Sie erschrak zu Tode! Hilflos lag sie auf dem Rücken und das Gewicht einer mächtigen Löwin drückte sie auf den sandig-steinigen Untergrund. Sie konnte sich überhaupt nicht mehr bewegen. Die Raubkatze öffnete ihr riesiges Maul, welches nun zwei Reihen von spitzen Zähnen freilegte. Die Lefzen bedrohlich nach hinten gezogen, stiess sie ein lautes Brüllen aus. Panik ergriff Lea, doch dann entsann sie sich, dass sie wohl erneut in einer Zwischenwelt gelandet war und sie konnte sich ein wenig beruhigen. Sie versuchte aufzustehen, doch die Löwin liess sie nicht, sie knurrte und fauchte wild und wieder ergriff Lea Furcht. Was wenn dieses Tier ihr doch noch die Kehle durchbiss? Sie wälzte sich hin und her und stemmte sich mit verzweifelter Kraft gegen das Tier, doch dieses rückten keinen Millimeter von ihr ab. Dennoch biss es noch immer nicht zu, sondern brüllte und fauchte nur weiter.
Leas Angst wurde nun zusehends von Zorn abgelöst. «Was willst du von mir, geh endlich von mir runter du dummes Vieh! » Sie stemmte ihre Arme gegen die kräftige Brust der Katze, doch diese fauchte noch mehr und schien nun auch noch verärgert zu sein.
«Wenn du mich töten oder fressen willst, dann tu es doch endlich, oder lass mich gehen! » schrie sie.
Doch die Löwin dachte nicht daran. Sie blieb wo sie war. Was wollte sie bloss? Hilflosigkeit erfasste die Frau nun. Sie wusste wirklich nicht was sie tun sollte. Das Atmen fiel ihr unter dem Gewicht, das auf ihre Brust drückte immer schwerer, ausserdem war der Boden unter ihr sehr hart und die Sonne brannte unbarmherzig hernieder. Es kam ihr so vor, als ob sogar dieser leuchtende Feuerball nur noch dazu da wäre, um sie möglichst lange und übel zu peinigen. Tränen liefen ihr über die Wangen und sie versuchte immer und immer wieder unter der Löwin hervor zu kriechen. Kein Erfolg.
5. Kapitel
Die Löwenfrau
«Sakhmash es reicht jetzt! » hörte sie plötzlich eine Stimme, die irgendwo jenseits ihres Blickfeldes ertönte «Lass sie gehen! » Die Löwin gehorchte sogleich und liess nun endlich von Lea ab. Das Gewicht auf ihrer Brust verschwand und die Frau atmete tief durch.
Vor dem hellen Licht der Sonne erschien nun eine hummanoide Gestalt. Zuerst konnte sie sie nicht erkennen, doch als sie sich erhoben hatte, sah sie, dass es sich bei der Gestalt um eine sehr schöne, ägyptische Frau handelte. Sie war gekleidet in ein ägyptisches Gewand, ähnlich wie das das Lea selbst trug, nur dass das Gewand der Fremden noch viel reicher verziert war. Sie trug schweren, breiten Goldschmuck um ihren Hals, mit Türkisen, rotem Jaspis und tiefblauem Lapislazuli besetzt. Dazu passende Armbänder und einen Gürtel mit einer Skarabäus- Schnalle. Ihr Haar war schulterlang und zu vielen kleine Zöpfen geflochten, die sich kunstvoll über ihr ganzes Haupt verteilten. Ein Art Schleier, war an ihrer Stirn mit einem Zierband befestigt, welcher jedoch die Haare nur teilweise bedeckte. Ihre Augen waren von tiefem Dunkelbraun und bohrten sich nun in die Blauen von Lea. Es war ein irgendwie harter und doch nicht unbedingt unfreundlicher Blick, eher sehr intensiv.
«Wer bist du? » fragte Lea ziemlich schüchtern.
