Weshalb sollte ich das?“, fragte sie verwirrt.
„Vertraue mir“, flüsterte er, ehe er an den Hinterkopf fasste und an den Verschluss der Spange griff. Mit einem seltsam lauten Klicken öffnete er ihn.
Es schien fast, als habe sein Haar nur darauf gewartet.
Befreit wehte es um sein Gesicht. Die leicht gewellten schwarzen Haarsträhnen waren prächtig anzusehen und schienen einem geheimen Tanz zu folgen, der ganz und gar nicht zum Rhythmus des Windes passte.
Die Frau konnte nichts anderes, als den Mann fasziniert anzusehen.
Fast schien es so, als sei mit dem Lösen der Spange auch ein Zauber verschwunden, der alles unter Kontrolle gehalten habe. Cedriks Augen schimmerten erneut von einem Blau, welches diesmal jedoch nicht gleich wieder verschwand. Das gleiche mit seinen Haaren – schwarz und blau zugleich waren sie, als sie nun zu ihr hinüberwehten und ihren Hals streichelten.
Gefährlich und wild war er – gleich eines ungezähmten Tieres, das gerade zum ersten Mal auf die Zivilisation traf. Er erinnerte sie an diesen Platz, den sie so liebte – das ungezähmte Meer, dessen Wellen gegen die Felsen schlugen.
„Wer bist du?“, kam es flüsternd über ihre Lippen.
„Ich weiß es selbst nicht. Aber bitte hab keine Angst.“
Wie um es zu bestätigen, war der Leuchtgrimm wieder da. Sein grünes Licht schimmerte harmonisch auf Cedriks Schultern. Er war unbemerkt aus den Haarsträhnen geschlüpft.
Langsam richtet sich der Magier auf. Beide standen sich nun auf engsten Raum gegenüber. Wie unter einem Zwang starrte sie fest in seine Augen.
Sie schien etwas zu finden, was sie beruhigte. „Ich weiß nicht, was du bist. Aber ich erkenne den Menschen, Cedrik, in dir.“
Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen. „Ich bin froh, dass du es so siehst. Ich fürchtete schon, dich überfordert zu haben. Und keine Angst, es ist gleich vorbei.“
Tatsächlich änderten sich die Bewegungen seiner Haare langsam. Sie passten sich dem des Windes an, widersetzten sich nicht mehr der natürlichen Ordnung. Auch zeigten seine Haare nun wieder das üblicher Schwarz mit einem nur leicht schimmernden Blauton.
„Danke, dass du mir vertraut hast“, flüsterte der Mann. Seine Augen verschmolzen mit den ihren, auch sie von diesem geheimnisvollen Zauber befreit.
„Ich verstehe das alles nicht, Cedrik.“, wisperte sie verwirrt.
„Da bist du nicht die einzige“, verriet er, während seine Hand an ihre Wange fuhr in sie sanft berührte. „Ehrlich gesagt ich hatte gehofft, hier einige Antworten zu finden. Ich habe einige Theorien, was meine Herkunft betrifft, bin da aber nicht sicher. Vermutlich hat mein Meister mir deshalb zu seinen Lebzeiten bereits aufgetragen, nach seinem Tod hierher zu kommen.“
„Aber du warst doch bisher immer bei uns beschäftigt.“, wunderte sie sich.
„Das ist richtig. Nur irgendwann ist diese Aufgabe vollendet und dann kann ich mich in der Akademie umsehen. Das ist mit der Fee Juno bereits geklärt.“
„Also hat sie es bemerkt, dein… Anderssein?“
„Natürlich. Du kennst doch die Feen und ihre Weisheit.“
Ihr Blick zeigte ihre Ratlosigkeit. „Was wird dann aber werden? Wenn du Antworten findest?“
„Das sehen wir, wenn es soweit ist.“ Seine Hand streichelte sie noch immer, während sein Gesicht dem ihren noch näher kam.
Sie flüsterte seinen Namen, bevor sich ihre Lippen trafen. Wunderbar weich waren die ihren, die Berührung wunderbar sanft, fast mehr ein Hauch als ein Kuss.
Es war nur ein kurzer Moment, dann löste der Magier sich wieder von ihr und schaute sie fragend an.
„Cedrik, ich… ich…“, stammelte sie. „Ich habe keine Erfahrung in solchen Dingen, ich habe noch nie…“
Der Zauberer nickte verstehend. Es überraschte ihn nicht. Wohl aber die Reaktion ihres Körpers, worüber sie sich wahrscheinlich selbst gar nicht bewusst war. Die Röte ihrs Kopfes, der beschleunigte Herzschlag, ihr heftiger Atem, der auf eine beginnende Erregung hindeutete.
Und dabei hatte er ihre Lippen nur ganz sanft berührt.
„Ich auch nicht, Alissa. Schönste, wir sind uns ähnlicher, als du ahnst.“
Kurz schaute sie ihn ungläubig an, ehe er bestätigend nickte.
„Lässt du mich dich nochmal küssen?“, bat er mit leiser Stimme.
Statt einer direkten Antwort schloss sie die Augen.
Wieder trafen sich ihre Münder, die leicht rauen des Klerikers und die weichen der jungen Frau. Zwei Welten, die verschiedener nicht hätte sein können und doch zusammenpassten. Wieder begann der Kuss sanft, steigerte sich jedoch rasch. Cedrik wollte mehr spüren und erhöhte den Druck, kein sanftes Berühren mehr. Ihr leichtes, entrücktes Stöhnen stachelte ihn nur noch mehr an und er begann, seine Zunge vorsichtig in ihren leicht geöffneten Mund zu schieben.
Alles wollte er erkunden, jeden letzten Winkel. Unbeabsichtigt verlängerte er dabei die Zunge, ließ sie wachsen, so dass sie mittlerweile fast Ähnlichkeit mit der einer Schlage hatte. Wäre er bei Sinnen gewesen, hätte er dies unterbunden. Zu groß wäre ihm die Gefahr erschienen, dass sie sich vor ihm ängstigen und zurückweichen würde.
Etwas, was ihm in der Seele wehgetan hätte.
Er war jedoch nicht der einzige, der nicht mehr ganz bei sich war – und so genoss sie den Kuss genauso wie er, und schien der Wirklichkeit entrückt – in eine Welt hineinkatapultiert, in der nur Liebende einen Zutritt haben.
Keiner von beiden dachte noch am Herbert, der sich schon lange von der Schulter seines Herrn entfernt hatte.
Er schwebte über dem Paar in der Luft, als wollte er sie beschützen und sicherstellen, dass sie nicht gestört wurden. Dabei schimmerte sein Fell in den verschiedensten Farben, während er gleichzeitig stark vibrierte und sich um sich selbst drehte.
Fast schien es sogar so, als höre man ein leichtes Lachen, welches eine Ähnlichkeit mit einem leichten Glockengeläut hatte.
Natürlich konnte dies nur Einbildung sein, denn jedes Kind wusste, dass Grimms weder Laute von sich geben noch sprechen können. Trotzdem hielt diese Täuschung noch eine ganze Weile an, und wären da nicht die lauten Wellen gewesen, so wäre dieser Klang in die weite Welt hinausgetragen worden.