Fern aller Zeiten
Ich träumte. Ich flog. Schwebte über einem weiten Land, das im Nebel versank. Sterne leuchteten aus dem dunklen Himmel, und unter mir konnte ich die Ruinen einer vergessenen Zeit erkennen.
Städte. Wälder. Träume. Sie waren zerfallen. Nur noch bleiches Gras im Nebel war geblieben, dazwischen die geschwärzten Trümmer von Gebäuden und die verkohlen Stümpfe einst prächtiger Bäume.
Nichts regte sich in dem Land unter mir. Ich glitt durch Wolkenfetzen. Immer tiefer hinab, bis ich die Kälte, die aus den Flüssen aufstieg, riechen konnte.
Und die Dunkelheit sprach zu mir.
„Dies ist, was geschehen wird, Mingan, Kind der Nacht. Dies ist die Zukunft.“
Die Stimme war ein Zischen, ein leises Flüstern. Sie schmerzte in meinen Ohren und zerriss mich. Ich schrie vor Schmerz.
Und als die Stimme verstummt war, schrie ich vor Angst und Einsamkeit.
Das durfte nicht passieren! Die schöne Welt, in der ich lebte, durfte niemals zu diesem Schatten werden!
Im Traum schrie ich die Worte laut.
„Du kannst es nicht aufhalten, Mingan Schattensohn. Nicht du alleine. Aber es ist deine Aufgabe, den Kampf zu wagen.“
Ich zitterte in der Kälte. Dann atmete ich tief durch. Die Stimme der Dunkelheit schmerzte. Doch als ich ausatmete, ließ ich los. Ich ließ mich fallen und spürte, wie die Schatten mich auffingen. Ich schwebte – ich wurde getragen.
„Ich vertraue dir“, flüsterte ich. „Sag mir, was ich zu tun habe!“
Ich spürte, dass die Nacht lächelte. Dann schloss ich die Augen – und sah.
Ich sah die verbrannte Erde unter mir. Aber ich sah auch Feuer, dass dort tobte, Schneeflocken durch die Luft treiben. Ich sah die Wolken weinen und sah den Wind, der die Asche über den Erdboden jagte. Ich sah die Schatten in jedem Winkel, denn hier gab es kein Licht mehr.
Ich sah sieben Gestalten.
„Du bist nicht allein, Mingan aus der Menschenwelt. Dir zur Seite stehen sechs Andere. Ihr seid die Kinder der Elemente.
Vier Elemente gibt es und die Dunkelheit ist das Fünfte von ihnen. Sechs Kinder wurden auserwählt, von Flamme, Eis, Erde und Luft. Ihnen ist die Macht gegeben, über ihre Elemente zu herrschen. Und du, Mingan, sollst sie mit Weisheit führen.“
Ich hielt die Augen geschlossen. Der Schmerz glitt jetzt durch mich hindurch, ohne mich zu berühren. Ich war eins mit der Dunkelheit. Und ich stellte meine Frage: „Warum sind es sieben Kinder? Warum nicht nur fünf?“
„Ursprünglich wart ihr zehn. Zwei Kinder für jedes Element. Geschwister. Ihr solltet das Gleichgewicht halten, denn jedes Element hat zwei Seiten. Für jede Seite – jedes Gesicht – sollte es ein Kind geben.
Aber das Ende kommt schneller, als wir handeln konnten. Plötzlich lief die Zeit ab und kein Kind der Welt schien für die Aufgabe geeignet. Ihr sieben seid die Besten, die wir finden konnten.“
Ich furchte die Stirn. Das klang nicht mehr ganz so optimistisch, wie ich gehofft hatte.
„Die Besten, die ihr finden konntet?“
„Ja, das bedeutet, ihr seid nicht die optimale Wahl“, sagte die Nacht. „In besseren Zeiten hätten wir euch niemals in Betracht gezogen. Doch die Not trieb uns. Jetzt hängt das Schicksal der Welt an sieben Kindern, die nicht bereit sind und es vielleicht nie sein werden.“
„Warum sagt ihr mir das?“, fragte ich. Meine Stimme war rau, kaum mehr als ein Flüstern. Denn Angst schnürte mir die Kehle zu. Ich spürte, wie ich erwachte. Und mit dem Erwachen kehrte auch die Angst vor der Dunkelheit zurück.
„Du musst es wissen, Schattenkind. Denn deine Gabe bedeutet Wahrheit.“
Dann schlug ich die Augen auf.