Schon am nächsten Tag waren die Heiler an der Reihe. Doch anders, als bei den anderen Prüfungen, wurden die Anwärter bewusstlos in die Arena getragen. In einem Kreis angeordnet, wurden die jungen Männer und Frauen schließlich allein gelassen, schlafend vor den Augen, vor so vielen Zuschauern.
Ceridwen saß auf ihrer Tribüne und konnte sich ein schelmisches Lächeln nicht verkneifen. Sie blickte auf die schlafenden Anwärter und kam nicht umhin, so etwas wie Mitleid zu empfinden. Dann richtete sie sich auf und ihre Stimme hallte durch die Arena.
„Wertes Publikum, ich begrüße euch alle herzlich zur dritten Prüfung. Die Heiler werden sich unversehens auf einem Schlachtfeld wiederfinden und müssen unter den harschen Umständen, die dort herrschen, einen kühlen und klaren Kopf bewahren. Für diese Prüfung wurde extra dafür eine historische Schlacht nachempfunden. Unser besonderer Dank geht dabei an König Sephiroth, der für dieses Spektakel seine eigenen Erinnerungen zur Verfügungen gestellt hat.“ Die Königin ließ eine Kunstpause einfließen und gab dem Publikum genug Zeit zum Applaudieren, ehe sie fort fuhr.
„Getestet wird vor allem die Zuverlässigkeit der Anwärter auf Stresssituationen und wie sie damit umgehen. Ich glaube, ich spreche wohl im Namen von uns allen, wenn ich sage: Das wird ein Ereignis, welches man nicht verpassen sollte! Bühne frei!“
Und mit diesen Worten, wurde über die Arena eine magische Kuppel gespannt, die die Illusion eines blutroten Himmels erzeugte. Schüler aus den älteren Jahrgängen begaben sich in Position und warteten auf das Signal. Ihre Rüstungen und Waffen waren mit denen identisch, die in jener Schlacht einst getragen wurden.
Als ein grüner Blitz durch den Himmel fuhr, begannen die „Soldaten“ mit ihrem Auftritt. Schwerter schlugen aufeinander, Schilde krachten zusammen und ein allgemeines Getöse simulierte jene Schlacht, vor so vielen Jahrtausenden.
Nyla war die erste, die erwachte. Schläfrig drehte sie ihren Kopf und wunderte sich, dass sich ihr Bett so hart anfühlte. Doch schon als der Schlachtlärm an ihre Ohren drang, begab sich ihr Geist in einen Alarmzustand. Sie schlug die Augen auf und kam so schnell wie ihr möglich War, auf die Beine.
Sie blickte sich um und verstand die Welt nicht mehr. War das ein Traum? Soldaten unter unbekannten Bannern prallten aufeinander. Blut spritzte und Extremitäten flogen durch die Luft. Sie war in einem Alptraum.
Neben ihr erwachte Shizo. Die junge Itari stand langsam auf und reckte sich erst mal, sich gar nicht gewahr, was um sie herum passiert. Bis ein Pfeil gefährlich nah an ihrem Ohr vorbei sauste.
„Was ist den hier los?!“, gab die junge Frau erschrocken von sich und wich ein paar Schritte zurück.
Nyla weckte die anderen so schnell sie konnte und als alle Anwärter endlich erwacht waren, fragte sich ein jeder von ihnen das gleiche. Alles woran sie sich erinnern konnten, war, dass sie heute aufgestanden waren und dann waren sie hier wieder erwacht. Unter schreienden Männern und Frauen, wild im Kampf oder nahe des Todes.
Vor allem Amalia hatte mit der Situation zu kämpfen. Als Empathin konnte sie fühlen, wie die Leute um sie herum in Wut, Angst und Zorn, förmlich ertranken und sie mit sich in die Tiefe rissen. Ihr Gesicht wurde mit jeder Sekunde die verging immer blasser. Nyla kam auf sie zu und in Ermanglung einer besseren Alternative schüttelte sie die Elfe kräftig durch.
„Kipp mir jetzt bloß´um! Wir brauchen dich!“, brüllte sie im Versuch den Lärm zu übertönen.
Amalia schenkte ihr ein dankbares Lächeln und nickte, während sie versuchte sich wieder zu fassen. Sie musste sich innerlich gegen die Gefühle wappnen, was nicht so einfach war. Ihr Blick schweifte dabei umher und sie entdeckte zwischen den Kämpfenden und der ihr fremden Umgebung etwas.
„Da ist ein Zelt! Wir sollten dorthin!“ Sie griff sich Shizos Hand und gemeinsam rannten die Frauen zum großen, langen Zelt, welches am Rand der veränderten Arena stand. Umringt von einer Palisade und angespannt blickenden Wachen.
Nyla und Shizo rannten darauf zu, um durch das kleine Tor ins Zelt zu gelangen. Die restlichen Anwärter schienen auf sie aufmerksam zu werden und folgte ihnen schnell.
Kaum, dass sie das Innere betraten, wurden sie schon von einer weiteren Welle an neuen Eindrücken förmlich erschlagen. Auf etlichen Feldbetten lagen die Verwundeten und Sterbenden. Einige hatten unzählige Wunden, andere dafür weniger oder gar abgerissene Arme oder Beine.
