Kapitel 9
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Chiara Falks würde mich nicht wieder zu dem gebrochenem Mädchen machen, dass ich mal war. Sie würde nicht diejenige sein, die mich in alte Muster zurück wirft. Ich wollte mich nie wieder mehr, an diesem Punkt vorfinden und deswegen, würde ich das Problem an der Wurzel packen. Mein aufrechter Gang, strahlte etwas aus, das ich zuvor noch nie gespürt habe.
Die Leute um mich herum, machten mir Platz. Es war nicht nötig, sie darauf hinzuweisen. Nicht einmal musste ich ihnen einen Blick zuwerfen. Ich fühlte mich mächtig, mächtiger als jemals, in meinem Leben. Ich stürmte in den Klassenraum und der Lehrer machte einen Schritt zurück. In seinen Augen, konnte man die Entsetzung über meine Kleidung glatt ablesen. Aber in diesem Moment, zählte nichts als mein Wille, Chiara in den Arsch zu treten.
„Chiara!" Mein Ton war klar und deutlich. Ich starrte sie an, doch sie schien abgebrühter zu sein, als ich gedacht hatte.
„Ina?" Sie hielt ihren Kopf schräg und sah mich unbeeindruckt an.
„Spar dir die Nettigkeiten. Du hast eine Farbbombe in meinem Spint platziert!" Sie hielt den Blickkontakt.
„Ich? Ich soll dazu in der Lage sein? Du spinnst doch!" Chiara stand energisch von ihrem Stuhl auf und stemmte die Hände auf den Tisch. Sie spielte ihre Rolle gut.
„Ja hast du! Aber vor allem, lass die Finger von meinem Freund!" War Kiran das für mich? Mein fester Freund?
Sie verschränkte die Arme vor ihrer Brust und setzte ein dreckiges Grinsen auf. Es war fast so schmutzig wie Damians, aber ihn konnte niemand das Wasser reichen.
„Sonst was?" Warf sie ein.
„Sonst brech ich dir die Finger! Jeden Einzelnen der Reihe nach."
Sie schien nicht großartig begeistert von meinen Worten zu sein und lachte einfach nur vor sich hin. Ihre Augen glänzen, genau wie ihr Haar. Sie ließ sich durch nichts aus der Ruhe bringen und wenn, dann ließ sie es sich nicht anmerken. Trotz ihrer Kühnheit, wärmte sie den Raum nur indem sie da stand. Und von einen auf den anderen Moment, bröckelte meine Fassade. Ich war nie jemand wichtiges gewesen, ich hatte nie ein ganzes Gefolge hinter meinem Rücken stehen und ich wäre nie in der Lage dazu, gegen jemanden wie sie, zu konkurrieren. Und in dem Moment wurde es mir klar. Chiara Falks war mir einen Schritt voraus. Sie kannte ihre Position und musste nicht viel machen, um diese auszuspielen. Sie begegnete Wut mit Ruhe, Aggression mit Sticheleien und Böses mit Unschuld. In dem Moment, als ich sie angriff, schoss ich gegen mich selbst. Mit meinem ersten Hieb, hatte ich bereits verloren, ohne auch nur auf Gegenwähr gestoßen zu haben. Denn der Schlag, traf mich selbst.
Sie wusste, was mir durch den Kopf ging. Sie spürte ihren Sieg. Weswegen sie sich auch das Top glatt strich und sich setzte. Der Blick in ihren Augen, war wie ein Warnschuss, beim nächsten Mal, würde sie das Schwert ziehen, unter dem ich in einem kurzen Kampf fallen würde.
„Miss Saterlee! Setzen sie sich bitte, damit wir mit dem Unterricht, planmäßig weiter machen können." Die Stimme des Lehrers, drang kaum noch zu mir durch, aber ich gehorchte und setzte mich.
„Miss Falks, tragen Sie beide ihre Konflikte außerhalb des Schulgeländes aus. ... Zumindest weit genug von meinem Unterricht und mir."
„Natürlich Mister Sheen. Das wird nicht mehr vorkommen. Es handle sich denke ich, eher um ein kleines Missverständnis."
Ich spürte Chiaras anmutiges Lächeln, dass selbst den Lehrer ins stottern gerieten ließ. Und auch wenn, ich es niemals aussprechen würde, wäre ich gerne mehr wie sie. Ich fühlte mich in den Klamotten mittlerweise unbehaglich und zählte nur noch nie Fliesen an der Wand, bis der Unterricht vorbei war und ich mich endlich von Damian hätte nach Hause fahren lassen können.
