Fremd ist der Fremde nur in der Fremde. Doch der Fremde ist in der Fremde zu Hause. Für ihn ist das Fremde Alltag, deshalb gar nicht fremd. Eher im Gegenteil. Das für uns Normale, ist für ihn das Fremde. Unser Alltag ist für ihn fremd. Wir sind für ihn fremd, so wie er für uns fremd ist.
Alles kann für uns fremd sein. Als Baby müssen wir alles erst kennenlernen, werden in eine fremde Welt hineingeboren. Nichts kennen wir. Die Sprache ist uns fremd, die Bewegungen und Abläufe sind uns fremd. Kurz gesagt: Wir können und kennen nichts.
Alles müssen wir erst erlernen. Alles ist uns fremd. Doch aus dem Fremden wird mit der Zeit manchmal Eigenes bzw. Bekanntes. Das Fremde wird zum Alltag. Plötzlich ist es nicht mehr fremd, obwohl es sich nicht verändert hat. Das einzige was sich verändert hat, ist unsere Sicht auf das nicht mehr Fremde.
Dieses Fremde gehört nun zu uns; wir nehmen es wahr, wie es ist - nicht mehr nur als das Fremde.
Es gehört nun zu uns. Es ist ein Teil unserer eigenen Identifikation geworden; es fungiert nun als Bindeglied zwischen uns und unserer Gruppe. Es dient als gemeinsames Merkmal von uns.
Denn dank dieser Gemeinsamkeit fällt es uns wesentlich leichter, uns selbst von dem übrigen Fremden abzugrenzen.
Denn wir besitzen zum Beispiel dieselbe Herkunft, dieselbe Sprache und/oder dieselbe Kultur.
Doch was ist »Fremd« überhaupt?
Das Fremde
Der Fremde
Fremde Sachen
Fremder Ort
Fremde Stadt
Fremdes Land
Fremde Sprache
Fremde Kultur
Unter Fremden
Fremdenhass
Fremdscham
Fremdgehen
Fremdes Gefühl
Fremd sein
Sich fremd fühlen
Sich selbst fremd sein
Fremde kennenlernen
Reise ins Fremde
Neugier nach Fremden
Sehnsucht nach dem Fremden
Fremd ist das Unbekannte. All das, was uns nicht vertraut ist.
So vieles ist fremd und doch so vertraut. Das Fremde ist etwas Subjektives.
Unsere Sprache mag für uns selbst vertraut sein, wir kennen sie; Sind ihren Klang gewöhnt. Doch andere Sprachen sind wir nicht gewohnt – sie klingen fremd, nicht vertraut. Wir kennen ihre Bedeutung nicht und verstehen den Sinn dahinter nicht. Sie ist für uns fremd, obwohl Sprache uns grundsätzlich vertraut ist – zumindest die eigene Sprache.
Alles, was wir nicht kennen, ist uns fremd. Oftmals unterteilen wir unsere Welt in das Bekannte und in das Fremde. Obwohl sich das Fremde so stark voneinander unterscheidet, nehmen wir oft nur das Fremde als Einheit wahr. Zumal es auch keinen Plural von »das Fremde« gibt.
Als Beispiel Migranten: Wir nehmen alle als fremd wahr, sehen nur ihre fremde Herkunft, dabei unterscheidet sich ihre Herkunft ziemlich stark – sie sehen sich sogar selbst untereinander als fremd an. Ihre Sprachen unterschieden sich grundlegend, doch wir nehmen das alles nur als fremd wahr. Wir sehen nur diese fremde Kultur, diese fremde Sprache.
Auch wenn sie die gleichen Hobbys haben wie wir, nehmen wir doch nur das Fremde wahr und fassen sie alle zu einer Gruppe – den Fremden – zusammen.
Nicht nur die Herkunft, sondern auch die gleichen Interessen, das gleiche Alter oder sonstige Gemeinsamkeiten können zu einer solchen »Gruppenbildung« führen.
Immer wieder distanzieren wir uns dabei von den Fremden.
Alle anderen gehören zu uns, sind Teil unserer Gruppe. So können wir uns selbst in der eigenen Gruppe identifizieren und uns von dem Fremden abgrenzen.