«Ich bin die Löwenfrau, » stellte sich die Angesprochene knapp vor.
«Ach so? … nun ja das ist naheliegend, du hast ja schliesslich auch eine Löwin an deiner Seite, » erwiderte Lea mit leichter Ironie in der Stimme. Irgendwie wurde sie nicht so schnell warm mit dieser seltsamen Frau, wie es bei der Raben- oder der Pferdefrau der Fall gewesen war. Etwas wie Ärger flammte in den Augen der Löwenfrau nun auf. «Willst du dich möglicherweise lustig über mich machen, oder…» sie schob ihr Gesicht ganz nahe an jenes von Lea heran und nagelte sie mit ihrem Blick fest. Lea wich impulsiv einen Schritt zurück « oder gar über meine treue Begleiterin Sakhmash? Das könnte dich teuer zu stehen kommen. Sie und ich sind schon seit Ewigkeiten Freunde und wenn ich will, wird sie dich mit Freuden zerfleischen. »
«Ich mache mich gar nicht lustig! » Lea spürte nun ebenfalls Wut in sich aufsteigen und bohrte nun ihre Augen, die sie vorhin kurz gesenkt hatte, selbstbewusst in jene der Löwenfrau. Lange standen sie einfach nur so da und starrten sich an.
Dann auf einmal geschah etwas Seltsames, die Fremde lachte auf, es war ein recht tiefes, raues Lachen. «Du bist gar nicht so schwächlich, wie ich anfangs dachte…» Sie zwinkerte und tätschelte dann den Kopf der mächtigen Löwin, die ihr bis fast zur Brust reichte.
«Schwächlich? Was soll das heissen! Was erlaubst du dir? » Der Zorn der nun von Lea Besitzt ergriff, überraschte sie selbst.
Doch die Löwenfrau lachte noch mehr. «Gut, gut, lass es nur raus, du wirst dich danach besser fühlen! »
«Was meinst du damit? » Lea wurde auf einmal wieder unsicher. Sie wollte eigentlich gar nicht so in Rage geraten, es kam nie gut heraus, wenn ihr das passierte. Der Autounfall, war schliesslich auch durch ihre Wut verursacht worden. Das reichte ihr vorerst.
«Du weiss genau was ich meine Lea, deine Wut natürlich! Lass sie einfach raus, dann wird es dir bestimmt bald bessergehen! »
«Aber ich will gar nicht so wütend werden, das ist nie gut. Deswegen ist mir gerade ein Unfall passiert und jetzt haben wir kein Auto mehr. Verflucht! » Sie trat gegen einen Stein, der in der Gegend herumlag, dieser spickte davon, prallte an einem grösseren Felsen ab und traf sie dann schmerzhaft am Arm. «Au! Verflucht noch eins! » Lea spürte wie ein Feuer voll unbändigen Zornes sich in ihren Eingeweiden breitmachte und sie trat heftig gegen den grösseren Felsen. Das war jedoch ziemlich schmerzhaft und sie hielt sie eine Weile mit schmerzverzerrten Gesicht ihren Fuss und hüpfte auf einem Bein in der Gegend herum.
Die Löwenfrau lachte schallend und zeigte keinerlei Mitleid. Das steigerte noch Leas Zorn. «Du dumme Kuh! » schrie sie die Fremde an und lief dann schnaubend davon.
