Guten Abend meine werten Damen und Herren, entschuldigen Sie meine Unterbrechung, ich möchte Sie auch gar nicht lange stören und die für Sie doch lebensnotwenige Arbeit vorenthalten. Meine Worte, sie benötigen nur ein wenig Zeit, sind nicht länger als ein Augenschlag der Lieder, um in ihrer Bedeutung Wirkung zu entfalten. Sie können mir ruhig vertrauen, meine Worte sind es bereits gewöhnt, mit ungeduldig und arbeitstüchtigen Damen und Herren wie Ihnen Gespräche zu führen; und dass sie ihr Handwerk verstehen, sich schnell zu verkünden. Nun möchte ich auch mein Gefasel beenden, denn was ist wohl schlimmer, als von der Arbeit unterbrochene Herrschaften, welche voller Langeweile einem in Phrasen verlorenen Redner ihre wertvolle Zeit schenken?
Habe ich mich überhaupt schon vorgestellt? Nein, noch nicht? Oh, welch ein Missgeschick. Gestatten, Tod. Ja, meine Damen und Herren, Sie haben richtig gehört. Vor Ihnen allen steht, leibhaftig, oder eben in meinem Falle so unwirklich wie man es nur sein kann, der Tod. Doch bitte, so weichen Sie nicht mit vor Schrecken verzerrten Gesichtern vor mir zurück, denn Sie erahnen ja nicht, welch Freudentanz mein eigentlich totes Herz vollführen könnte, wenn meine geschätzten Zuhörer nicht immer einem Meer aus weit aufgerissen und erstarrten Augen gleichen würden. Geschätzte Damen und Herren, so treten Sie näher, denn glauben Sie mir: Ich bin ganz und gar ungefährlich, nur das Leben allein hat Sie gelehrt, dass der Tod als Leibhaftiger in Person mit dem Trieb der Bosheit Vergnügen findet, ja ich nichts besser beherrsche, als ein Spiel der Lebensdiebe. So betone ich ein weiteres Mal, dass meine Rede Ihnen keinen Schaden zufügen wird, denn ich möchte nur erzählen eine kleine Geschichte, die ebenso real ist, wie ich und zeigt, dass auch das Leben ist ein kleiner Dieb.
Meine Erzählung findet ihren Anfang in der vergangenen Woche, ein Sonntagmorgen, als ich gerade einmal einen Wimpernschlag lang Pause vom ständigen Kommen und Gehen mir genommen hatte, den Moment ohne Arbeit genoss, da rief eine Seele nach mir, welche noch gebunden und wie ein von seinem Besitzer ausgesetztes Tierlein herrenlos über dem verlassenen Hüllenkörper schwebte. Ihre Bitte, mich zu sehen, war so erfüllt von Sorge und kümmerlicher Trauer, band sie als doch eigentliche freie Seele noch viel zu schwer an das Irdische. An dieser Stelle, jenes müssen Sie als meine erstmals unerschrockenen Zuhörer wohl wissen lernen, so folgen mir die meisten der Seele nicht ohne Widerwille, fühlen sich den Liebenden verpflichten, noch länger zu warten, sich dem Rinnsal der Zeit zu widersetzen. Doch diese arme Seele war ganz besonders bekümmert, wog entsetzlich schwer in meinen Armen, als träge sie bei sich in einem kleinen Rucksack einen Haufen von Steinen. Und ich entsinne mich zurück, dass es mir in all den Jahren meiner täglichen Arbeit noch nie so schwergefallen ist, eine Seele von ihrer Vergänglichkeit zu lösen. Und als ich sie durch das Fenster trug, da war selbst mir, dem Tod, die Last des Todes als eine zu große Aufgabe.
Gemeinsam schwebten wir dort vor dem Fenster und da bat mich die Seele doch tatsächlich, nochmal einen Fensterblick hinein, auf ihren Körper werfen zu können. Und ich fragte ganz erstaunt, ob sie denn nicht bereits genug gelebt, in ihrem Leibe Tag für Tag geschuftet hätte.?Ob sie sich den gar nicht auf die Unendlichkeit freuen würde? Da antwortete die kleine arme Seele nur, dass ihr selbst die Unendlichkeit des Todes als Leben zu kurz sei, denn die unvergängliche Zeit war doch wertlos, wenn man zuvor nie begriffen hatte, wie das wahre Sein sich anfühlen konnte. Und als ich dort mit der Seele in meinen Arm vor dem Fenster schwebte und einen Blick hindurch auf die leere Hülle warf, da verstand auch ich, dass sie wieder zurück in ihren Körper wollte, denn sie war vom Leben ausgesetzt worden.
Warum hast du denn nie gelebt, das fragte ich, denn ich wollte verstehen, wie ihr die Unendlichkeit nur so unendlich unwichtig sein konnte. Ach weißt du Tod, und sie sagte es voller Schwermut zu mir, wenn du mir früher einmal einen solchen Fensterblick auf meinen ermüdeten Körper gezeigt hättest, dann hätte ich vielleicht begriffen, dass unser Leben manchmal ein Lebensdieb ist. Und du weißt ja, mit was es besticht. Mit Arbeit und Geld.
Mit jenen Worten, da löste sich auch diese Seele von ihrem vergangenen Sein, sie kam mit mir. Doch eines kann ich sagen, glücklich wurde sie zu keiner Zeit. Denn immer wusste sie, was hinter ihr lag, nämlich ein Fensterblick, der immer zeigt, dass leblose Arbeit nun mal alles raubt.