Du hörst dem Lied weiter zu. Die Klänge haben eine beruhigende Wirkung auf dich, du kannst dich einfach nicht sorgen, solange du sie hörst. Schläfrig lehnst du am Ufer, deine Augenlider scheinen ein paar Kilo zugenommen zu haben. Du kannst die Augen kaum offen halten.
Schon bald kommen die Geschöpfe in Sicht, die die Musik ausstoßen. Hellblaues Licht schimmert zwischen dem hohen Gras hindurch. Dann siehst du die körperlosen Wesen, leuchtend wie Diamanten, erfüllt von kleinen Kugeln wie Luftblasen unter dem Meer. Der Gesang ist so wunderschön, dass er dir Tränen in die Augen treibt. Bewundernd siehst du die Lichtgestalten an. Du fühlst dich wie schwebend, bist nicht fähig, ein Wort zu sagen oder einen Muskel zu bewegen. Fünf oder sechs Wesen schweben langsam an dir vorüber. Falls sie dich bemerken, reagieren sie nicht auf deine Anwesenheit. Langsam fallen dir die Augen zu, und du beginnst zu träumen.
Du schwebst, fliegst über einem weiten Feld. Im Gras unter dir funkeln Tautropfen wie Sterne. Du siehst bunte, leuchtende Schmetterlinge, die mit dir durch die Nacht fliegen, körperlose Lichtgestalten und Pusteblumensamen. Über euch am Himmel zeigt sich ein Polarlicht. Das dunkle Gras wogt wie ein unwirkliches Meer.
Die ganze Zeit erklingt das Lied. Schließlich merkst du, dass du ebenfalls singst – und nicht nur das: Du hast deinen Körper abgelegt und bist nichts weiter als einer der vielen Schmetterlinge. Die Nacht ist euer Zauberreich geworden, indem ihr euren Reigen tanzen dürft.
Die Morgensonne ist dir fast ein trauriger Anblick. Als du die Augen öffnest, hast du deinen Traum schon wieder vergessen, nur ein Gefühl von tiefem Glück und ebenso tiefer Friedlichkeit bleiben dir erhalten. Du hast die Nacht einfach auf den harten Steinen am Flussrand verbracht. Jetzt protestiert dein Körper mit Schmerzen gegen die unsanfte Behandlung. Wehmütig denkst du an dein eigenes Bett zurück, während du dich streckst und dann dein Boot fertig machst, um weiter dem Fluss zu folgen.
Von deinem Traum bleibt nicht mehr als eine ferne Erinnerung, doch obwohl du es nicht mehr weißt, wurde dir ein Geschenk gemacht, und seine Wirkung wird sich Zeit deines Lebens immer wieder zeigen: In den wenigen Momenten zwischen Wachen und Schlafen stehen die fernen Wiesen im Sternenlicht dir wieder offen, niemals wird ihr Zauber ganz aus deinem Leben verschwinden.
Du ruderst den Fluss hinab …
Kapitel 260: [https://belletristica.com/de/chapters/32669/edit]