Sie lief und lief, bis sie nicht mehr konnte und liess sich dann unter einem überhängenden Felsen, welcher etwas Schatten spendete, zu Boden fallen. Sie fühlte sich irgendwie erschöpft und ausgebrannt. Und wie meistens nach so einem solch unkontrollierten Wutanfall, begann sie nun zu weinen. Sie weinte, weil sie sich nicht besser im Griff gehabt hatte, weinte, weil sie solche Wut auf sich selbst verspürte. Alle Erinnerungen der vergangenen Tage, zogen wieder an ihr inneren Auge vorbei und sie wünschte sich im Augenblick nichts sehnlichster, als von hier wieder verschwinden zu können. Diese blöde Löwenfrau machte sich eh nur über sie lustig. Was sollte sie also hier? Und diese dumme Raubkatze, die sie begleitete… Die beiden wollten sie scheinbar nur noch mehr quälen, als ob alles nicht schon schlimm genug gewesen wäre. Lea wollte nach Hause zu ihrem liebsten Nathaniel, er würde sie trösten und sie in den Arm nehmen und ihr sagen, dass alles doch gut sei. Anders als diese… dumme, dumme… sie versuchte ihre Gedanken zu zügeln, um sich nicht noch mehr zu versündigen, als sie es bisher schon getan hatte. Wie hatte sie die Fremde nur so beschimpfen können? Wie hatte überhaupt alles so weit kommen können? Wieder hasste sie sich selbst und der Hass auf sich selbst wechselte sich mit dem Gefühl ab, dass sie einmal mehr versagt und ihre Wut nicht im Griff gehabt hatte . Verdammte Scheisse! Sie lehnte sich an den kühlen Fels und schaute seufzende an ihm entlang nach oben.
Da tauchte auf einmal wieder der Kopf der Löwin über ihr auf und daneben das Gesicht ihrer Meisterin. Das Gesicht der Löwenfrau blickte mit einer Mischung aus Mitgefühl und Schalk zu ihr herunter. Das alles sah irgendwie so lustig aus, dass Lea ohne es zu wollen nun doch lachen musste. Ihre Wut verflog dabei wieder ein wenig. Sie konnte nicht sagen warum. Mit einem behänden Sprung landeten nun die Frau und ihre Raubkatze neben ihr. Die Löwenfrau schien auf Versöhnung aus zu sein. Sie setzte sich neben Lea und die beiden schwiegen sich einen Moment lang an. «Konntest du dich etwas beruhigen? »
«Ja… es geht wieder. Es tut mir leid, dass ich dich beschimpft habe. Das wollte ich eigentlich nicht. »
«Doch wolltest du, » grinste die Frau und Lea konnte nicht anders als auch grinsen.
«Aber das ist okay so. Ich kenne die Wut gut. Du musst sie nur lernen anzunehmen. »
«Diese Wut annehmen? Nein das kann ich nicht. Sie macht alles zunichte. Ich hasse es, wenn ich so drauf bin. Es ist eigentlich sonst gar nicht meine Art, solche Ausbrüche zu haben. Ich will ja eigentlich niemanden verletzen. Aber manchmal passiert es einfach. Die letzten Tage waren irgendwie scheisse und ich weiss wirklich nicht, wie es weitergehen soll. Darum war ich ja auch so zornig. Ich glaube der Zorn kommt manchmal aus einer gewissen Hilflosigkeit heraus und wenn ich mich ungerecht behandelt, oder nicht ernst genommen in meinen Problemen fühle. Darum war ich vorhin auch so wütende auf dich. »
«So schlimme Probleme hast du doch aber gar nicht. Das alles sind Dinge, die sich wieder einrenken. Du hast schon viel Schlimmeres überstanden Lea. Das hier wirst du auch noch überstehen, » beschwichtigte sie die Löwenfrau und schaute sie nun mit verständnisvoller, tröstender Miene an. So langsam begann Lea sie mehr und mehr zu mögen. Irgendwie hatte sie etwas, etwas nach dem sich Lea schon ihr ganzes Leben lang sehnte, dass sie jedoch vermutlich niemals erreichen würde.
«Du bist noch immer so voller Unsicherheit und Zweifel, meine liebe Lea. Komm doch einfach mit mir, ich lade dich zu mir nach Hause ein und dort werden wir uns mit alle Facetten der Wut auseinandersetzten. Ich kenne und verstehe die Wut wie kaum jemand sonst, doch auch die Kraft die ihr innewohnt, kenne ich wie keine zweite. Denn siehe, ich bin die Löwenfrau!"...