Dies funktioniert auch bei Gut und Böse. Das Eigene ist eigentlich nie böse – im Gegensatz zum Fremden. So wie das Böse auch fast immer fremd ist.
Die eigene Gruppe ist niemals fähig zu solchen Taten, wie zum Beispiel Gewalt oder Mord. Das sind immer nur die anderen, die Fremden. Schließlich passt es nicht zu der Sicht auf die eigene Gruppe. Die Fremden sind immer der Auslöser, die eigene Gruppe muss sich bloß verteidigen. Oder sie muss dafür sorgen, dass gar nicht erst etwas passieren kann.
Schließlich kennt man die anderen nicht, man kann sie nicht einschätzen. Man weiß nicht, wie sie handeln. Man hat Angst vor dem Fremden.
So können ziemlich einfach Vorurteile entstehen. Vorurteile beschäftigen sich mit dem Fremden und versuchen, das gemeinsame Wesen der Fremden zu erklären. Auch dadurch wird diese Gruppenbildung gefördert, denn die Vorurteile grenzen die eigene Gruppe ab; Vorurteile stimmen niemals mit der eigenen Gruppe überein – vor allem die Vorurteile der anderen sind immer falsch.
Wir selbst sind immer individuell. Wir sind besonders. Wir sind nicht so, wie uns die Vorurteile beschreiben. Wir sind nicht alle gleich, auch wenn die Vorurteile das oft von uns behaupten.
Die Fremden nicht. Die sind alle gleich.
Durch die Angst gegenüber dem Fremden und den Vorurteilen entsteht sehr leicht auch Rassismus.
Man nimmt die Fremden nicht mehr als Menschen, sondern nur noch als Fremde wahr. Schließlich kann man Fremde ohne eine eigene persönliche Identität töten, aber niemals Menschen, die man kennt, die einzigartig sind.
Außerdem ist es so leichter, die Fremden auszugrenzen, denn das führt zusätzlich zu einer besseren Identifikation mit der eigenen Gruppe. Die eigene Gruppe gegen die Fremden. Die Guten gegen die Bösen.
Doch wie kann es sein, dass sich jeder selbst als gut wahrnimmt?
Die Fremden nehmen einen als fremd wahr, die Fremden nehmen einen als Böse wahr.
Doch das scheint nicht wirklich zusammen zu passen. Das kann so doch nicht wirklich funktionieren.
Wie bereits erwähnt ist uns als Baby alles fremd. Wir werden in diese fremde Welt hineingeboren. Wir sehen alles als fremd an – selbst die »eigene« Kultur, Sprache, selbst die eigene Familie ist uns anfangs fremd.
Aber Kinder besitzen die Eigenschaft das Fremde zu akzeptieren. Sie unterscheiden noch nicht zwischen dem Fremden und dem Eigenen. Sie akzeptieren zuerst einmal alles. Sie kennen noch keinen Rassismus. Zum Beispiel ist es im Kindergarten egal, woher die Person kommt. Auch ihre Hautfarbe ist egal. Nur die Person an sich ist wichtig. Kinder sehen die wahren Persönlichkeiten und nicht die »Bilder«, entstanden durch Vorurteile. Erst später entwickeln sie diesen Gedanken der Gruppenidentität, vor allem dadurch, dass es ihnen so oft oder eigentlich immer – Ausnahmen bestätigen die Regel - vorgelebt wird.
Bei Kindern funktioniert die Integration recht gut. Sie sind offener und neugieriger. Eine Eigenschaft, die den Erwachsenen viel zu oft fehlt. Denn das Fremde ist vielfältig, bietet neue Ideen und Möglichkeiten. Durch Austausch mit dem Fremden kann die Welt bunter werden.
Kinderaugen können durch ihre Neugierde bestimmte Dinge in ihrer vollen Vielfalt wahrnehmen und entdecken. Dinge die man sonst zu leicht verpasst.
Denn die Angst vor dem Fremden ist schlimmer als das Fremde selbst.
Wir selbst sind Fremde. Wir sind genauso Fremde, wie alle anderen auch.
Jeder, wirklich jeder, ist in der Fremde fremd.