Weiter hinten im Zelt stand eine der Feldsanitäterinnen und koordinierte die Bemühungen der Heiler, damit die Soldaten bald schon wieder an der Schlacht teilnehmen konnten.
Die Sanitäterin erblickte die Neuankömmlinge und kam gleich auf sie zu, in dem schnellen Schritt einer Frau, die keine Zeit zu verlieren hatte.
„Ihr müsst die Magistra aus Sarania sein, richtig? Hanja, Vala und Nimroda, waren die Namen?“ Die Sanitäterin schaute die Drei erwartungsvoll an und wartete auf eine Antwort.
„Ähh~ Hanja, Vala und Nimroda?“, frage Shizo irritiert, die mit den Namen nichts anfangen konnte und kratzte sich nachdenklich das Handgelenk.
„Aber ja. Mir wurde gesagt, dass ich heute drei Magistra als Verstärkung dazu bekomme. Und da ihr die einzigen seid, die heute durch das Notportal gekommen sind, dachte ich, ihr seid die Ärztinnen von Sarania“, erklärte die Sanitäterin und nahm ein Klemmbrett von einer Schwester entgegen. Ihre Augen huschten über die Notizen, ehe sich noch etwas hinzufügte und es der Frau wieder in die Hände drückte.
„Hanja, Vala und Nimroda...“, kam es nachdenklich von Nyla. „Ich habe von ihnen schon mal gelesen.“
„Ach ja?“, fragte Shizo nach und bedachte Amalia mit einem besorgten Blick. Die Elfe wirkte, als würde sie jeden Moment umfallen.
„Ja. Das waren Heilerinnen, die sich einen Namen im Sechs-Tore-Krieg gemacht haben und... oh nein.“
„Was? Was ist?“
Nylas Augen wurden größer und sie blickte die Sanitäterin an. „Ist Euer Name zufälligerweise Lisel Hunbach?“, fragte sie die Frau und in ihr reifte ein schrecklicher Verdacht heran.
Die Sanitäterin nickte und erwiderte: „Das ist mein Name. Aber woher wisst Ihr den? In der Nachricht war doch nur verlautbart, dass das Lazarett mehr Hilfe benötigt.“
„Scheiße“, gab Nyla blass von sich.
„Was ist denn?“, wollte Shizo ungeduldig wissen und da wurde sie schon, samt Amalia, von Nyla in eine Ecke gezogen. Die junge Frau hatte einen angsterfüllten Blick und ihre Hände zitterten.
Rau war ihre Stimme, als sie sprach: „Lisel Hunbach ging als bedeutende Frau in die Geschichte ein. Zusammen mit den Heilerinnen Hanja Valtus, Vala Treste und Nimroda Palistria hat sie bei der letzten Schlacht der Sechs-Tore die verwundeten Soldaten gerettet, in dem sie sich zwischen sie und die Plagen stellte und dafür sorgte, das dass Lazarett davon nicht befallen wurde. Die drei Heilerinnen haben sie unterstützt und das ebenfalls nicht überlebt.“
„W-was soll das heißen?“, kam es ängstlich von Amalia, die ihre Finger so stark knetete, dass sie fast brachen.
Nylas Augen gingen unstet hin und her, als sie ihrem Geist nach etwas suchte, was sie dazu, vor etlichen Jahren, gelesen hatte. Ihre Lehrerin, Elena Montfort, hatte viel Wert auf geschichtliche Ereignisse gelegt und wie diese mit der Magie im allgemeinen verwoben waren. Darunter war auch ein Gedicht, welches sich mit eben jener Schlacht befasste. Sie merkte gar nicht, wie Shizo ihr die Hand auf die Schulter legte und hörte die Worte der Itari nicht, welche sie eigentlich beruhigen sollten.
Stattdessen intonierte sie folgende Worte: „Und siehe und sah, ein Himmel rot wie Blut und brennend Gewölben/ und darunter fielen die Tapferen und Narren gleichermaßen/ und über allem thronte des Königs gestrenger Blick.“
Shizo und Amalia sahen erst sich an und dann Nyla. Sie war wie im Delirium, als sie weiter rezitierte, „In seiner Rechten sein Symbol und in seiner Linken die Glocke/ Verkünderin aller Unheil/ Und er sprach die Worte voll Inbrunst/ und über allem thronte die Glocke/ Verkünderin des Unheils.“
„Welche Glocke? Welcher König? Nyla, was ist bloß mit dir los?“ Nun war es auch an Amalia, ihr die Hand auf die Schulter zu legen. Doch strafte ihr besorgter Blick sie lügen. Ihre Hand zitterte gleichermaßen und sie spürte, wie die Furcht sich immer weiter um ihr Herz schlang.
Doch Nyla war in ihren eigenen Erinnerungen und der Erkenntnis, über die jetzige Situation gefangen. Sie hatte keine andere Wahl, als weiter zu sprechen.