Als der Zeiger endlich auf 12 Uhr zeigte, waren meine Sachen schon eingepackt und mein ursprünglicher Plan, ganz schnell das Weite zu suchen, wurde durch eine höhere Macht verhindert. Dem Lehrer.
„Miss Saterlee? Ich würde sie darum bitten, Ihren dynamischen Kleidungsstil, nicht in der Schulzeit auszuleben."
Ich nickte ihm verlegen zu und brachte kein Wort heraus. Meine Ausrede, die keine war, würde die Situation nicht besser machen. Normalerweise traf ich mich nun mit Kiran zum gemeinsamen Essen in der Cafeteria, doch heute lief sowieso alles drunter und drüber, weswegen noch ein bisschen Chaos in meiner Struktur nicht schaden würde. Davon abgesehen, ich sah aus wie eine Nutte in rotem, schwarzem Leder. Kiran würde das gar nicht gefallen, mir wäre es peinlich und am Ende, hätte er mich sowieso Heim gefahren. Damian konnte das auch erledigen. Immerhin war er schuld daran, dass ich in diesem Zeug steckte. Und er hatte es angeboten. Ich musste ihn also nicht mal nötigen.
Meine Beine sprinteten über den Flur, nach draußen. Kiran hatte mich nicht gesehen. Später müsste ich mir noch was einfallen lassen, für mein plötzliches Verschwinden. Damian sagte, ich würde ihn auf dem Basketballfeld treffen. Dort würde er auf mich warten. Als ich durch die Tür ging und auf dem riesigen Sportplatz stand, sah ich von weitem einen Basketballkorb in die Höhe ragen. Dort musste er sein. Ich setzte mich in Bewegung. Keiner außer mir war hier, alle waren in der Cafeteria, auch Chiara. Meine nicht Anwesenheit konnte ihr heute nur zu Gute kommen. Ich hoffte, dass ich auf mein Vertrauen in Kiran setzen konnte. Schnell schüttelte ich die Gedanken von mir ab und lief quer über das Footballfeld. Als ich langsam Damians Umrisse erkennen konnte, wurden meine Schritte allerdings langsamer. Denn er stand neben 2 Mädchen. Irgendetwas war komisch an diesem Bild.
Das erste Mädchen stand direkt vor Damian und unterhielt sich lautstark mit ihm. Sie fuchtelte wild mit ihren Händen in der Luft rum und schien die Fassung zu verlieren. Aber das war nicht das Kuriose. Das zweite Mädchen, sah dem ersten Mädchen, unglaublich ähnlich. Desto näher ich kam, desto bewusster wurde mir das. Sie waren kaum von einender zu unterscheiden und das verstörteste an diesem Bild, war die Tatsache dass das zweite Mädchen ihr direkt im Rücken stand. Sie war blasser, fast schon durchsichtig. Ich musste noch etwas näher ran gehen, um das genauer beurteilen zu können. Somit lief ich mit schnellen Schritten, hinter die Tribüne und sah weiter zu. Ich habe mich nicht getäuscht, durch das zweite Mädchen, stieß nicht nur das Licht, sondern sie imitierte auch jede Bewegung des Mädchens vor ihr.
Mein Kopf pulsierte und meine Ader brannte höllisch. Ich konnte mich kaum von diesem Schmerz ablenken. Ein Stechen in meiner Brust ließ mich schwer Atmen. Aber ich musste weiter hinsehen. Vor meinen Augen, verfloss langsam alles und schwarz weiße Bilder blitzen auf. Ich erkannte nichts auf ihnen, sie waren undeutlich und sagten nichts aus. Mir lief es eiskalt den Rücken runter, doch in mir, nahm eine gewaltige Hitze überhand. Jede Zelle in meinem Körper pulsierte und ich presste meine Zähne aufeinander.
Was war das nur?
Ich hielt mich an einem der Metallsäulen fest und konzentrierte mich weiter auf Damian. Er wirkte wie die Ruhe selbst als das Mädchen beinahe in Tränen zusammenbrach. Sie warf sich auf die Knie und wimmerte auf dem Boden. Ich wollte ihr helfen, doch ich konnte mich selbst nicht bewegen, Jeder Muskel in meinem Körper stand in Brand und ich hatte keine Kontrolle über das, was ich sah und was ich sehen wollte.
