Verführerische Töne
Bengimir rollte sich auf die Seite. Die schöne Frau neben ihm schlief noch. Er kannte Sebana seit einigen Wochen. Sie hatte sich ihm förmlich aufgedrängt, wie so viele vor ihr. Wenn er seine Musik spielte oder seine Gedichte vortrug, lagen ihm die Frauen einfach zu Füssen. Seit Tagen wich sie ihm nicht von der Seite und drängte sich ihm sogar in der Nacht auf. Bengimir blickte sie an. Sie war sehr schön. Halb aufgedeckt lag sie da und Ihre langen schwarzen schulterlangen Haare bedeckten halb ihre wohlgeformten Brüste.
Er wandte sich ab. Es gab nichts wirklich Erfüllendes mit ihr. Sie war eben so wie viele andere seiner Liebschaften vor ihr. Sie hatte sich ihm aufgedrängt - er hatte sie nicht erobert. Er war zwar den schöngeistigen Dingen sehr zugetan, doch in diesem Punkt wollte er eben "Mann" sein. Er wollte erobern, anders herum empfand er es als Falsch. Belgomir war da ganz anders. Sein Bruder wurde wegen seiner Männlichkeit von allen bewundert. Ein grosser und geschickter Kämpfer, dem die Frauen zu Füssen lagen, aber aus einem anderen Grund. Manchmal bewunderte er ihn dafür und manchmal.....hasste er ihn dafür. Er hatte das Gefühl, dass sein Vater Belgomir mehr liebte als ihn.
Er musste hier weg! Aus dieser Burg und aus der Umgebung seiner Eltern und auch Belgomirs war er überdrüssig. Er wollte an den Waldsee fahren, dort wo er schon so viel Trost und gute Eingebungen erfahren hatte. Schnell packte er ein paar Sachen zusammen und machte sich auf den Weg. Keiner bemerkte sein Verschwinden. Auch Sebana wähnte ihn noch an ihrer Seite.
Sein Ritt wurde schneller, als er das Burgtor passierte. Nur der Wachposten wusste, dass er fort war. Die Sonne stand noch nicht im Zenit, als er den See erreichte. Bengimir steuerte seinen Stammplatz an. Der stark bemooste Stein nahe am Ufer des Sees schien bereits auf ihn zu warten. Er liebte es, sich hier anzulehnen und auf den See zu schauen. Er band sein Pferd an und packte einige Kleinigkeiten für sein leibliches Wohl aus und legte sie neben den Stein. Dann machte er es sich dort bequem.
So friedlich war es hier. Bengimir schaute auf die leichten Wellenbewegungen des Wassers. Die Gedanken in seinem Kopf beruhigten sich langsam und kurz darauf schlief er ein. Der Traum der ihn erfüllte, handelte von wunderschönen Tönen, von wohl geschmiedeten Versen und von vielen Bildern, die er mit dem Pinsel erschaffen hatte. Doch dann ging plötzlich ein Ruck durch seinen Geist. Bilder von heftigen Kämpfen, Wut und Hass und mächtigen Herrschern kamen heran und liessen seinen Atem schneller gehen. Es war ein völlig neues Gefühl für ihn.....aber es gefiel ihm. Und einer dieser machtvollen Männer war er, Bengimir.
Die letzte Szene seines Traumes war ein Moment, in dem er mit erhobenem Schwert lauthals einen Siegesschrei ausstiess - dann erwachte er. Bengimir sah sich um. Er war allein. Doch hatte er das Gefühl, beobachtet zu werden. Er sah sich nach allen Seiten um und dann entdeckte er ihn! Der Alte stand an eine alte Ulme gelehnt und sah ihn lächelnd an. Bengimir sprang erschrocken auf.
"Verzeiht mir, junger Herr Bengimir, kam der Alte mit beschwichtigend gehobenen Armen auf ihn zu, ich wollte Euch nicht verschrecken und habe mich bedeckt gehalten, als Ihr schlieft."
"Ihr kennt mich,?" fragt Bengimir verwundert.
"Wer kennt nicht des Königs wunderbaren Sohn, dessen kunstvolle Fertigkeiten das ganze Land erfreuen und die weit über die Grenzen des Reiches bekannt und berühmt sind, mein Herr und Gebieter," antwortete der Alte.