„Und der König hob seine Rechte/ in seiner Hand ein schwarzes Seil gesponnen aus Nacht und Finsternis/ und das Seil umfasste die Krone und des Königs Rechte zog an des Raben schwarzen Strang/ Der erste Ton erklang so dumpf und mit ihm kam der Regen/ und rot fiel der Regen auf die Erde und verwandelte sie blut'ges Morast.“
Genau in diesem Moment ertönte ein durchdringender Ton. Geschlagen von einer scheinbar gewaltigen Glocke, drang das Geräusch durch Fleisch, Blut und Knochen, bis in die Tiefen der Seele. Regen begann einzusetzen und prasselte auf die Plane, welche ihr Weiß schon bald für Rot getauscht hatte.
Die anderen Anwärter kamen nun ebenfalls ins Zelt gerannt, teilweise so blutig, dass ihre Augen unter dem roten Film förmlich leuchteten. Allgemeine Panik und Schrecken ging durch ihre Reihen. Schreie wurden laut und mit ihnen die ursprünglichen Hilferufe nach ihren Eltern.
Am anderen Ende des Zeltes standen, verborgen von den Blicken der Anwärter, Königin Yuna und ihre Schwester. Die Eiskönigin zog eine Augenbraue überrascht noch oben und nickte leicht.
„Wer hätte das vermutet? Jemand kennt dieses alte Gedicht“, bemerkte sie ruhig.
Sezuna nickte und legte ihren Kopf etwas schief. „Hätte ich auch nicht vermutet. Aber anscheinend gibt es da draußen immer noch Leute, die auf die Klassiker stehen.“
„Zu jener Zeit, war das kein Klassiker. Es war ein furchtbares Gemetzel.“ Yuna konnte nicht verhindern, dass leise Trauer in ihrer Stimme mitschwang.
Ihre Schwester bedachte sie mit einem fragenden Blick und tätschelte ihr sanft die Schulter. „Na, na, Schwesterherz. Pass auf, sonst ertränkst du uns noch in deinen Tränen.“
Yuna blickte sie von der Seite an und griff sich in den Ärmel ihres Kleides, um einen Loli hervor zu holen. Jeder andere, würde ihren Blick als normal bezeichnen, doch Sezuna erkannte die kleinen Schatten in ihren Augen. Yuna war erbost.
„Wenn du hier bist, um dich zu amüsieren, dann suche lieber nach deinem Bluthund. Wenn ich mich recht entsinne, musst du noch deine Wette einlösen.“ Es waren die kleinen Details. Die Nuancen in ihrer Stimme, die es so schwer machten, die Eiskönigin und ihre Aussagen richtig zu deuten. Sie wirkte in vielerlei Hinsicht emotionslos und kalt, doch wer sich länger mit ihr unterhielt und sich mit ihrem Gemüt auseinandersetzte, lernte schnell, die Unterschiede festzustellen.
Zuerst war da Abscheu, welche von Gehässigkeit abgelöst wurde
Sezuna lächelte sie an und ihre Pupillen verengten sich etwas. „Schon geschehen“, gab sie als Antwort.
Währenddessen herrschte noch immer Panik und ein Soldat wurde auf einer Trage eingeliefert. Liesel Hunbach gab die Order, dass er sogleich auf einen Operationstisch gelegt werden sollte, dann lief sie zu ihren vermeintlichen drei Heilerinnen und zog Amalia mit sich.
„Magistra Hanja, Ihr müsst mich hierbei unterstützen. Ohne Eure Hilfe wird der Mann sterben“ , sprach Lisel hektisch und kaum, dass sie den Tisch erreichten, musste Amalia sogleich wegsehen und den aufkommenden Würgereiz unterdrücken.
„Ich weiß, es ist nicht er schönste Anblick. Aber mit Eurer Hilfe können wir den Mann retten. Ich hörte, Ihr seid eine Expertin auf dem Gebiet der Organregeneration. Ich kann mich um Nerven und Haut kümmern“, redete dies und sogleich glühten ihre Hände in einem schwachen Licht. Sie ließ ihre Hände über dem offenen Bauch des Soldaten schweben und begann ihn zu stabilisieren.
„Organ... regeneration?“, fragte die Elfe zögerlich und musste wieder gegen den Würgereiz ankämpfen.
„Bitte. Nur Ihr könnt dies bewerkstelligen. Ohne Euch wird er nicht überleben“, kam die prompte Antwort und Amalia hob zögerlich ihren Kopf. Sie vermied es tunlichst in den offenen Bauch zu blicken, denn ihr reichten die Gerüche von verbranntem Fleisch vollkommen.
Schon bevor sie auf die Yorukage kam, hatte sich Amalia für viele Dinge interessiert. Auch wenn sich diese eher um Jungs und Erdbeerkuchen drehten, so waren doch auch einige Bücher dabei gewesen. Unter anderem eine Abhandlung von Lady Yuna Saytan über die regenerativen Magien und ihre praktische Anwendung. Allerdings war das schon über hundert Jahre her und die Informationen gut vergraben unter anderen Erinnerungen und Wissen.
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An dieser Stelle ein sehr großtes Dankeschön an @Aveshij da er bei dieser Story nicht nur meine Muse ist, sondern mir auch regelmäßig mit Szenen und Ideen aushilft.