich bis zur Heirat noch bleiben. Mein Vater wird mich dann wahrscheinlich auch eher gehen lassen, wenn er einen neuen Sohn hat“, versuchte Anton den Esiew direkt wieder zu necken, was dieser jedoch diesmal direkt überging: „Also ist das doch schon beschlossene Sache? Das du eines Tages los ziehen wirst?“
„Ja, das ist es. Ich bin wahrscheinlich der Einzige, der so eigensüchtig ist und aus einem solchen Grund das Dorf verlassen wird“, seufzte Anton. „Ich bin wirklich froh, dass du aufgetaucht bist. Wenn nicht… vielleicht wäre mein Entschluss dann doch noch nicht so sicher.“
Auf seltsame Weise berührt lächelte der Esiew und blickte erneut über das Blätterdach des Waldes hinweg, als sich plötzlich mit einem Ruck ein paar Hände über seine Augen legten und Feinaar für einen Moment in Abwehrhaltung ging, ehe er merkte um wen es sich handelte.
„Ajanelle, du hast mich fast zu Tode erschreckt!“, rief er entrüstet.
„Ach man, woher wusstest du, dass ich es war?“, seufzte Ajanelle und tänzelte dabei um den Esiew herum, um in richtig ansehen zu können.
„Ich… ich…“, Feinaar versagte plötzlich die Sprache, als sich Ajanelle in sein Blickfeld schob.
Mein großes Licht, ist sie schön! Staunte Feinaar.
Sie trug ein einfaches weißes Kleid, welches im seichten Wind des Sommertages sich sanft an ihren Körper schmiegte und dem Esiew so einen Hauch ihrer langen Beine und ihrer wohlgeformten Hüfte preisgab. Oben war das Kleid um die Brust eng anliegend und deutete eine Oberweite an, die für ihre schlanke Figur fast schon zu groß erschien. Ihre langen glatten Haare fielen ihr sanft über die Schultern und das dunkle Braun ihrer Haare strahlte warm im Sonnenlicht. Dabei rahmte es sanft ihre weiblichen, zerbrechlichen Züge des Gesichts ein, die doch so im Gegensatz zu ihrem Naturell standen. Feinaars Blick wanderte über ihre sinnlichen Lippen, die zu einem eingeschnappten Schmollmund verzogen waren, über ihre zierliche Nase und blieb an ihren dunkelbraunen Augen hängen. Sie funkelten so vergnügt wie immer und manchmal ließ sich für den Bruchteil eines Lidschlags der goldene Schimmer erahnen, der sich stets dahinter zu verbergen schien. Wie in Trance suchte er verzweifelt nach Worten und schnappte doch mehr nach Luft, als dass er Worte heraus brachte: „Ich… ich hab es einfach gefühlt. Mein… mein Körper erinnert sich an deine Berührungen.“
Die wenigen Worte ließen sich leider nur zu gut missverstehen und sorgten dafür, dass Ajanelle rot wie eine Tomate anlief und sich verlegen abwandte, ehe Feinaar seinen Fehler bemerkte.
„Ah, ich meinte das nicht so… Also… ich… bei den Esiew’ ist das anders…“, suchte Feinaar erfolglos nach Worten. Was lediglich dafür sorgte, dass nun auch er rot anlief und Ajanelles Farbton gar noch ein etwas intensiveres Rot annahm.
„Tja, da ihr Beiden, ja nicht all zu lange gebraucht habt, um meine Anwesenheit komplett zu vergessen, verschwinde ich jetzt mal besser“, mischte sich Anton grinsend ein und ließ sowohl Ajanelle als auch Feinaar erschrocken zusammen fahren.
Feinaar wäre am liebsten im Boden versunken vor Scham. Er hatte Antons Anwesenheit tatsächlich vollständig verdrängt. Anton war inzwischen aufgestanden und machte schon die ersten Schritte in Richtung Dorf, als er sich noch ein letztes Mal umwandte: „Ach und Ajanelle, von wegen Berührungen, ich glaub es meinem Freund dem Esiew ja sofort, aber bitte halte dich ein Bisschen zurück, ja? Wir wollen ja nicht, dass du schwanger wirst bevor ihr Beiden geheiratet habt, nicht wahr?“, zwinkerte Anton Ajanelle zu und grinste von einem Ohr zum Anderen.
„Anton! Verschwinde gefälligst und behalte deine dreckigen Kommentare für dich, sonst erzähle ich Tarlas, dass du dich an Midra heran machst!“, rief Ajanelle empört.
„Oh großes Licht, nein! Bin ja schon weg Schwesterherz!“, lachte Anton aus voller Brust und rannte bereits den Hügel herunter.
„Mein Bruder kann ein verdammter Mistkerl sein...“, murmelte Ajanelle, was Feinaar nur zu gerne aufnahm, um gleich darauf vom Thema abzulenken.
„Wie Recht du damit hast, Ajanelle! Aber sag mal, wo ist deine Schwester? Anton hatte angedeutet, dass ich mich eventuell verstecken müsste…“
„Oh, mein großes Licht, Ajadaka hab ich ganz vergessen!“, rief Ajanelle erschrocken und griff bereits nach seiner Hand. „Komm mit, wir müssen hier weg!“
Daraufhin ließ Ajanelle auch gar nicht mehr mit sich verhandeln, riss Feinaar auf die Füße und zog ihn hinter sich her in Richtung Wald. Vollkommen eingenommen von ihrer vor Leben sprühenden Natur, ließ sich Feinaar einfach treiben und rannte Ajanelle hinterher.
Was hatte er schon zu verlieren? Bis zum Erntefest war noch Zeit. Solange konnte er doch wenigstens die Gegenwart genießen, nicht wahr?
Oder…?
Doch… das konnte er…
Zumindest… noch ein paar Tage…
Dachte er im Stillen und tauchte hinter Ajanelle in den kühlen Schatten des Waldes ein.
Es war wirklich ein schöner Tag…