Diese Worte stimmten Bengimir froh und er fragte den Alten, was er hier wolle.
"Oh mein Herr, ich habe Euch bereits hier ankommen sehen und wollte Euch ansprechen, aber da Ihr dann sehr schnell eingenickt seid, habe ich mich zurückgehalten, weil ich Eure edlen Träume nicht stören wollte. Auch ich bin ein Mann der edlen Künste. Natürlich reichen meine bescheidenen Möglichkeiten bei Weitem nicht an die Euren heran. Auch habe ich lediglich eine selbstgemachte Flöte für mein Spiel, doch hoffte ich darauf, ob Ihr wohl in Eurer grossen Güte für einen Momemt meinem Spiel Gehör schenken wollt."
Bengimir fühlte sich durch die Worte des Alten sehr geschmeichelt und erlaubte ihm, seine Musik vorzutragen. Der Alte holte aus seinem Mantel eine Flöte aus Sternenholz, sie war einfach, aber wunderschön anzusehen. Dann setzte er sie an seinen Mund und begann sein Spiel. Bereits nach den ersten Tönen sah sich Bengimir in eine andere Welt versetzt. Immer weiter spielte der Alte und bald erkannte Bengimir sich wie in einem Traum als starker, grosser Herrscher, der die ganze Welt in seinen Händen hielt und nur mit dem Finger zu schnippen brauchte und zahllose Bedienstete seine Wünsche erfüllten.
Er befehligte eine Streitmacht, wie die Welt sie noch nicht gesehen hatte und unter seinen Hauptleuten war sein Bruder Belgomir. Ja, er war ihm unterstellt! Er, Bengimir, war der Herrscher! Ein gutes Gefühl! Endlich war es so, wie es sein sollte und wie er es sich wünschte.
Eine Weile schwelgte Bengimir noch in wunderbaren Träumen. Dann kam er langsam ins Hier und Jetzt zurück. Er bemerkte eine Hand auf seiner Schulter. Der Alte hatte sie ihm aufgelegt. Bengimir öffnete seine Augen und sah ihn an.
"Oh verzeiht mir, edler Herr, ich habe Euch so mit meinem Spiel gelangweilt, dass Ihr eingeschlafen seid. Bitte vergebt mir mein törichtes Verhalten! Meine Spielkunst wird niemals an die Eure heranreichen können."
"Nein, nein, antwortete Bengimir, stelle Dein Licht nicht unter den Scheffel, alter Mann. Dein Spiel war sehr schön und hat meine Sinne erfreut. Komm' und setze Dich auf ein Wort zu mir."
"Oh, Ihr seid zu gütig und erfreut mein Herz, edler Herr, sagte der Alte und nahm in gebührendem Abstand neben Bengimir Platz.
Sie sprachen ein Weile über die Musik und der Alte erzählte Bengimir, dass die wunderschöne Flöte ein altes Erbstück seines Vaters sei, der zu seinen Lebzeiten in den Diensten Hatoras gestanden hatte, der Herrscherin der Kristallstadt.
Dann holte er eine kleine Flasche aus dem Mantel und fragte Bengimir, ob er wohl einmal von seinem selbst angebauten Wein kosten wolle, um ihm seine Meinung und sein Urteil zu sagen. Gerne war Bengimir dazu bereit und kurz darauf floss der rote Saft seine Kehle hinunter. Noch bevor er ein Wort antworten konnte, war er in eine andere Welt befördert und schlief.
Der Alte holte einen Stein aus seinem Mantel hervor und legte ihn auf Bengimirs Stirn. Dann begann er, magische Formeln zu sprechen und zog beschwörend mit den Händen Kreise um seinen Kopf. Er beendete sein Ritual kurz darauf, packte Stein und Flasche in seinen Mantel und verliess den Königssohn.
Bengimir öffnete kurz darauf seine Augen. Er fühlte sich stark und mächtig und seine Augen hatten einen seltsamen Ausdruck.
Der Alte strich durch den Wald zu seinem Pferd zurück. Er musste schnell in den Sternenwald. Alle warteten dort auf ihn.
Auf den grossen Rincobal.....