Das Mädchen jaulte qualvoll auf und sah Damian flehend in die Augen. Ihre Adern waren angeschwollen und sie litt bitterlich, es war kaum auszuhalten. Damian sah von oben auf sie runter, ging einen Schritt auf sie zu und streckte den Arm nach ihr aus. Sie sah ihn an, wie einen Erlöser und für einen kurzen Moment zierten Dankbarkeit und Hoffnung ihr schmales Gesicht. Doch als seine Hand, sich um ihren Hals legte, war davon nichts mehr zu sehen. Mir gefror das Blut in den Adern und ich hielt den Atem an.
Ich sah ihm in die Augen, da waren keine Spuren vom Zögern oder Mitgefühl, stattdessen zwei Flammen und ein Windstoß.
Im nächsten Moment, wollte ich nicht hinsehen, aber ich musste. Ich konnte meine Augen nicht von diesem Geschehen abwenden. Auch wenn ich das was ich sah, nicht sehen wollte. Das Mädchen und das durchsichtige Mädchen, fielen zu Boden, als hätte ihnen jemand eine Kugel in den Hinterkopf geschossen. Damian stand erst da und blickte weiterhin auf sie herunter. Dann bewegten sich seine Lippen und formten Worte, die mir vollkommen unverständlich vorkamen. Im nächsten Augenblick, bückte er sich und hob das zu seinen Füßen liegende Mädchen auf. Ich wusste nicht, wohin er sie brachte, denn nur zwei Wimpernschläge später, hatte ich ihn aus meinen Augen verloren.
Ich saß noch immer hinter der Tribüne und hielt mich am Metall fest, in dem Glauben, es würde mich beschützen.
Mein Atem ging schneller, fast schon panisch. Ich versuchte mich zu beruhigen, doch als ich einen letzten Blick auf das eigentlich Durchsichtige Mädchen warf, fiel mir auf, dass sie jetzt gar nicht mehr von dem anderen zu unterscheiden war. Sie sah aus, wie ein ganz normaler Mensch, selbst ihr Brustkorb hob und senkte sich, als würde sie atmen. Kurzerhand beschloss ich, mich aus meinem Versteck zu wagen. Dass musste ich genauer sehen.
Als ich einen Fuß aufs Gras gesetzt hatte, warf es mich allerdings um. Das kupferhaarige Mädchen, richtete sich energisch auf und schnappte gierig nach Luft. Sie setzte sich in die Hocke, betrachtete ihre Hände, ihre Füße und fasste sich mit den Fingern ans Gesicht und streifte sich dann durchs Haar.
Ich versteckte mich wieder und sah ihr dabei zu, lebendig zu sein. Von Schmerz und Qualen, war keine Spur mehr zu sehen, als hätte sie diese, nie erlebt. Als würde sie sich nicht mehr daran erinnern, wie sie hierhergekommen war. Das wurde mir in dem Moment bewusst, als sie einfach aufstand, sich den Rock glatt strich, nach ihrer Tasche griff, die eigentlich die Tasche des anderen Mädchens war und fort ging. Ich verfolgte sie noch einige Sekunden mit den Augen und sah, dass sie ganz normal in die Schule lief und ihr Leben fortsetzte, als wäre es hier nie beendet worden.
... Als wäre es nie von Damian beendet worden.
Ich legte mir meine Hand um den Hals, um mein Schluchzen zu unterdrücken.
Damian war ein Killer? Wo brachte er das andere Mädchen hin? War ich die nächste, auf seiner Liste?
Meine andere Hand, wanderte zu meinen Haaren und verfing sich darin. Mein Herz pumpte mein Blut mit enormer Kraft durch meine Adern und Tränen sammelten sich in meinen Augen.
„Ich muss hier weg." War alles, das mir durch den Kopf ging. Ohne mich nochmal zu vergewissern, dass ich alleine auf dem Feld war, stürmte ich aus meinem schützenden Raum und rannte.
Ich rannte, soweit mich meine Füße trugen und es kam mir vor, als wäre ich Stunden gelaufen, als ich an dem einzigen Ort zum stehen kam, an dem ich mich wohl fühlte.
Die ein Zimmer Wohnung im letzten Stockwerk, eines Mehrfamilienhauses.